Autor:innen-Theatertage 2022 - "In toxischen Zeiten braucht es das Theater als Entgiftungsanstalt"

Do 09.06.22 | 11:20 Uhr | Von Barbara Behrendt
Gastspiel - Nationaltheater Mannheim und Theater Rampe Stuttgart <<Wounds Are Forever>> (Selbstportrait als Nationaldichterin) von Sivan Ben Yishai. (Quelle: deutschestheater.de/Christian Kleiner)
Audio: Inforadio | 09.06.2022 | Interview mit Barbara Behrendt | Bild: deutschestheater.de/Christian Kleiner

Die Autor:innen-Theatertage wurden mit einem Stück der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai eröffnet. Starker Text, aber zähe Inszenierung, so das Fazit von Barbara Behrendt. Bis zum 18. Juni warten unter anderem noch drei Uraufführungen auf das Festival-Publikum.

"Wounds are forever" der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai ist ein wahnsinniger Parforceritt durch 80 Jahre deutsch-israelisch-palästinensische Geschichte - und zwar als surreales Selbstporträt. Mit dem Stück hatte Ben Yishai im Mai den renommierten Mühlheimer Dramatikerpreis gewonnen, am Mittwoch war es eines der beiden Eröffnungstücke der Autor:innentag am Deutschen Theater in Berlin.

Das Festival der zeitgenössischen Dramatik liefert jedes Jahr einen guten Überblick über die wichtigen Theaterstücke der Saison. Neben zahlreichen Gastspielen von Hamburg bis Österreich sind drei Uraufführungen neuer Stücke zu sehen, die von einer Jury im Vorfeld ausgewählt worden sind. In diesem Jahr kann das Festival wieder live und in ganzer Größe stattfinden - das ist auch deshalb schön, weil es die Jubiläumsausgabe zum 25. Bestehen der Autor:innen-Theatertage ist.

Wirklichkeit auf der Bühne sichtbar machen

In seiner pointierten Eröffnungsrede machte sich der Juror und Dramatiker Ferdinand Schmalz für die poetische Form im Theater stark. Es brauche eine Kunstsprache, um Themen aus der Wirklichkeit auf der Bühne sichtbar zu machen. Soll heißen: Mit aktivistischen Doku-Dramen kommt man dem Theater nicht bei. Wenn das Theater Sprache jedoch genau untersuche, zeigen sich die Brüche und Lügen in unserem Sprechen und Handeln: "In toxischen Zeiten braucht es das Theater als Entgiftungsanstalt."

Eröffnungsautorin Ben Yishai ist eine ungewöhnliche Autorin, die man in den vergangenen Jahren schwer übersehen konnte. Ihre Stücke sind bildgewaltig, wuchtig, sprachlich krass, doch auch poetisch und geschmerzt, immer durchtränkt von einem bitteren Sarkasmus. Beim Theatertreffen war gerade ihr Stück "Like Lovers Do" von den Münchner Kammerspielen zu erleben, eine Anklage gegen Gewalt gegen Körper, in der explizit Vergewaltigung und Gewaltpornografie verhandelt werden.

Auf dem Rücken einer Schäferhündin durch die Geschichte

Ihr am Mittwoch gezeigtes Selbstporträt beginnt 2019 in Mannheim, wo Yishai als Hausautorin am Theater arbeiten soll und ihre Eltern in Israel sich darüber lustig machen: Ihre Tochter werde den Deutschen jetzt zum "Joker-Jew", also zur Feigenblatt-Jüdin, die einzige jüdische "Nationaldichterin".

Im Anschluss reist Yishai quer durch die Zeit. Ins Deutschland 1938, wo ihre Flucht misslingt, da Kanada keine Juden aufnehmen will. Ins sowjetische Kriegsgebiet, wo sie zur Partisanin wird. Hunde reißen ihr die Gedärme heraus. Sie rettet sich, indem sie auf dem Rücken einer Schäferhündin davonreitet. Sie schwimmt auf den Meeresgrund, wo so viele Fluchtgeschichten enden. Landet bei der Gründung Israels und schließlich 2014 in Tel-Aviv, wo jüdische Jungs aus Rache einen arabischen Jungen umbringen. Weniger selbstreferenziell ist das, als nach der Aufarbeitung der Geschichte fragend.

Kongeniale Kostüme

Kongenial an der Inszenierung sind die Kostüme von Moran Sanderovich. Die Schauspieler:innen stecken in hautengen Anzügen, die mit Sehnen und Muskeln bemalt sind, sodass sie wie gehäutete Menschen wirken. Darüber tragen sie Bein- oder Schulterschoner, als wären ihnen einzelne Rüstungsteile gewachsen, als hätten sie sich notdürftig zu schützen gelernt. Es ist ein treffendes Bild für die durch die Geschichte traumatisierten Menschen, die analog zum Titel "Wounds are forever" verletzt bleiben, verletzlich sind – und versuchen aufzurüsten. Ihre Kalaschnikows sind Mischungen aus Krücken und Gewehren. Diese übel anzusehende Zombie-Truppe passt bestens zur Krassheit des Textes.

Die Regisseurin Marie Bues inszeniert das mit sechs Schauspieler:innen, die oft chorisch sprechen, manchmal liegen sie auch wie tot am Boden. Doch die meiste Zeit reden sie statisch ins Publikum, ohne, dass sich szenisch viel ereignen würde. Von der Seite dröhnt basslastige Live-Musik – doch darüber hinaus hat die Regisseurin wenig strukturiert. Da der Text so komplex und verschachtelt durch die Zeit mäandert, immer wieder neu ansetzt, ist es schwer, dem Abend ohne vorherige Textlektüre gänzlich zu folgen. Zwei Stunden werden da allmählich zäh.

Gastspiel - Nationaltheater Mannheim und Theater Rampe Stuttgart <<Wounds Are Forever>> (Selbstportrait als Nationaldichterin) von Sivan Ben Yishai. (Quelle: deutschestheater.de/Christian Kleiner)
Bild: deutschestheater.de/Christian Kleiner

Viel böser Humor im Text

Die schönsten Momente sind jene, in denen die echte Sivan Ben Yishai als große Video-Projektion erscheint und ihre eigenen Eltern spielt, die sich über die Arbeit der Tochter bei den Deutschen beschweren. Da bemerkt man erst, wie viel böser Humor in diesem Text steckt – und spürt die offenen Wunden der Geschichte, die auch heute nur notdürftig verbunden sind. Diesem starken Text wäre für die Zukunft eine noch fantasievollere, irrere, plastischere Inszenierung zu wünschen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2022, 07:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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