Interview | 48 Stunden Neukölln - "Am Ende sollen alle laut rufen: Kafayı yemek - Ich esse meinen Kopf"
Neukölln wird wieder zum größten Kunstfestival Berlins. "48 Stunden Neukölln" präsentiert am Wochenende Kunst drinnen und draußen. Sharmila Sharma und Siri Ermert leiten das Festival und wollen es diverser - und vor allem verrückter gestalten.
rbb: In diesem Jahr findet das Festival "48 Stunden Neukölln" erstmals unter einem türkisch-deutschen Motto statt: "Kafayı yemek - Ich esse meinen Kopf." Wofür steht dieses Motto?
Siri Ermert: "Ich esse meinen Kopf" ist die wortwörtliche Übersetzung von Kafayı yemek. Das klingt im ersten Moment vielleicht etwas komisch. Die sprichwörtliche Übersetzung führt da aber sicherlich weiter. Im Türkischen wird Kafayı yemek meist verwendet für "Ich drehe durch, ich drehe am Rad". Man könnte zum Beispiel sagen: "Oh mein Gott, ich drehe durch, der Himmel ist so schön!" Das ist durchaus positiv gemeint und da schließt sich auch der Kreis zu einem Kunstfestival.
Entsprechend dieses Mottos können die Besucher:innen von "48 Stunden Neukölln" in diesem Jahr also davon ausgehen, dass sie auf 200 total verrückte Kunstwerke treffen?
Sharmila Sharma: Vielleicht auch das. Grundsätzlich sind bei unserem Kunstfestival aber natürlich alle Sparten und Formen von Kunst abgedeckt. Die Künstlerinnen und Künstler haben das Motto auf ihre ganz eigene Art interpretiert. Da gibt es ganz viele Facetten.
Siri Ermert: Eines meiner liebsten Projekte ist zum Beispiel "Ennui" [48-stunden-neukoelln.de] von Funda Zeynep Ayguler. Das ist eine Augmented-Reality-Installation auf einer stillgelegten Tankstelle auf der Sonnenallee. Da sitzen zwei Figuren auf dem Dach und bewegen sich in einem Zustand von Ennui (übersetzt: Langeweile). Das können Betrachter in einer künstlerisch geschaffenen Realität erleben. Das führt einem eindrucksvoll vor Augen, was es heißen kann, in einer Leistungsgesellschaft zu leben. Die stillere Seite des "Verrücktwerdens" sozusagen.
Im Norden von Neukölln sind in diesem Jahr acht so genannte Signals aufgebaut. Findet damit das Festival noch präsenter im öffentlichen Raum als sonst statt?
Sharmila Sharma: Genau, die Signals sind ein Förderschwerpunkt bei "48 Stunden Neukölln" in diesem Jahr. Eines dieser Signals wird unter dem Titel "I love you" auf dem Richardplatz präsentiert. Sobald die Besucher:innen den Platz betreten, werden sie aus den verschiedensten Ecken in verschiedensten Tonlagen, Emotionen und Sprachen den Ausspruch und Ausdruck der Liebe präsentiert bekommen. Im besten Fall können sie das Gefühl von Liebe dann nachempfinden. Zumindest aber können sie erfahren, auf welche Weise in anderen Sprachen geliebt wird. Das ist schon eines der Highlights in diesem Jahr.
Als Sie die Festivalleitung übernommen haben, haben Sie sich vorgenommen, "48 Stunden Neukölln" diverser zu gestalten. Hat das Festival auch deswegen in diesem Jahr erstmals einen türkischen Titel bekommen?
Sharmila Sharma: Genau, das ist zumindest ein erster Schritt in diese Richtung. Die Resonanz darauf ist enorm positiv - einzelne Ausnahmen gab es natürlich auch. Wir freuen uns, damit jetzt ein Zeichen zu setzen. Es wurde auch Zeit. Es ist das erste türkischsprachige Motto nach 23 Jahren Festival in Neukölln. Einem Bezirk, in dem die türkische Sprache ja nicht gerade selten zu hören ist.
Als Sie mit der Planung von "48 Stunden Neukölln" begonnen haben, waren wir mitten in der Pandemie. Kein einfacher Job. Hatten Sie neben all dem Stress auch ein bisschen Spaß?
Sharmila Sharma: Gute Frage! Die furchtbar anstrengenden Seiten würde ich jetzt zum Start des Festivals wirklich gerne vergessen! Das Jahr war sehr herausfordernd. Wir arbeiten ungefähr seit August daran. Umso glücklicher sind wir jetzt, zu sehen, wie alles zusammenläuft, wie das Programm fertig geworden ist und wie alle sich darauf freuen, dass es losgeht. Die Künstler:innen sind total happy, wir sind es auch. Das ist jetzt, trotz der Pandemie, die am Anfang über jedem Planungsschritt hing, schon ein krasser Glücksmoment.
Was sollten glückliche Besucher:innen am Ende der 48 Stunden Neukölln idealerweise über ihr erstes gemeinsames Festival sagen können?
Siri Ermert: Wir hoffen natürlich, dass alle von guten Erfahrungen sprechen können, dass es ein sicheres Festival mit vielen Begegnungen und Austausch sein wird. Und am Ende rufen die Besucher:innen vielleicht auch einfach Kafayı yemek!

Das Gespräch mit Sharmila Sharma und Siri Ermert führte Frank Meyer, rbbKultur. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Beitrag im Audio hören.
Sendung: rbbKultur, 22.06.2022, 17:45 Uhr