Konzertkritik | Greta van Fleet in der Verti Music Hall - Schade nur, dass die Musik so bocklangweilig ist

Greta van Fleet spielen Rockmusik wie aus den 1970ern und begeistern damit junge und ältere Leute. Dabei sind die Musiker selbst erst Anfang 20. Bei ihrem Auftritt in Berlin am Dienstag feierte Hendrik Schröder sie vor allem für ihre Optik. Von Hendrik Schröder
Es ist schon ein kleines Phänomen. Da spielen blutjunge Burschen einen Sound, der seit den 1980ern eigentlich als "alte Leute Musik" abgestempelt wurde und gewinnen damit 2019 sogar einen Grammy. Nicht zuletzt wohl deswegen, weil Greta van Fleet das Credo des legendären Motörhead Frontmanns Lemmy Kilmister beherzigt haben, der in seiner unendlichen Weisheit mal über das Wesen des Rockstartums gesagt hat: "Die Leute wollen nicht den netten Typen von nebenan, die wollen jemanden von einem verdammten anderen Planeten."
Und viel mehr wie von einem anderen Planeten und vor allem aus einer anderen Zeit als die vier Musiker da auf der Bühne kann man nicht aussehen.
Barfuß mit wehendem Umhang
Kurz vor 21 Uhr kommen die Musiker auf die Bühne. Aber was heißt "kommen", sie schweben eher ein. Wie Erscheinungen, die sich vom Rockolymp mal kurz gen Verti Music Hall abseilen. Greta van Fleet besteht ja aus den drei Brüdern Jacob, Samuel und Joshua Kiszka und ihrem alten Schulkumpel Danny Wagner. Als sie Greta van Fleet 2012 gründeten, waren sie noch nicht mal volljährig. Jetzt steht Basser Samuel mit nacktem Oberkörper, darüber eine knappe schwarze Jacke mit meterlangen Fransen am Ärmel und hautenger schwarzer Hose, lange dunkle Haare, auf der Bühne - und mehr wie ein Rockstar kann man kaum aussehen.
Gitarrist Jacob in fast identischem Outfit, Drummer Danny trägt ein glitzerndes, schulterfreies Top. Aber Sänger Joshua schießt echt alles ab: In weiß-gold schillerndem Ganzkörper Spandex Anzug, mit Brokat Umhang darüber, barfuß, nicht gerade groß gewachsen, zartes Oberlippenetwas - und mit diesem arrogant-freundlichem Blick, gönnend und über den Dingen stehend, gen Publikum nickend, sieht er aus wie eine Mischung aus Prince, Freddie Mercury und Mick Jagger. Das ist so bescheuert, dass es schon wieder richtig cool ist.
Wie Led Zeppelin bei Wish bestellt
Zu den Klamotten kommt ein wirklich gelungenes Bühnenbild. Weiße Stoffbahnen hängen hinter dem Drummer, weiße Monitorboxen stehen weiter vorne auf der Bühne, Skulpturen, die wie Fernsehtürme aussehen blinken wild. Und auf jeder Bühnenseite stehen zwei Kästen mit je 24 Scheinwerfern, die die Musiker von ganz nah abwechselnd in alle möglichen Farben tauchen. Oh Yeah! Schade nur, dass die Musik dann so bocklangweilig ist.
Seit Bandgründung 2012 sagen die Leute zu Greta van Fleet: "Ihr seid ja wie Led Zepplin". Diese Schublade werden sie nicht mehr los. Sänger Joshuas Stimme ist der von Led Zeppelins Robert Plant einfach zu ähnlich. Leider haben Greta van Fleet nichts von die Vielschichtigkeit, der Düsterheit, der Tiefe von Led Zeppelin und anderen 70s Rock Granden, die sie hier kopieren. Sie wirken einfach wie eine oberflächlich sehr gut gemachte Replikation, bei der man leider das Innenleben vergessen hat. Klar, Josh singt natürlich irre gut, der Gitarrist kennt alle E-Gitarristen Posen und gniedelt hochtalentiert, natürlich ist das rein sachlich eine Hammer Band. Aber nichts verfängt, nichts bleibt hängen. Nichts hat eine zweite Ebene. Alle Songs klingen gleich und keiner hat auch nur eine originelle Idee. Es ist einfach altbackene, uninspirierte Rockmusik, wiederaufgelegt mit der Energie von sehr jungen Leuten, aber ohne echte Seele.
Publikum von 17-70
Das Publikum ist übrigens eine erfreuliche Mischung aus alten Männern in Rolling Stones und Black Sabbath-T-Shirts und jungen, aufgeregten Leuten in den ersten Reihen. Das ist schön. Wann hat man das schon mal, dass zwei Generationen völlig unabhängig voneinander dieselbe Band feiern. Die eine, weil sie sie an früher erinnert und die anderen...? Ja, warum eigentlich die anderen?
Wahrscheinlich ist es am Ende doch die Inszenierung. Die Fans bejubeln die Songs und recken auch mal die Hände in die Luft, sie mögen den guten Sound und die lauten Gitarren und das Überkandidelte. Aber wenn man ehrlich ist: so richtig Feuer will nicht ausbrechen in der Halle. Dabei ist diese Art Musik doch dazu da, die Leute wahnsinnig zu machen. Auf welche Art auch immer. Völlig überschätze Band. Sehen aber geil aus.
Sendung: Inforadio, 08.06.2022, 6.55 Uhr