Interview | "Stasikomödie" von Leander Haußmann - "Ich wollte vor allem diesen DDR-Kitsch vermeiden"

Do 19.05.22 | 07:52 Uhr
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David Kross (r) als Ludger (jung) und Henry Hübchen als Siemens in einer Szene des Films "Stasikomödie". (Quelle: dpa/Constantin Film AG)
Audio: Radioeins | 09.05.2022 | Interview mit Leander Haußmann | Bild: dpa/Constantin Film AG

23 Jahre nach "Sonnenallee" und 17 Jahre nach "NVA" nimmt sich Leander Haußmann mit seinem neuen Film "Stasikomödie" ein weiteres DDR-Thema vor: die Stasi. Im Interview erzählt er, was ihn dazu bewegt hat - und was es mit Ampeltypen auf sich hat.

Mit "Stasikomödie" kommt am 19. Mai der neue Film von Leander Haußmann in die Kinos. Der in Berlin lebende Regisseur schrieb auch das Drehbuch. Haußmann widmet sich der Künstlerszene im Ostberliner Stadtteil Prenzlauer Berg und ihrer Durchsetzung durch die Stasi in den 1980er-Jahren.

Protagonist Ludger Fuchs lernt man zunächst in der Gegenwart als etwa 60-Jährigen (Jörg Schüttauf) kennen. Er, den alle für ein Opfer des DDR-Staates halten, hat sich seine Stasi-Akte besorgt und erinnert sich an seine Jugend. Für den jungen Ludger (David Kross) hat in den 1980er-Jahren alles mit einem eher läppischen Verkehrsvergehen begonnen, das ihn der Stasi in die Fänge lieferte.

In weiteren Rollen sind Henry Hübchen, Tom Schilling, Margarita Broich, Detlev
Buck, Steffi Kühnert und Bernd Stegemann zu sehen.

rbb: Herr Haußmann, Sie haben elf Jahre an Ihrem neuen Film "Stasikomödie" gearbeitet. Das ist eine lange Reise. Das hatten Sie auch noch nicht, oder?

Leander Haußmann: Ja doch, gerade neue Filme, die so noch nicht gemacht wurden, haben es natürlich immer besonders schwer. Da wo sie finanziert werden sollen, sitzen jetzt nicht gerade die Visionäre. Dort möchte man immer ganz gerne Sachen machen, die sich bewiesen haben. Und dann macht man halt Teil eins, Teil zwei, Teil drei. Die gesamte Kinolandschaft ist voller Remakes. Das Publikum ist auch in gewisser Weise vergesslich. Eigentlich kann man alle drei Jahre den gleichen Film machen.

Aber mit Genrefilmen ist es schwieriger. Eine Komödie muss sich immer wieder neu erfinden und man lacht auch nicht immer beim gleichen Witz. Deshalb muss man sich immer etwas trauen. Wenn man mal was Neues machen will oder wenn man die Leute wieder zum Lachen bringen will, dann ist das ein langer, schwerer, harter und auch ziemlich frustrierender Weg. Aber langsam lichten sich die Wolken, und plötzlich finde ich den Film auch lustig. Das war in den letzten Jahren nicht unbedingt mehr der Fall.

Zur Person

Leander Haußmann, Film- und Theaterregisseur und Schauspieler, bei einem Fototermin vor dem Kinostart seines Films "Stasikomödie". (Quelle: dpa/Carsten Koall)
dpa/Carsten Koall

Leander Haußmann (Jahrgang 1959) ist Regisseur für Film und Theater und Schauspieler. Der gebürtige Quedlinburger absolvierte von 1982 bis 1986 die Ernst Busch Schauspielschule in Berlin.

Haußmann führte unter anderem Regie in "Sonnenallee" (1999), "Herr Lehmann" (2003), "NVA" (2005") oder "Hai-Alarm am Müggelsee" (2013).

Der 62-Jährige lebt mit seiner Familie in Berlin.

"Stasikomödie" ist in mehreren Kategorien für den Deutschen Filmpreis 2022 nominiert, unter anderem "Beste männliche Nebenrolle" (Henry Hübchen) und "Bestes Kostümbild" (Janina Brinkmann)

Warum stellt sich keine Lust mehr ein? Weil Sie so lange daran gearbeitet haben, dass es irgendwann schal wird?

Der Film hat wahnsinnig viele Ebenen. Ich kann ihn selber gar nicht mehr beschreiben. Ich bin fast schon zum Zuschauer geworden. Eigentlich wollte ich einen Film machen wie "Die nackte Kanone" oder "Police Academy". Und plötzlich ist daraus eine ernsthafte Komödie geworden, wenn man das überhaupt sagen darf. Da war ich selbst erstaunt. Ich habe den Figuren von David Kross und von Henry Hübchen zugeschaut und festgestellt, dass sie plötzlich etwas spielen, womit ich nie gerechnet hatte.

