Konzertkritik | Udo Lindenberg in der Waldbühne - "Geil wieder hier zu sein, endlich"

Sa 02.07.22 | 11:50 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Konzert von Udo Lindenberg in der Berliner Waldbühne am 1.7.22 (Quelle: Imago/Thesing)
Audio: rbb24 Inforadio | 02.07.2022 | Hendrik Schröder | Bild: imago/Thesing

Udo Lindenberg ist mittlerweile 76 Jahre alt - aber immer noch auf Tour. In der Waldbühne sorgte er am Freitagabend für Jubel, Freude, Rührung und Begeisterung. Von Hendrik Schröder.

Die vielen wegen Corona ausgefallenen Konzerte holt Udo Lindenberg gerade nach - und fast alle sind ausverkauft. So wie das am Freitagabend in der Berliner Waldbühne.

Gewaltig geht es los: Schon beim ersten Song sind über 30 Leute gleichzeitig auf der Bühne: Das Panikorchester, zwei zusätzliche Gitarristen, vier Bläser, ein Chor und 15 singende Kinder mit Hüten und Sonnenbrillen. Alle wuseln durcheinander wie in einer Zirkusnummer. Und mitten drin steht Udo. Der ewige Udo.

Sehr dünn ist er, so aus der Nähe betrachtet, aber topfit. Nadelstreifenhose, Hut, Sonnenbrille, grüne Socken. Im jahrzentelang kultivierten Torkelgang tänzelt er auf den Steg, der ins Publikum hineinragt, schwingt das Mikro am Kabel so unerreicht lässig durch die Luft und singt: "Honky Tonky Show", "Mein Ding", "Cello". Gleich zu Beginn gibt es also ein paar der großen Hits.

Udo umarmt seine Fans verbal

Immer wieder nimmt Udo die riesige Sonnenbrille ab und schaut unter der Hutkrempe in die Menge. Dieses Brille scheint ein Seismograph für seine Stimmung zu sein: Je wohle er sich fühlt, desto häufiger nimmt er sie ab. Seine tiefen Augen erscheinen auf den Videowänden, er lächelt und brüllt: "Geil wieder hier zu sein, endlich".

Wie "Jahre auf Entzug" hätte sich die Pandemie angefühlt, sagt er, aber jetzt sei es Zeit, wieder loszulegen. Die Fans finden das auch: Die meisten von ihnen sind mit Udo gealtert, tragen Funktionsjacken und lassen sich dem Anschein nach der deutschen Mittelschicht zuordnen. Einer der verrücktesten Vögel in der deutschen Musiklandschaft hat die normalsten Fans.

Udo umarmt sie alle verbal. Er nennt sie seine "Panikfamilie", schaut in die ersten Reihen und ruft: "Die Gesichter kenne ich doch". Man fühlt sich willkommen, zugehörig. "Wir zusammen, ihr und ich, wir schaffen noch ein paar Jahre". Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen kann Udo wie kein Zweiter.

Politische Statements und Tränen

Politisch wird es auch. Die Kinder vom Anfang der Show kommen als Engel und Messdiener zurück auf die Bühne, die Tänzerinnen als Nonnen, ein paar Männer als Kardinäle. Als selbsternannter "Panikpriester" vermählt Udo schließlich zwei Nonnen und zwei Kardinäle zu gleichgeschlechtlichen Paaren - und macht gleich noch eine lange Ansage dazu, dass Gott bei der Erfindung der Liebe "ganz schön vielfältig war". Die Nummer gefällt, gemessen am Applaus, nicht jedem.

Am Ende kommt noch Udos alter Kumpel Otto Waalkes auf die Bühne und singt "erst auf dem Heimweg wirds hell" zum AC/DC Riff "Highway to Hell". Naja.

Udos Panik heilt die Welt

Die schönste Szene aber liefert ein Paar, das sich vor der Bühne zum Song "Ich trag Dich durch die schweren Zeiten" ganz eng in den Armen hält und sich gegenseitig die Textzeilen ins Ohr wispert. Dann formen die Lippen des Mannes ein "Ich liebe Dich" und die Frau bekommt feuchte Augen. Sie ist nicht die Einzige.

