Musik-Festival im Berliner HKW - Einmal den Mississippi runter

Sa 16.07.22 | 15:42 Uhr | Von Laf Überland
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Archivbild: Eröffnungskonzert - Wassermusik: Black Atlantic Revisited, 2019. (Quelle: hkw.de/S. Bolesch)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.07.2022 | Laf Überland | Bild: hkw.de/S. Bolesch

Die Augen ruhen auf der Spree, aber die Ohren reisen den Mississippi hinab: An vier Wochenenden feiert das Haus der Kulturen der Welt musikalisch die Mitte der USA. Von Jazz, Funk, Blues und Cajun bis hin zu R&B, Folk und Bounce. Von Laf Überland

Wer in musikalischem Zusammenhang vom Mississippi redet, meint meistens das Delta des großen US-amerikanischen Flusses, eine geologisch gesehen riesige Bucht, die das letzte Drittel des Stroms beherbergt: von Memphis (Tennessee), wo der Rock’n’Roll entstand und der schwitzende Soul der Firma Stax zu Hause war, durch die ländlichen Gegenden, die den Blues hervorbrachten, bis nach New Orleans, der Mutter von Jazz und Funk. Wer dann noch weiter nach Südwesten abbiegt, der landet in einer völlig anderen Welt: in den Sümpfen.

Das Sommerfestival Wassermusik im Berliner Haus der Kulturen der Welt erkundet ab 16. Juli die Musik zwischen Memphis und den Sümpfen in ihrer ganzen Bandbreite bis hin zu neuen Mischformen.

Den Menschen blieb nur ihre Küche und ihre Musik

Es ist ein Mysterium der meisten Musikgenres aus dem äußersten Süden, dass das Leben dort meist ärmlich, die Musik aber fröhlich und voller Lebenslust ist. Irgendwo da unten, wo man nicht so recht wusste, was die Zukunft bringen würde, aber das Leben weiter ging im Vertrauen darauf, dass bald bessere Zeiten anbrechen. Laissez les bons temps rouler - Let the good times roll: besonders in den endlosen Sümpfen, südwestlich von New Orleans, wohin es im 18. Jahrhundert französisch sprechende Akadier aus Kanada verschlagen hatte bei ihrer Flucht vor den Briten, die das Volk komplett in ihre Kolonien an der Ostküste deportieren wollten, weil es sich weigerte, den Treueeid auf den englischen König zu leisten.

In den Bayous von Louisiana versumpften sie dann im wahrsten Sinn des Wortes, von den Amerikanern verachtet, ihre französische Sprache (bis 1974!) verboten. Als Verbindungsleinen ihrer Identität blieben den Cajuns, wie sie sich nannten, nur die Küche und die Musik. Beides pflegen sie aber mit Inbrunst – wie die Gruppe BeauSoleil mit Fiddle und Akkordeon und Bandchef Michael Doucet als ansteckendem Geschichtenerzähler.

Das Programm

HKW: Wassermusik 2022 - Peter van Agtmael: A Second Line Parade In New Orleans, Louisiana © Peter van Agtmael | Magnum Photos
Peter van Agtmael | Magnum Photos

Wer spielt wann? Das Programm des Festivals "Wassermusik: Mississippi" vom 16. Juli bis 6. August finden Sie hier [hkw.de].

Von Straßenmusikern bis zur klassisch ausgebildeten Jazz-Sangerin

Jazz, Funk, Blues, Rock'n'Roll und Soul versammelt die "Wassermusik" in ihrem Mississippi-Festspielen – und neben der weißen Cajunmusik natürlich auch deren indigene und afroamerikanisch eingefärbte, höchst fröhliche kreolische Schwester Zydeco.

Und allein Namen wie Rockin’ Dopsie Jr. & The Zydeco Twisters versprühen bereits Leben: Dopsie mit dem Waschbrett vorm Bauch, auf dem er den Rhythmus kratzt, während er gern auch mal James Brown & Michael Jackson parodiert. Und das Publikum liebt das, denn es kommt zum Feiern her, wenn die Cajun- und Zydeco-Bands zum Tanz aufspielen – auf Plätzen und in Kneipen und gern auch mal, ganz down to earth, in neonkalt beleuchteten Mehrzwecksälen für ältere Herrschaften.

