Konzertkritik | The Beach Boys im Tempodrom - Rentner-Gang on fire

1961 gegründet, sind die Beach Boys die dienstälteste Band der Welt und immer noch auf Tour. Am Donnerstag spielten sie auch in Berlin. Hendrik Schröder erlebte einen Abend, der lau begann und heiß endete.
Der erste Eindruck ist sehr traurig. Das Tempodrom ist richtig leer. Kaum 500 Fans sind da. Und das bei dieser Band, die eine Zeit lang größer war als die Rolling Stones. Ob es an den Ticketpreisen ab saftigen 90 Euro lag oder am Termin am Anfang der Sommerferien? Es herrscht jedenfalls vor dem Konzert statt betriebsamer Aufregung eine Stimmung wie im Wartezimmer beim Arzt.
Eine kleine Diskussion gibt es zwischen einigen Fans und Personal darüber, wo Rollatoren abgestellt werden dürfen: "Bitte nicht im Eingangsbereich." Aber die Securities sind sehr süß und hilfsbereit und letztendlich findet alles und jeder seinen Platz. Dann geht das Licht aus und auf dem großen Videoscreen laufen Filmschnipsel aus der Beach-Boys-Geschichte. Das macht die verloren wirkende Stimmung in der Halle noch schlimmer, wenn man sieht, wie die Leute früher gekreischt und bald die Bühne gestürmt haben, wenn diese unfassbar erfolgreiche und wichtige Band auftrat.
Palmen und grünes Licht zum typischen Sound
Dann kommt die Band raus, mittendrin Sänger Mike Love, der einzige aus der Originalbesetzung. Mit Bruce Johnston ist noch ein frühes Mitglied dabei. Aus der Urbesetzung leben schon lange nicht mehr alle. Wer der verbliebenen Gründungsmitglieder Mike Love, Brian Wilson und Alan Jardine unter welchem Namen mit welchen Musikern auf Tour geht und welche Rechte hat, ist eine Wissenschaft für sich.
An diesem Abend jedenfalls stehen neben Mike Love noch acht weitere Musiker auf der Bühne, sein Sohn ist auch dabei. Drei Gitarren, Saxophon, der Sound ist dicht. Dazu der typische mehrstimmige Chorgesang, seit jeher das Markenzeichen der Beach Boys. Kleine Palmen in großen Kübeln stehen hinter den Musikern, in schönes grünes Licht getaucht. Sie machen sich optisch sehr gut zum bluesig, rocknrollig, légèren Beach-Boys-Surfer-Sound.
Surfen ist alles
"Surfin Safari", "Surfin USA", "Surfer Girl" heißen die Songs. Immer irgendwas mit Surfen, Wellen, Beach, Autos und Girls. So einfach kann das Leben sein. Dazu laufen Filme von gut aussehendeen Menschen, die sich grinsend mit dem Brett in die Wellen werfen.
Und dann passiert im Tempodrom etwas ob der leeren Halle sehr Unerwartetes: Die Leute stehen zu guten Teilen tatsächlich auf von ihren Sitzen und tanzen und klatschen und jubeln und hören damit bis zum Ende des Konzerts auch nicht mehr auf. Die Band feuert die Leute noch an, fordert zum Mitklatschen auf und spielt fast 40 Songs in fast zwei Stunden, ohne große Pausen dazwischen.
Natürlich hat das musikalisch nicht mehr ganz so die Energie wie früher, natürlich ist die Performance nicht mehr allzu geschmeidig. Aber jeder auf der Bühne und jeder im Saal genießt diesen Abend spürbar aus vollem Herzen. Auch wenn mit größter Wahrscheinlichkeit wohl nur die Wenigsten der Anwesenden vorhaben, in ihrem Leben noch mal surfen zu gehen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.07.2022, 6:55 Uhr