In dem Film gibt es zwei Zeitebenen. David Kross spielt einen jungen Mann, der bei Rot nicht über die Ampel geht. Damit geht es los.

Man sollte sich auf jeden Fall beim Schauen des Films immer fragen, welcher Ampeltyp bin ich? Wie lange halte ich es aus, dass mir die Ampel vorschreibt, wann ich über die Straße zu gehen habe, obwohl die Straße leer ist. Und man sieht natürlich auch die Entwicklung in dieser Menschengemeinschaft. Das war ja unsere Coolness, dass wir uns eben nicht von einer Ampel sagen lassen, wann wir über die Straße zu geben haben. Mittlerweile beobachte ich vor allem im Prenzlauer Berg völlig absurde Situationen, wo Menschen stehen und stehen, es ist aber kein Auto da, wo ich sage, jetzt gehe halt rüber.

Im Film handelt es sich um eine manipulierte Ampel. Diese Idee habe ich von Roland Jahn. Wir haben immer angenommen, dass eine falsch geschaltete Ampel, wo es unglaublich lange Rotphasen an einer leeren Straße gab, nicht vielleicht von der Stasi manipuliert wurde, um zu sehen, ob sich die Leute an die Regeln halten und wie lange sie das aushalten. Und wenn dem so ist, dann spricht man die an, weil sie Befehlsempfänger sind. Und so geht der Film los.

Aber es gibt noch eine zweite Geschichte.

Diese Geschichte spielt in der Gegenwart, wo ein Dissident, ein gefeierter Schriftsteller, seine Stasi-Akte nach Hause mitbringt und seiner Familie zeigt. Als er die Akte aufschlägt, sehen sie als erstes einen Liebesbrief einer anderen Frau, der dort von der Stasi einsortiert wurde. Daraus ergibt sich, dass diese Frau ein Verhältnis mit ihm hatte als er verheiratet war. Das stört zwar die Helden, aber es ist trotzdem lustig. Das ist sozusagen die Rampe, über die wir in die Vergangenheit eintauchen.

Ich habe versucht, verschiedene Dinge, wie Atmosphäre, Lebensfreude, Liebe und Korrumpierbarkeit einzubringen. Er gerät in eine Situation sozusagen, wo er nicht mehr rauskommt, weil er den Moment nicht mehr findet, die Wahrheit zu sagen. Und insofern ist es natürlich auch ein Film über die Gegenwart und über uns. Was ist die Wahrheit? Sollten wir sie sagen? Ist es immer gut, wenn wir sie sagen? Wieviel Kollateralschäden wird diese Wahrheit am Ende haben?

Daraus ergeben sich lustige Situationen und auch natürlich traurige. Und ich wollte vor allem diesen DDR-Kitsch vermeiden. Es gibt keinen Heldenkitsch, wie beispielsweise Demos, die auseinander geprügelt wurden. Wir kennen das aus anderen Filmen, was auch okay ist, was auch sein muss. Aber ich bin halt, wie ich bin.

Es wurde gesagt, "Stasikomödie" ist das Ende einer Trilogie nach "Sonnenallee" und "NVA". Es tauchen auch wieder Detlev Buck und Alexander Scheer auf. Ist es tatsächlich jetzt für Sie so eine Art Schlusspunkt auch hinter das Erzählen von DDR?

Letztendlich ist es eine zufällige Idee, die ich in einem Buchladen hatte. Es gab dort ein Buch namens "Top Secret", in dem Observationsfotos aus dem Archiv der Stasi-Unterlagen gezeigt wurden. Und da waren unter anderem Fotos von Stasi-Leuten, die Tiere fotografiert hatten, wie zum Beispiel Hamster, Katzen und Wellensittiche.

Man hat lange darüber nachgedacht, was das wohl gewesen sein könnte. Man konnte es sich nicht anders erklären, als dass sie die Tiere einfach niedlich fanden und dem Drang nachgaben, das festzuhalten. Sie haben sich auch beim Warten im Auto selbst fotografiert. Dabei dachte ich mir, dass das nach einer Komödie schreit über so viel banale Menschlichkeit innerhalb eines natürlich zu Recht verrufenen Systems.

Was Ihnen auch immer total wichtig ist, ist die Musik. Die Filmmusik für "Stasikomödie" hat Malakoff Kowalski gemacht.

Er ist ein Genie. Er ist nicht nur ein sehr guter Musiker, sondern auch ein hervorragender Pianist, Gitarrist, Sänger und Komponist. Er hat diese zweite Ebene reingebracht, so dass die Komödie eine besondere Tiefe bekommen hat. Aber auch zu dieser Tiefe hin war es ein Weg, den mir diese Geschichte und die Leute, die da drin agieren, gezeigt hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Leander Haußmann führte Marion Brasch, Radioeins.

