Konzertkritik | Die Toten Hosen - Das Feuer muss so derart brennen in den Typen

Vier Jahrzehnte lang gibt es die Toten Hosen jetzt. Bevor es zur Jubiläumstour in die großen Hallen und Arenen geht, spielte die Band am Mittwoch im Astra Kulturhaus. Hendrik Schröder war da - und anschließend nass geschwitzt bis auf die Knochen.
Die Aufregung ist groß. Schon bevor die Band überhaupt auf der Bühne ist, singt das Publikum. "Komm mit uns, verschwende Deine Zeit", grölt ein grauhaariger Endvierziger mit Lederjacke und Mini-Zopf. "Hey Ho, let's go" schreit eine Mittzwanzigerin mit knallrot gefärbten Haaren.
Und dann kommen die Hosen auf die Bühne - und es dauert keine drei Songs bis der Laden bebt. Bierbecher fliegen durch die Gegend, schwitzend und tobend wogen die 1.400 Zuschauer:innen hin und her im Berliner Astra. Die ersten lassen sich auf den Händen der anderen Fans durch die Halle tragen, die Menge singt so laut jeden Song mit, dass Campinos Gesang manchmal kaum zu verstehen ist.
Falten, Action, Punkrock
Bandmitglieder Campino, Breiti, Kuddel und Andi kennen sich seit der Schule. Jetzt gehen sie auf die 60 zu - und machen das immer noch. Man kann sich das eigentlich kaum vorstellen. Drummer Vom ist ein paar Jahre jünger und kam später dazu, gilt immer noch als der "Neue".
In einem Lied der Toten Hosen heißt es: "Die Jahre ließen Spuren, man kann sie deutlich sehen, wir würden uns das so nie sagen, weil wir Freunde sind". Das trifft es ziemlich gut. Denn ja, man sieht die Jahre, die Exzesse, die endlosen Touren ihren Gesichtern an. Aber das Feuer für diese Musik, diese Band, diese Jahrzehnte alte Freundschaft, muss so derart brennen in den Typen.
Zu keiner Sekunde hat man das Gefühl, dass da Leute Musik machen, die demnächst aufs Rentenalter zusteuern. Campino turnt wie eh und je im Dauerlauf über die Bühne, schmeißt sich in die üblichen Campino Posen, guckt mit zusammengekniffenen Augen ins Publikum, klettert auf die Monitorboxen. Basser Andi kann immer noch den so geschmeidigen Kick in die Luft, während des Spielens und genau auf den Beat. Und Gitarrist Kuddel strahlt eigentlich einfach die ganze Zeit, seine Augen sagen: Endlich wieder spielen, endlich wieder auftreten.
Und die Toten Hosen geben alles, zwei Stunden Feuerwerk: "Hier kommt Alex" spielen sie, "Liebeslied", "Auswärtsspiel", viele alte Songs. Ein paar Nummern vom kommenden Album. Immerhin: Man kann feststellen, dass die Band mittlerweile dort angekommen ist, dass die Leute die alten Songs deutlich härter abfeiern als jüngeres Material.
Rockstar-Tränen der Rührung
Für die Fans ist das sowieso ein Ereignis, diese Stadionband mal ohne große Lightshow, ohne Pyrotechnik und riesigem Graben vor der Bühne zu sehen. So nah, so pur.
Die Hosen haben Fans, die ihnen zu fast jedem Konzert hinterherreisen, die vor der Show fachsimpeln, ob die Band auf der Tour 2016 in Jena besser war oder in Leipzig. Also so ähnlich zumindest. Irgendwann hält Campino eine kleine Rede, wie geil das sei, wieder sowas erleben zu dürfen, nach der langen Corona Zeit, wie wichtig das für sie sei, dieses Feedback, diese Resonanz zu bekommen. Und am Ende wird seine Stimme brüchig und er wischt sich ein paar Tränen aus den Augen. Ist das nicht rührend? Dass die Rockstars, die seit vielen Jahren die größten Arenen spielen, feuchte Augen bekommen, weil sie das alles so sehr vermisst haben?
Da geht noch was
Viel Zeit für Sentimentalität ist nicht, die Band spielt "Opel Gang" und die Crowd dreht komplett durch. Die Toten Hosen haben es geschafft im kompletten Mainstream anzukommen und ein dem Anschein nach durch und durch "normales" Publikum anzusprechen. Cool oder fresh oder vogue oder wie man das nennen möchte, sind die Hosen schon lange nicht mehr. Aber trotz alledem hat es die Band geschafft, wild und großmäulig, hart und schnell und ein bisschen unbequem zu bleiben. Und sich über vierzig Jahre die Freundschaft zu bewahren. Das ist was.
Ein paar Jährchen wollen sie noch dran hängen, sagt Campino in einer Ansage. Warum auch nicht, sie können es ja noch.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.05.2022, 07:10 Uhr