Interview | Tempelhof Sounds - "Offensichtlich haben wir damit einen Nerv getroffen"
Am Wochenende findet am ehemaligen Flughafen Tempelhof das erste große Musik-Festival seit Langem statt. Veranstalter Stephan Thanscheidt über Nachhaltigkeit, Gender-Equality, den Umgang mit der Lautstärke und ein Herzensprojekt.
rbb|24: Herr Thanscheidt, Sie sind verantwortlich für alle Festivals von FKP Scorpio. Warum ist Ihnen gerade das Tempelhof Sounds Festival so wichtig?
Stephan Thanscheidt: Wir haben uns in dieses Projekt während der Pandemie verliebt. Wir lieben den Tempelhofer Flughafen als Konzertlocation und hatten in diesem Jahr die Foo Fighters-Show angesetzt, die aufgrund des tragischen Todes von Taylor Hawkins nicht stattfinden konnte. In der Pandemie haben wir viele Kreativkräfte gebündelt und uns neue Konzepte für die Zeit danach überlegt. Und wir fanden, dass es an der Zeit sei, ein neues Festival zu machen. Wir wollten ein sehr erwachsenes Festival machen, wir wollten ein Festival machen, bei dem die Musik im Vordergrund steht, ohne großen Rummelplatz und viel Rahmenprogramm. Programmlich steht die Gitarre über allem, sie liefert den musikalischen Rahmen und hält alles zusammen. Außerdem waren uns Themen wie Nachhaltigkeit, Gender-Equality und Awareness sehr wichtig.
Was bedeutet denn ein "erwachsenes Festival"?
Es geht um die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler. Es gibt Festivals, die auf ein sehr junges Publikum abzielen, davon haben wir auch einige: Das Hurricane, das Deichbrand oder das Highfield sind klassische Festivals in unserem Portfolio, bei denen das Publikum jünger ist. Das Tempelhof Sounds spricht eine deutlich breitere Altersspanne an.
Ein neues Festival ist ja immer auch ein Experiment. Gibt es Dinge, die Ihnen vorab Sorgen bereiten?
Eigentlich nicht. Es gab natürlich viele post-pandemische Probleme in den Gewerken, die zu einem Festival dazu gehören, meint: Ton, Licht, Stage-Hands, Security, Caterer. Im Prinzip das ganze Personal und Material, das wir so brauchen. Da hat die Pandemie natürlich einiges verweht, und es ist nicht mehr so, wie es vorher war. Wir haben aber schon im Januar gesagt, dass wir an die Festivals dieses Jahr glauben, trotz der Omikron-Welle. Gott sei Dank haben wir das gemacht. So waren wir am Ende ganz gut vorbereitet und haben jetzt die Möglichkeit, all unsere Festivals so umzusetzen, wie wir uns das vorstellen.
Schauen wir mal aufs Programm – große, legendäre Namen aus der Indie-Welt spielen auf dem Tempelhof Sounds: The Libertines, Florence & The Machine, Interpol, aber auch noch jüngere Bands, die in den letzten Jahren durchgestartet sind wie Big Thief oder die Parcels. Was ist euer Booking-Konzept?
Im Prinzip ging es darum, eine gute Mischung aus etablierten Headlinern und hoffnungsvollen Newcomern zu finden. Der rote Faden, der alle Bands verbindet, ist ganz klar die Gitarrenmusik. Bei Festivals in Deutschland ist es heutzutage ja meistens so: Da gibt’s Hiphop, Electro, Rock, alles Mögliche. Das ist auch nicht schlimm, das machen wir bei anderen Festivals auch. In diesem Festivalkontext hatten wir allerdings eine sehr stringente Planung und wollten unbedingt eine Art von Festival machen, die es so heute in Deutschland nicht mehr gibt. Und offensichtlich haben wir damit auch einen Nerv getroffen.
Die Musik – oder auch: der Lärm, es kommt immer darauf, wie es wahrgenommen wird – ist immer ein Thema bei Stadt-Festivals. Gleich nebenan befindet sich eine Wohnsiedlung. Was tun Sie für den Immissionsschutz, also den Schutz der Natur und der Menschen vor Lärm, damit die Lage mit den Anwohnern nicht eskaliert?
Wir haben das von Anfang an im Konzept verankert: Wir haben mit Spezialisten ein Gutachten erstellt und haben versucht das so aufzustellen, dass die Belastung minimal, wenn überhaupt vorhanden ist. Wir haben uns ein Konzept überlegt, das die Beschallung des Feldes sehr genau auspegelt. Wir gehen davon aus, dass das gut funktionieren wird. Wir haben zumindest bisher im Vorfeld wenig bis keinen Gegenwind erfahren müssen und sind mit der aktuellen Situation eigentlich sehr zufrieden.
Sie haben sich auch das Thema "Nachhaltigkeit" aufs Revers geschrieben. FKP Scorpio ist der größte Festivalveranstalter Deutschlands. Ist das Tempelhof Sounds für vielleicht auch ein Laborversuch, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, was Sie über das Festival hinaus in die Branche tragen können?
Die ökologische Nachhaltigkeit steht bei uns ganz vorne. Wir werden einen Großteil unserer Infrastruktur mit Feststrom versorgen und nicht mehr mit Dieselaggregaten arbeiten, wie das sonst relativ üblich ist bei Festivals. Wir haben eine neue Form des Abfall-Managements, bei dem wir sehr stark darauf achten, Müll zu vermeiden. Es sollen möglichst wenig Plastik- und Einwegprodukte verwendet werden, es gibt ein hochwertiges nachhaltiges Speiseangebot. Die Sanitärbereiche setzen auf Komposttoiletten und wassergespülte Toiletten und nicht auf Dixi-Klos, die mit Chemie funktionieren. Die Anreise unserer Gäste ist so angelegt, dass Emissionen ausgeglichen werden. Es gibt Fahrradparkplätze, ein ÖPNV-Ticket ist im Festivalticket enthalten, es gibt ganz viele Dinge, ich könnte noch ewig weitermachen. Aber es ist keine Blaupause, es ist eine Weiterentwicklung dessen, was wir schon lange machen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jakob Bauer.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.06.2022, 06:55 Uhr