Der Text ist eine gekürzte und redaktionell überarbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Radioeins, 19.05.2022, 08:40 Uhr

11 Kommentare

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  1. 11.

    vor 40 Jahren hätte ich den Film nicht verstanden. Aber sie haben vielleicht recht, dass es nur noch wenige gibt, die den verstehen. ich finde ihn genial

  2. 10.

    Danke füt die Infos; waren mir bisher ja nicht bekannt, ;)) Und Leander Haußmann hat bestimmt die Stasi nicht verniedlicht. Eher verlacht! Dafür mussten sein Vater und er zu viel drunter leiden. Ich finde seine Filme cool. Der Osten als Absurdistan. War es ja auch irgendwie. Gerne würde ich mal ne Statistenrolle spielen. Ob Haie im Mügelsee sind oder ähnliches...

  3. 9.

    Der Staatssicherheitsdienst der DDR war übrigens kein "Staat im Staat" sondern ein von der herrschenden SED kontrolliertes Organ, welches gezielt zur eigenen Machtsicherung eingesetzt wurde.
    Es wurde also das ausgeführt, was politisch seitens der SED gewollt war. Insofern geht es immer auch um die SED, wenn von der STASI die Rede ist...

  4. 8.

    Der Film kommt 40 Jahre zu spät. Es ist leicht, jetzt über die STASI zu witzeln, aber was bringt das heute?
    In den Zeiten der realen Existenz dieses Regimes wäre ein solcher Film wichtig gewesen. Heute empfinde ich Filme dieser Art oft als biedermeierhaft, verniedlichend.
    Vielleicht gefällt es deshalb so vielen im Westen?
    Als jemand, der diese Zeit bewusst erlebt hat, teile ich diese Begeisterung dafür jedenfalls nicht. Je weiter die realen Geschehnisse zurückliegen, desto klischeehafter wird in Spielfilmen diese Zeit dargestellt, finde ich. Das empfinde ich oft auch bei Filmen über die Nazizeit. Bis auf wenige Ausnahmen, die dann sehr persönlich und künstlich differenziert sind.

    Zum Titel des RBB-Artikels: "Stasikomödie" klingt für mich sehr nach DDR-Kitsch.

  5. 6.

    Aber das zeichnet doch gerade die Filme von Leander Haußmann so aus, beides, tiefgründig Ernstes und humorvolles Miteinander zu verbinden. Aber wer bin ich schon als der klassische Wessi um über die damalige Stasi hier ein Urteil abzugeben. Für mich ist dieser Film schon deshalb interessant, da ich alle bisherigen Drehs von diesen Regisseur als sehr gelungen empfinde.

  6. 5.

    "Der große Diktator" ist ein wirklich großer Film. Und in der Zeit des Faschismus entstanden. Nicht 33 Jahre nach der Diktatur, wie jetzt Haußmanns Film.
    Chaplin selbst zeigte sich nach Bekanntwerden des ganzen Ausmaßes der Gräueltaten der Nazis mit Konzentrationslagern und Holocaust selbstkritisch ob der Darstellung in seinem Film. Aber er hat sich damit in der Zeit der Diktatur gegen Hitler gewandt. Das gebührt allen Respekt!

  7. 4.

    Dann werden Sie wohl an "Der große Diktator" von Charlie Chaplin auch etwas auszusetzen haben.

  8. 3.

    Eine Stasikomödie wäre in der DDR mutig und sehr wichtig gewesen. Da hat sich kein Künstler derartiges getraut, es war auch nicht möglich. Welchen Sinn hat ein solcher Film heute?
    Sollen die Verbrechen des Staatssicherheitsdienstes banalisiert und verniedlicht werden? Es scheint fast so zu sein.

  9. 2.

    Klingt vielversprechend! Rekrutierungs-Lichtzeichenanlagen gibt es auch weit über 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch. Und sie sind immer erfolgreicher; auch in der Zweiradversion! - Gibt's in Hausmanns Film auch Bilder von Leuten, die Katzen knipsen? Dann kuck ich den auf jeden Fall.

  10. 1.

    Ich schätze den Regisseur sehr. Was aber an der Stasi und ihren Verbrechen gegenüber der Bevölkerung lustig sein soll, werde ich niemals verstehen. Die Arbeit der Stasi war teilweise absurd, oft dumm, ideologisch, ruinierte und gefährdete Gesundheit und Leben von Menschen und hat tausende auf dem nicht vorhandenen Gewissen. Sie war gefährlich und mit Machtbesessenen besetzt, die sich teilweise bis heute nach Rache sehnen und nichts unversucht lassen, der Demokratie zu schaden. Nicht witzig.

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