Udo, der Verbinder, der Tröster, der Mitfühler, der Rocker, der Panikpräsident. 100 Jahre alt will er werden, sagt er in einer Ansage. Das wäre schön. So einen aufsässigen, lustigen, tiefsinnigen Friedensstifter wie ihn, kann die Welt immer gebrauchen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.07.202, 06:55 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

16 Kommentare

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  1. 14.

    Volle Granate Renate! Bleib zum Lachen politisch korrekt! Es war ein geiler Abend! Udo ist sich treu geblieben. Solche politischen Statements fehlen uns und sind selten geworden unter den musikalischen Kollegen. Tolle Sängerinnen, Tänzerinnen, Musiker und Musikerinnen! Auch den Brautpaaren " Herzlichen Glückwunsch "!

  2. 13.

    Liebe Renate, hier schreibt der Autor. Natürlich habe ich das auch beobachtet und überlegt, ob es in die Kritik einfließen sollte. Finde ich persönlich gut, da aufmerksam und auch zeitgemäß kritisch zu sein. Allerdings schien mir das bei Udo in der Relation zu vernachlässigen. Weil er sich an vielen anderen Stellen im Konzert so klar positioniert, zB für LGBT* Rechte, für Gleichberechtigung, weil auch Männer in knappen Outfits zu sehen waren (das macht schon einen Unterschied) und nicht zuletzt, weil die Frauenpersönlichkeiten bei den Udo Shows immer starke, selbstbewußte Charaktere sind, die in der Inszenierung groß und selbstbestimmt erscheinen und keine Ziermäuschen sind. Herzliche Grüße

  3. 12.

    Schade, das es Ihnen nicht gefallen hat. Ich war gestern dabei, habe mein Frau begleitet weilsie Fan von Udo ist. Auch für mich war es ein toller Abend, geile Show. Super Musiker. Ob die Texte nicht in die heutige Zeit passen, möchte ich bezweifeln. Wozu sind Kriege da, aktueller denn je! Die Kritik an der katholischen Kirche wird nicht jedem gefallen haben, aber war doch berechtigt.

  4. 11.

    Arme, verbissene Renate - ohne jeden Humor!
    Hoffentlich hast du den Kindern nicht das ganze Konzert vermiest!

  5. 10.

    Ich bin schon verwundert, dass ein Schreiber des RBB, der sich sonst in der ersten Reihe sieht, wenn es um die Verteidigung der Rechte von Frauen geht, diesen "harmlosen" Text veröffentlichen. Wer die Show gesehen hat, ich musste es mir antun, weil mir Freunde aus dem Umland ihre Kinder überantworteten, hat sehen müssen, wie ein alter weißer Mann sich sexistisch aufführt, sich in einer Anzahl spärrlich bekleideten Frauen "suhlte". Auch sind einige Texte aus der Zeit gefallen und mit der heutigen verordneten politischen Korrektheit nicht mehr zu vereinbaren. Ich fand es einfach nur scheußlich.
    Mag der Mann 101 Jahre werden, aber er sollte nicht mehr singen. Und Sophie: ich hoffe doch.

  6. 8.

    Den Scherz nicht erkannt? Selbstverständlich wünsche ich Udo ein sehr, sehr langes Leben.

  7. 7.

    Der Tag gestern war mega. Wir hoffen es war nicht das letzte Mal.

  8. 6.

    Aber wirklich! Sehr mitreißend geschrieben. Besonders die Beobachtung „ Einer der verrücktesten Vögel in der deutschen Musiklandschaft hat die normalsten Fans.“ hat schon etwas von Alltagssatire. Auch Rebellen weden mal alt und mithin gesetzter und konservativer :))

  9. 5.

    Udo for ever, Udo for President.

  10. 3.

    Dann nutze heute die Chance! Gestern gab's vor Ort viele Leute, die Tix zu normalen Preisen angeboten haben;-)

  11. 2.

    Udo als Panikpriester. Schade dass ich das nicht Live mitbekommen habe. Ich hoffe er und seine Bandkollegen vergessen nicht den Papst in Rom ein Videoclip davon zu schicken. Einfach cool der Udo. Möge er 101 Jahr werden.

  12. 1.

    Eine echt Hammergeile Kritik, als wäre man dabei gewesen. Gänsehaut-Feeling

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