Tindersticks im Tempodrom - In der Gedämpftheit liegt die Kraft

Do 05.05.22 | 09:14 Uhr | Von Jakob Bauer
Archivbild: Saenger Stuart A. Staples auf einem Konzert der Tindersticks 2016 (Quelle: imago/Ben Kriemann)
Audio: Inforadio | 05.05.2022 | Jakob Bauer | Bild: www.imago-images.de

Andere Bands feiern ihre Geburtstage mit Slogans wie "30 Jahre und noch lange nicht leise". Bei der britischen Band Tindersticks ist die Tour zum dreißigjährigen Band-Jubiläum eher ein Fest der leisen Intimität, findet Jakob Bauer.

"Hum, somebody turned off the hum": Irgendjemand, singt Stuart Staples im Song "Tree Fall", hat sogar das sanfte Summen zum Schweigen gebracht. Und jetzt? Es ist eine Zeile, die den Ansatz der englischen Band Tindersticks ganz gut auf den Punkt bringt: In der Gedämpftheit liegt die Kraft. Diese Band macht seit 30 Jahren Musik, die ganz leicht zu überhören ist, weil sie sich nie aufdrängt, eigentlich im Hintergrund in einem Café laufen könnte. Aber wenn man hinhört, dann entfaltet diese Musik einen ganz außergewöhnlichen Sog, auch an diesem Abend im Berliner Tempodrom.

Absichtlich vorbei an den richtigen Tönen

Die Band besteht aus fünf Mitgliedern: Der Gitarrist schrammelt keine Akkorde, er zupft. Der Drummer haut nicht auf die Trommel, er tupft. Das Vibraphon und die Keyboards wabern, und der Bassist sieht es gar nicht ein, dem Gesamtklang eine klare Erdung zu geben.

Der Dreh und Angelpunkt der Band ist allerdings Stuart Staples, der Sänger der Tindersticks. Mit unförmigem Hut, weiter Hose und der Hand fast immer am Herz gleitet Staples emotional höchstinvolviert und mit englischer Eleganz durch diese Show. Seine Stimme ist mehr als außergewöhnlich: Häufig zunächst ein zerbrechliches Hauchen, das zu Vibrieren anfängt und sich dann in pure Intensität steigert. Seine Gesangslinien sind dabei, ganz bewusst und äußerst kunstvoll, immer einen Achtel-, einen Viertel-, einen Halbton genau an der Melodie vorbei, die man eigentlich gerade erwarten würde. Das kann irritierend wirken, aber diese Stimme ist so warm, dass man ihr einfach blind vertraut.

Von der Melancholie zur Paranoia

Diese Unklarheit schwingt überall mit. Nicht nur in der Stimme, sondern auch in unaufgelösten Akkorden und unerwarteten Harmoniewechseln. Im Lauf des Konzerts stellt sich immer mehr ein Gefühl des Dazwischens ein, zwischen einlullender, positiver Melancholie und dahinter lauernder Schwermut. Bisweilen hat man das Gefühl, die Tindersticks haben hier einen Wettbewerb dazu am Laufen, wer leiser spielen kann.

Allerdings git es auch die treibenden, fast krautrockigen Momente, die manchmal fast ins Paranoide kippen, wenn Stuart Staples getrieben ins Mikrofon raunt "Scared Of My Shadow, Afraid Of Myself", die Gitarre Runde um Runde mit der immer gleichen Melodie dreht und das Schlagzeug trotz Dämpfung eindringliche Rast- und Ruhelosigkeit versprüht.

Und dann gibt es da noch die große Gesten. Denn die Band hat ein komplettes Streichorchester mit ungefähr 15 Leuten dabei. Sie schenken häufig noch mehr Wärme, fügen melodische Tupfer hinzu und komplettieren die angemessene Feierlichkeit und Würde dieses Abends.

Auf weitere 30 dezent-großartige Jahre

Rein showmäßig ist bei dieser zurückhaltenden Band allerdings naturgemäß nicht sonderlich viel los. Stuart Staples sagt nach jedem Song mit aufrichtigem Lächeln "Thank You" und bedankt sich einmal etwas länger für die dreißig gemeinsamen Jahre. Außerdem erwähnt er, wie schön es sei, wieder gemeinsam in einem Raum Musik zu erleben.

Recht hat er. Das Tempodrom ist leider nur zu einem guten Drittel gefüllt, aber das Pubulikum dankt es mit konzentrierter Aufmerksamkeit, auch emotionaler. Die Köpfe wiegen mit und auch ich bin immer wieder wie gefangen in diesem Konzert, fühle mich gleichzeitig ausgesetzt, verloren und sicher. Und das muss Musik erst einmal schaffen. Auf weitere dreißig dezent-großartige Jahre mit den Tindersticks.

Sendung: Inforadio, 05.05.2022, 7:55 Uhr

Beitrag von Jakob Bauer

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