Opernkritik | "Der Schatzgräber" - Erstaunlich heutig

In den 1920er Jahren war "Der Schatzgräber" ein höchst erfolgreiches Stück auf vielen deutschen Bühnen, dann kam der Rezeptionsbruch unter den Nazis. Jetzt wagt sich die Deutsche Oper Berlin an das anspruchsvolle Werk. Und gewinnt. Von Harald Asel
"Hoppla, ein Galgen, das riecht nach Kultur". So lapidar, halb kalauernd, halb tiefsinnig fasst der Hofnarr im zweiten Aufzug von Franz Schrekers "Der Schatzgräber" zusammen, was die ganze Oper durchzieht: mächtiges Begehren, nach Menschen, nach Schätzen, aber auch Abgründe von Macht und Ohnmacht.
Der Narr hat einen Auftrag. Er soll jenen fahrenden Sänger finden, der mit einer Wunderlaute Schätze entdecken kann, auch jenen gestohlenen der Königin. Ohne Klunker siecht die dahin. Ein Märchen, was sonst?
Oder doch ein Krimi? Denn da ist eine junge Frau, Els, die ihre Bräutigame morden lässt, um an Schmuck zu kommen. Und die dann jenem fahrenden Sänger, Elis, verfällt. Wie immer, wenn die Handlung einer Oper erzählt werden soll, klingt das komplizierter, als es am Ende ist.
Denn die im breiten spätromantischen Sound daherkommende Oper ist vor allem das Psychogramm einer Erstarrung, einer Erstarrung von Wünschen und Lebensentwürfen, im Machtgefälle zwischen einer Herrscher-Elite und den Außenseitern Sänger und Mädchen. Geschrieben wurde sie in den Jahren des 1. Weltkrieges, als weltpolitische und gesellschaftliche Gewissheiten ebenso zerbröselten wie der Glaube an eine feststehende Identität des Individuums. Mit der Psychoanalyse wurde klar: Wir sind nicht Herr im eigenen Haus.

Das wirkt erstaunlich heutig. Und die Deutsche Oper Berlin ist dafür zu loben, dass sie das Gespür für die Gegenwärtigkeit dieses Stücks von vor 100 Jahren schon bei der Planung hatte, als Corona und Ukrainekrieg noch nicht am Horizont erschienen waren.
In Regisseur Christof Loy und seinem Ausstatter Johannes Leiacker ist ein Team am Werk, das bei präziser, doch sparsamer Personenregie und in einem tiefgekülten schwarzen Marmorsaal eine Welt ohne Ausweg zeigt. In diesem Einheitsbühnenbild sind sie alle immer gegenwärtig: männlicher Hofstaat und Militärs, eine bleiche (nie singende) Königin und ansonsten Frauen nur als Mitarbeiterinnen eines Catering-Unternehmens. Ein wenig routiniert wirkt das allerdings schon, die Entgrenzungen eingehegt auf ein konsumierbares Maß.
Kein Ausweg? Die Oper bietet in der Mitte einen an. Elis und Els geben sich in einer Liebesnacht ohne Vorbehalte einander hin. Schrekers Musik ersetzt das, was 1920 auf der Bühne nicht zeigbar war. Sie weiß viel von Begehren und Verführen, von zärtlicher Annäherung und saftigem Sex. Da hätte es der abgezirkelten Choreographie einer Orgie des Hofstaates wahrlich nicht bedurft.

Elisabet Strid als Els ist das Ereignis des Abends. Dem schwedischen Sopran gelingt es fast mühelos, über die Klangmassen des Orchesters hinweg sowohl die Femme fatale als auch das darin steckende verschüchtere Mädchen, die böse berechnende Frau und die am Ende Gebrochene darzustellen.
Daniel Johansson als Sänger Elis muss kräftig kämpfen, um mithalten zu können. Seine Stunde kommt später, wenn er die Sterbende tröstet. Denn das Lyrische scheint ihm doch mehr zu liegen, als der Heldentenor. Und dann ist da noch, voller Melancholie, gegen das Wissen um Vergeblichkeit ansingend: der Narr des Michael Laurenz.
Doch der eigentliche Star ist das Orchester der Deutschen Oper. In der herben Eindringlichkeit der Schrekerschen Tonsprache ist kein Platz für Geschwätzigkeit. Um so mehr für überraschende Wendungen, Klangwechsel, die einem manchmal vorkommen, als würden wir im Flugzeug in ein Luftloch fallen.
Marc Albrecht am Pult schafft immer wieder Raum, um all die Fragezeichen, die aus dem Orchester kommen, so einzusetzen, dass wir zögern, uns gänzlich dem Rausch hinzugeben. Und so wird "Der Schatzgräber" an der Deutschen Oper Berlin zu einem umjubelten Abend. Ich frage mich nur: Warum hat diesen Schatz so lange niemand gehoben?
Sendung: Inforadio, 02.05.2022, 8:55 Uhr