Umbau von Frauengefängnis zu Hotel preisgekrönt - Wo Berlin-Besucher hinter Gittern schlafen

Wo einst Frauen eingesperrt waren, können heute Hotelgäste schlafen - in Zellen mit Gittern vor dem Fenster, mitten in Berlin-Charlottenburg. Für den Umbau des einstigen Gefängnisses wurden die Architekten und Hotebesitzer nun geehrt.
Auf der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg lärmt der Autoverkehr. Auf dem hellen Vorderhaus mit der Nummer 79 steht in Messingbuchstaben "Grundbuchamt". Doch das war nur eine Etappe in der mehr als 100-jährigen Geschichte dieses Ortes.
Die repräsentative Stuckfassade schmückte ursprünglich das Charlottenburger Strafgericht. An der Seite befindet sich eine Tordurchfahrt, dahinter öffnet sich eine grüne Idylle: Vögel zwitschern, Blumen blühen, man vergisst die Stadt. In der Tiefe des Grundstücks erhebt sich ein hoher roter Backsteinbau mit vergitterten Fenstern: Das war der Zellentrakt des Gefängnisses, das hier bis 1985 bestand. Von 1942-1945, während des Zweiten Weltkriegs, waren hier Frauen des Widerstands gegen das NS-Regime inhaftiert, danach diente das Gebäude als Jugendarrestanstalt.
"An vielen Stellen die historischen Bauteile behalten"
Heute jedoch schlafen Berlin-Besucher hinter den "schwedischen Gardinen". Anfang April 2022 wurde der zum Hotel umgebaute Zellentrakt unter dem Namen "Hotel Wilmina" eröffnet. Gordian Grüntuch, Hotelmanager und Sohn des Eigentümer- und Architektenpaares, öffnet eine schmale Metalltür, die in die Lobby führt. Die Gäste werden von hellen luftigen Räumen empfangen, eigenwillig designte Lampen setzten Lichtpunkte.
Am Durchgang weiter hinten fällt ein alter Metallkasten ins Auge. "An diesem Meldekasten sieht man sehr schön, dass tatsächlich hinter jedem Knopf eine Glühbirne sitzt", erklärt der junge Manager. "Wir haben bewusst an vielen Stellen die historischen Bauteile behalten, um die Geschichte des Ortes nicht zu verdrängen, sondern im Vordergrund zu halten."

Zellen auf vier Etagen und ein Penthouse mit vier Suiten
Im sogenannten Atrium weiter hinten erstrecken sich auf den Galeriegeschossen die Gästezimmer hinter grünen Zellentüren. Grüntuch weist in die Höhe: "Über vier Etagen gab es früher Zellen, jetzt haben wir über fünf Etagen Hotelzimmer. Ein Stockwerk wurde im Zuge der architektonischen Transformation als Penthouse oben aufgesetzt und bietet vier große Suiten." Von einer Dachterrasse aus kann man den Blick über die begrünten Höfe des Komplexes und die Dächer Charlottenburgs schweifen lassen.
Vor etwa zehn Jahren hatten die Architekten Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch das Gebäude über einen Investor entdeckt, der es für Lagerzwecke umbauen wollte. Als er absprang, erwarb das Architektenpaar den denkmalgeschützten Komplex und entwickelte eigene Ideen. "Für uns war es wirklich ein besonderer Ort, extrem kompliziert", erinnert sich Almut Grüntuch-Ernst. "Das sind zwei Einzeldenkmale. Der Anteil des umbauten Raums, der nutzbaren Fläche, war unglaublich schwierig. Es gibt viele sehr dicke Wände, die Räume wirkten nicht freundlich, weil sie vergittert waren und man nicht rausgucken konnte. Die Herausforderung war schon groß, aber wir haben da trotzdem auch ein Potential gesehen."

Ein Fahrstuhlschacht hinterlässt "Narbengewebe"
Das ehemaligen Gerichtsgebäude an der Straße wurde saniert und ist heute Kultur- und Veranstaltungsort, der "Amtssalon". Als einzige moderne Zutat entstand im Hof ein niedriger Verbindungstrakt mit Restaurant als Übergang zum Hotel. Hier ist es den Architekten gelungen, mit dem Umbau des einstigen Gefängnisses einen atmosphärischen Ort zu schaffen, der seine Vergangenheit nicht verleugnet: Zwar wurden für die Gästezimmer Zellen zusammengelegt und die Fenster vergrößert, doch die historische Vergitterung blieb erhalten, indem die Fensterbänke nach unten versetzt wurden.
In den kleinsten Räumen in der originalen Zellenbreite steht das Bett auf einem Podest, die Gäste schlafen direkt unter den "schwedischen Gardinen". Die alten Metallgeländer im Treppenhaus blieben mit ihrer Patina ebenso erhalten wie auf den Galerien. Ein Treppenhaus allerdings musste herausgesägt werden, um Platz für den Fahrstuhlschacht zu schaffen. Die Ansätze der alten Granitstufen sind im Übergang zum Frühstücksraum deutlich zu erkennen. Die Architektin: "Wir nennen es immer Narbengewebe, auch wenn es nicht unbedingt ästhetisch ist, es ist etwas, was noch ganz klar diesen Eingriff zeigt."
Unter den ersten Gästen viele interessierte Architekten
Der Hotelbau wurde jetzt mit dem Preis des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten Berlin ausgezeichnet, unter anderem wegen seiner "atmosphärischen Dichte", wie es in der Begründung heißt.
Unter den ersten Hotelgästen, erzählt Almut Grüntuch-Ernst lachend, waren vor allem Kollegen, die sich für das Projekt interessierten. Künftig soll in einer original erhaltenen Zelle die Geschichte des Ortes erzählt werden. Heute jedoch ist die einstige Stätte von Gewalt und Bedrängnis eine Oase für die Gäste Berlins, die Ruhe und Entspannung suchen.
Sendung: Inforadio, 03.05.2022, 18:55 Uhr