Ausstellung: Staatsbürgerschaften - Wer gehört zu uns - und wer nicht?

Do 30.06.22 | 16:27 Uhr | Von Sigrid Hoff
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Ausstellungsansicht „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789” (Quelle: Deutsches Historisches Museum/Eric Tschernow)
Audio: rbb24 Inforadio | 30.06.2022 | Sigrid Hoff | Bild: Deutsches Historisches Museum/Eric Tschernow

Staatsbürgerschaften seit 1789 - das klingt sperrig, ist aber erstaunlich facettenreich. Eine neue Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin zeigt, wie hochemotional - und aktuell - die Frage der nationalen Zugehörigkeit ist. Von Sigrid Hoff

"Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch." 1940/41 hatte Bertolt Brecht dies in seinen Flüchtlingsgesprächen im US-amerikanischen Exil formuliert. Er wusste wohl, wovon er sprach.

Ein Pass gewährleistet, das sich die Bürger eines Staates auf dessen Schutz und Rechte beziehen können. Die Staatsbürgerschaft stellt fest, wer dazugehört – aber auch wer nicht. Die neue Ausstellung "Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789" des Deutschen Historischen Museums in Berlin nimmt das bis heute brisante Thema in den Blick. Sie geht dem Bedeutungswandel des Begriffs nach. Und sie versucht die Ambivalenz aus Dazugehörigkeit und Abgrenzung am Beispiel der drei Nachbarländer in der Mitte Europas bis in die Gegenwart nachzuvollziehen.

Frage von Zugehörigkeit und Abgrenzung

Ein Video ist am Eingang zur Schau zu sehen: Besucher:innen in Berliner Parks wurden im Frühjahr 2022 danach befragt, welche Bedeutung der Pass für sie besitzt. Die Antworten fallen mehr oder weniger gleichgültig aus. Die meisten verbinden mit dem Dokument kein Nationalgefühl. Hätte man diese Frage vor 150 Jahren in Frankreich, Deutschland und ab 1918 im wiederbegründeten Polen gestellt, hätten die Antworten wohl dankbarer geklungen und die Liebe zum Vaterland hervorgehoben.

Es ist ein sperriges und bis heute hochemotionales Thema: Spätestens mit der Entstehung des modernen Nationalstaats im 19. Jahrhundert ist die Frage der Staatsbürgerschaft auch eine Frage von Zugehörigkeit aber auch Abgrenzung.

Triage-Pass von Jean-Jacques Tschopp 1919, Colmar (Quelle: Archives départementales du Haut-Rhin)
Triage-Pass von Jean-Jacques Tschopp, 1919, Colmar | Bild: Archives départementales du Haut-Rhin

"Phasen tiefster Feindschaft bis hin zu dem Willen, den anderen auszulöschen"

Ausgangspunkt ist das Jahr 1789 mit der Erklärung der Menschenrechte in Frankreich. Sie rückt erstmals den citoyen, den Staatsbürger, ins Zentrum der Verfassung, stattet ihn mit Rechten und Pflichten aus. Ein chronologischer Überblick zeigt die jeweilige Entwicklung des Begriffs Staatsbürgerschaft, macht aber auch Ambivalenzen deutlich.

Das Verhältnis der drei Nachbarstaaten Frankreich, Deutschland und Polen im Herzen Europas in den letzten 200 Jahren ist mit dem jeweiligen Verständnis von Staatsbürgerschaft eng verknüpft. "Es hat friedlichen Austausch, Phasen von Assimilation, von Akkulturation, von Integration zwischen den Ländern gegeben, aber auch Phasen tiefster Feindschaft bis hin zu dem Willen, den anderen auszulöschen", sagt Kurator Dieter Gosewinkel.

Deutsches Historisches Museum

Zwang, die Staatsangehörigkeit anzunehmen

Für gewaltsame Auseinandersetzungen in Form von Besetzung und Vertreibung stehen Grenzregionen wie Elsaß-Lothringen. Ein Gemälde mit dem Titel "Der Exodus" von 1872 zeigt eine elsässische Familie, die nach der Annektierung der Region durch das Deutsche Reich ihre Heimat verlassen muss - weil sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen will.