Pressefoto: Die Band Tuba Skinny. (Quelle: hkw.de/Sharrah Danzinger)
Ist auch beim Festival dabei: die Band Tuba Skinny | Bild: hkw.de/Sharrah Danzinger

Zurück am langen Fluss, warten auf der Dachterrasse bereits die Straßenmusiker von Tuba Skinny, die seit Jahren in Plattenstudios wie auch in Einkaufsstraßen Oldtime-Jazz, Ragtime und Jug-Band-Musik zelebrieren. Das klassisch ausgebildete Souljazz-Stimmwunder Quiana Lynell verblüfft mit ihrer perlenden Wandlungsfähigkeit, und das ehemalige Rhythm’n’Blues-Wunderkind Swamp Dogg stapft seit sechs Jahrzehnten nach Belieben quer durch die Stile und singt dabei in zwei, drei Atemzügen über Liebe, Rasse, Politik, Sex und Gott.

Ein Name, der beinahe symbolhaft für New Orleans-Musik steht, wird vertreten durch den jüngsten Spross der Musikerfamilie Marsalis, den Posaunisten Delfeayo; der springt und hüpft mit seinem Uptown Jazz Orchestra durch die Jahrzehnte, von James Brown über Louis Armstrong zum Jazz seiner Brüder Winton und Branford bis hin zur Second Line, der tanz- und feierwütigen Abteilung der Blaskapellenparade.

Neue Töne aus New Orleans

Eine Ausnahmeerscheinung ist aber der Klavierspieler und Sänger Jon Cleary aus der englischen Grafschaft Kent: Der hatte sich so über die Maßen in den funkigen Rhythm&Blues des Songwriters Allen Toussaint verliebt, dass er im Jahre 1981 dann (uneingeladen!) nach Louisiana flog, ein Taxi zur legendären Maple Leaf Bar nahm und es sich auf dem Klavierschemel bequem machte. Seitdem gehört er zum Band Circuit von Nawlins.

Und natürlich erforscht die "Wassermusik" auch, was jetzt neuerdings am Mississippi ausgebrütet wird - wie das ziemlich durchgeknallte Hammondorgel-Drummaschine-Puppenspielduo Quintron & Miss Pussycat und überraschenderweise auch echten Afrobeat mit der 14-köpfigen Band "Kumasi - Fela Kuti goes Nawlins". Der Saxophonist Donald Harrison hat mit dem Jazzmentor Art Blakey gespielt wie auch mit dem HipHop-Meister The Notorious B.I.G. und mischt inzwischen Hiphop und Jazz mit Klassik. Die Songs der jungen Cajuns von Sweet Crude hingegen werden zwar auf Englisch und Cajun gesungen, aber in modernem Outfit fast schon als Art-Pop mit Einflüssen aus dem experimentellen Indie-Rock von Radiohead oder Arcade Fire.

Pressefoto: Die Band Kumasi. (Quelle: hkw.de/J. Brasted)Afrobeat mit der Band Kumasi

Filme ergänzen das Festival

Wer sich nach den musikalischen Aufregungen abends noch tiefer in die Stimmungen am Mississippi sinken lassen will, der kann die Abende mit Filmeansehen verlängern - unter anderem mit dem Krimi "The Big Easy" oder dem Politthriller "Mississippi Burning", dem Drama "Mudbound" oder der Blaxploitation-Groteske "BlacKkKlansman" sowie auch ein paar Dokumentationen.

Und am Ende des Festivals, wenn alles gehört ist, soll dann noch einmal der Gitarrist und Sänger Alvin Youngblood Hart mit seinem überaus kräftigen Händedruck die Stile und Temperamente der Mississippi-Musiken aus der Gitarre quetschen. Der Wurzelmusik-Papst Taj Mahal sagte über den Mann ziemlich treffend: "The boy has got thunder in his hands."

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.07.2022, 07:55 Uhr

Beitrag von Laf Überland

2 Kommentare

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  1. 2.

    "Wer spielt wann? Das Programm des Festivals "Wassermusik: Mississippi" vom 16. Juli bis 6. August finden Sie hier [hkw.de]."

  2. 1.

    Schöner Artikel.
    Nur: von wann bis wann?, welche vier Wochenden sind denn gemeint? Oder ist das ganze schon wieder vorbei? Termine bitte.
    Und viel Worte zu den Teilnehmenden Gruppen und Einzelpersonen sind schön, aber wo ist ein link zu den Veranstaltungen?
    Fragen über Fragen…
    Wo der Text Antworten geben sollte.

    Grüße, aaaauuuus Berlin!

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