"Pussy Riot" im Berliner Funkhaus - Flucht nach vorne
Wenige Tage nach der spektakulären Flucht von Frontfrau Maria Aljochina hat die Band Pussy Riot am Donnerstag ein Konzert im Berliner Funkhaus gespielt. Der Krieg in der Ukraine und die Situation in Russland standen im Vordergrund. Von Oliver Soos
Das Konzert beginnt mit dem Krieg. Anastasia kommt auf die Bühne und erzählt, dass sie gerade aus der Ukraine geflohen ist.
"Ich bin hier, um Euch daran zu erinnern, dass das, was gerade passiert, nicht mein Problem ist, sondern unser Problem. Ich bin hier, um Euch daran zu erinnern, dass das kein Krieg mehr ist, es ist ein Genozid an den Ukrainern."
Auch der Rest des ersten Konzerts von Pussy Riot nach der Flucht von Sängerin Maria Aljochina aus Russland im Berliner Funkhaus verläuft vor knapp 800 Menschen gewohnt politisch.
Wie ein Engel, der gerade aus der Hölle kommt
Maria Aljochina und ihre Band kommen kurz nach der Ansprache von Anastasia, in der auch noch angekündigt wird, dass ein Großteil der Erlöse des Konzerts an ein Kiewer Krankenhaus gespendet wird, auf die Bühne.
Sie und ihre Gesangspartnerin Olga Borisova tragen die Pussy Riot typischen Sturmhauben, heute in den ukrainischen Farben gelb und blau. Aljochina reißt sich ihre Maske vom Gesicht und ihre langen blonden Locken fallen heraus. Sie trägt ein weißes schulterfreies Kleid und starrt erst einmal mit apathischem Blick ins Publikum. Dabei wirkt die 33-Jährige wie ein Engel, der gerade aus der Hölle kommt.
Putin grinst im Hintergrund
Auf elektronischen Beats und Improvisationen des Bühnensaxofonisten Anton Ponomarjow sprechen und schreien Maria Aljochina und Olga Borisova abwechselnd. Sie erzählen in mehreren Kapiteln die Geschichte von Pussy Riot, von der Festnahme nach dem weltweit berühmt gewordenen Punk Gebet in der Moskauer Christ-Erlöser Kathedrale 2012, vom unfairen Prozess, vom Straflager und vom Hungerstreik. Und immer wieder Aufrufe, Putin zu zerstören und Russland zu befeien. Auf einer Leinwand hinter der Bühne laufen Videos von Demonstranten, die verprügelt werden und von Festnahmen. Man sieht den grinsenden Putin.
Das Publikum im Berliner Funkhaus ist am Donnerstagabend bunt gemischt. Man hört Deutsch, Englisch, Russisch, Polnisch und Spanisch. Die meisten haben erst sehr spontan erfahren, dass Pussy Riot in Deutschland auf Tour ist. "Ich bin eigentlich eine andere Generation und habe nicht so wirklich viel Ahnung, aber ich weiß, welchen Kampf diese Frauen ausgestanden haben, wie oft die auch inhaftiert waren", sagt eine ältere Frau.
Ein Mann sagt, er sei Russe und kenne Pussy Riot schon lange. "Es ist eine regimekritische Band, die ich unterstützte. Wir haben einen nicht legitimen Vernichtungskrieg", fügt er nüchtern hinzu.
19 Konzerte geplant
Als Zuschauer ist das Konzert auch anstrengend. Über die Leinwand huschen ziemlich schnell die englischen Übersetzungen der Texte. Gleichzeitig wirbeln die Musiker mal in Sturmhauben, mal mit weißen Gesichtsmasken über die Bühne und machen skurrile Verrenkungen. Eindringlich, aggressiv und hektisch.
Es ist keine leichte Kost - aber kein Wunder, wenn die Frontfrau nichts Angenehmes zu erzählen hat. Sie war zuletzt wieder ein Jahr in Hausarrest, wegen einer Demonstration für den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Im Zuge der letzten Gesetzesverschärfungen in Russland sollte sie wieder 21 Tage in den Knast gehen.
Maria Aljochina ist vor allem wegen ihrer Tour geflohen. Insgesamt sind 19 Konzerte in Europa angekündigt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.05.22, 8 Uhr