Das gleiche Schicksal erlitten viele Deutsche nach 1918 mit der Wiederbegründung des polnischen Staats. Diesem waren auch von Deutschen bewohnte Gebiete, etwa Teile Schlesiens, zugesprochen worden. Die Menschen dort hatten nur die Option, mit "Polen die Freiheit zu wählen", wie ein zeitgenössisches Plakat wirbt - oder das Land zu verlassen.

Plakat „Typisch Deutsch“ Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Köln, 2000 (Quelle: Deutsches Historisches Museum)Exponat: Plakat "Typisch Deutsch" zur Einbürgerung, Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Köln, 2000

Besonders hart von Diskriminierungen betroffen waren die Juden

Wie ausgrenzend der Begriffs Staatsbürgerschaft verwendet wurde, belegt ein Themenraum über Diskriminierungen. Frauen etwa galten in allen Ländern als Staatsbürgerinnen zweiter Klasse. Sowohl polnische Frauenrechtlerinnen wie auch Französinnen und Deutsche kämpften seit der Mitte des 19. Jahrhundert für politische Teilhabe und das Wahlrecht.

Besonders hart von Diskriminierungen betroffen waren die Juden, insbesondere in Deutschland in der NS-Zeit, als Staatsbürgerschaft mit Rassekriterien verbunden wurde. Auch das koloniale Herrschaftssystem Frankreichs basierte auf einer geteilten Staatsbürgerschaft: Die Angehörigen der Kolonialmacht besaßen die vollen Rechte als Staatsbürger, die Kolonisierten nur eine mindere Form. Die Nachwirkungen sind in Frankreich bis heute in Parolen der extremen Rechten präsent.

"Was soll ich noch in der Welt?"

Ein Tiefpunkt in der Entwicklung des Staatsbürgerrechts auf deutschem Boden markiert die Ausbürgerung politischer Gegner und Dissidenten - nicht nur durch den NS-Staat, sondern auch durch die DDR. Wolf Biermann erinnert sich im Interview mit dem Ausstellungskurator an seine Gefühle bei seiner Ausbürgerung 1976: "Ich war am Boden zerstört. Ich dachte, mein Leben ist zuende. Ich hatte Todesangst, weil ich dachte: Was soll ich noch in der Welt, wenn ich nicht zurückkann, zu meinen vertrauten Freunden, aber auch die vertrauten Feinde, wenn die mir abhanden kommen."

Neue nationale Abschottung in der Pandemie

Nicht zuletzt thematisiert die Ausstellung die Relevanz von Staatsbürgerschaft in gegenwärtigen Konflikten wie der Aufnahme und Einbürgerung von Migranten oder der neuen nationalen Abschottung während der Corona-Pandemie 2020. Kurator Dieter Gosewinkel betont: "Wir erzählen in der Ausstellung keine lineare Erfolgsgeschichte. Wir zeigen vielmehr, wie gefährdet Staatsbürgerschaft als juristische Konstruktion und Form politischer Zugehörigkeit ist. Wie sehr sie immer wieder angegriffen wird unter dem Deckmantel von Unterscheidungen mit dem Ziel von Diskriminierungen und Hierarchisierung."

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2022, 13:55 Uhr

Beitrag von Sigrid Hoff

6 Kommentare

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  1. 6.

    Staatsbürgerschaften als hochemotionales Thema in Europa, das war mal.

    Die Zeiten als Länder von Monarchien und anderen Herschern "einkasiert" wurden sind, bis auf die Ausnahme von Russland, vorbei. Nun haben wir die EU mit Niederlassungsfreiheit, und die Staatsangehörigkeit wurde für uns EU - Bürger zweitrangig. Wer will kann nach gewissen Zeit die Staatsangehörigkeit des Landes annehmen, in dem er seinen Lebensmittelpunkt hat, ohne seine ursprüngliche aufzugeben. Für Zugezogenen aus Drittstaaten gelten klare Einbürgerungsregeln, und wer sie erfüllt der kann die Staatsbürgeschaft beantragen, und bekommt sie auch. Wenn es lange Wartezeiten gibt, dann ist es lediglich eine Frage der Organisation.

    Übrigens, eine gelungene Integration im Land wo ich lebe, muss sich nicht durch meine Einbürgerung ausdrücken.
    Ich lebe bereits Jahrzehnte hier, bin integriert ohne einen Deutschen Pass zu haben, und die Claans haben Deutsche Pässe und sind mitnichten integriert.

  2. 5.

    In der Tat ist ein ethnisch "reines" Volk schon immer Legende gewesen. Es würde zudem auch an der eigenen Käseglocke ersticken, So furchtbar Verfolgungen für die Betroffenen waren, so segensreich war die Aufnahme von Verfolgten in Kulturen, die es augenblicklich besser machten, auch wenn materielle Motive im Vordergrund standen. Das preußische Toleranz-Edikt nach der Bartholomäus-Nacht in Frankreich führte Hugenotten u. a. nach Preußen wie auch in andere Landesteile des heutigen Deutschland. Anderswo waren es geflohene Mennoniten, ausgewanderte Polen im Ruhrgebiet, Dänen, die fast bis nach Hamburg der dänischen Krone folgten ...

    Einer meiner Vorfahren war ein Tetzlaff. Natürlich mit "tz" eingedeutscht und wo der Name ursprünglich auf "v" endete.

  3. 4.

    Ich möchte mal wissen, wer/wieviele insbesondere auf ehem. preußischem Gebiet ohne Migrationshintergrund bei den Vorfahren war und ist.
    Meine Vorfahren sind via Niederlande aus Frankreich aus ursprünglich Irland gekommen und sooo lange ist das noch nicht mal her. Man denke auch an die Hugenotten, die vielen Deutschen mit ursprünglich polnischen und dann eingedeutschten Namen. Mein Nachname ist einge-niederländischt und erhielt dann in Preußen noch einen Zusatz,
    (Jeder empfindet den als total deutsch, was er an sich nicht ist.)

  4. 3.

    Als Schlaglicht mag das NS-Gesetz bald nach deren Machtergreifung dienen: "Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums." Damit wurden Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens zu Nichtdeutschen erklärt, mithin zu Menschen minderer Rechte. Die bis dato so hochgehaltene "deutsche Hochkultur" wurde damit um ihren jüdischen Anteil gemindert.

    Solange es Nationalstaaten gibt, wird es irgendwo Punkte und Linien geben, die markieren, wo bürokratische Geltungsbereiche anfangen und wo sie aufhören. Die Kultur aber war und ist schon immer "größer", gleich wie herum. Mithin gibt es Überlappungen über die bürokratisch festgelegten Grenzen hinausgehend.

    Strasbourg leugnet seinen deutschen Anteil ebensowenig wie Wroclaw ihn leugnet, umgekehrt Flensburg seinen dänischen nicht. Dass ausschließend nur das "drin" sein dürfe, was draußen "drauf" steht, das war immer schon, pardon, die Auffassung von Hohlköpfen, welche alles bereinigt sehen wollen.





  5. 2.

    Die Frage ist doch, wer will sich integrieren und wer nicht.... Letztere haben in Deutschland keine Zukunft und waeren auszuweisen.... Die Clans in Berlin und anderswo sind das beste Beispiel fuer eine misslungene Integration......

  6. 1.

    Die deutsche Staatsbürgerschaft soll weder „Diskrimierungen“ noch „Hierarchisierung“ fördern, sondern eine bunte, friedliche und tolerante Gesellschaft. Denn jede Gesellschaft braucht einen Minimalkonsens über gemeinsame Werte, Regeln und Ziele. Es lebe das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland!

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