Konzertkritik | Udo Lindenberg in der Waldbühne - "Geil wieder hier zu sein, endlich"

Udo Lindenberg ist mittlerweile 76 Jahre alt - aber immer noch auf Tour. In der Waldbühne sorgte er am Freitagabend für Jubel, Freude, Rührung und Begeisterung. Von Hendrik Schröder.
Die vielen wegen Corona ausgefallenen Konzerte holt Udo Lindenberg gerade nach - und fast alle sind ausverkauft. So wie das am Freitagabend in der Berliner Waldbühne.
Gewaltig geht es los: Schon beim ersten Song sind über 30 Leute gleichzeitig auf der Bühne: Das Panikorchester, zwei zusätzliche Gitarristen, vier Bläser, ein Chor und 15 singende Kinder mit Hüten und Sonnenbrillen. Alle wuseln durcheinander wie in einer Zirkusnummer. Und mitten drin steht Udo. Der ewige Udo.
Sehr dünn ist er, so aus der Nähe betrachtet, aber topfit. Nadelstreifenhose, Hut, Sonnenbrille, grüne Socken. Im jahrzentelang kultivierten Torkelgang tänzelt er auf den Steg, der ins Publikum hineinragt, schwingt das Mikro am Kabel so unerreicht lässig durch die Luft und singt: "Honky Tonky Show", "Mein Ding", "Cello". Gleich zu Beginn gibt es also ein paar der großen Hits.
Udo umarmt seine Fans verbal
Immer wieder nimmt Udo die riesige Sonnenbrille ab und schaut unter der Hutkrempe in die Menge. Dieses Brille scheint ein Seismograph für seine Stimmung zu sein: Je wohle er sich fühlt, desto häufiger nimmt er sie ab. Seine tiefen Augen erscheinen auf den Videowänden, er lächelt und brüllt: "Geil wieder hier zu sein, endlich".
Wie "Jahre auf Entzug" hätte sich die Pandemie angefühlt, sagt er, aber jetzt sei es Zeit, wieder loszulegen. Die Fans finden das auch: Die meisten von ihnen sind mit Udo gealtert, tragen Funktionsjacken und lassen sich dem Anschein nach der deutschen Mittelschicht zuordnen. Einer der verrücktesten Vögel in der deutschen Musiklandschaft hat die normalsten Fans.
Udo umarmt sie alle verbal. Er nennt sie seine "Panikfamilie", schaut in die ersten Reihen und ruft: "Die Gesichter kenne ich doch". Man fühlt sich willkommen, zugehörig. "Wir zusammen, ihr und ich, wir schaffen noch ein paar Jahre". Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen kann Udo wie kein Zweiter.
Politische Statements und Tränen
Politisch wird es auch. Die Kinder vom Anfang der Show kommen als Engel und Messdiener zurück auf die Bühne, die Tänzerinnen als Nonnen, ein paar Männer als Kardinäle. Als selbsternannter "Panikpriester" vermählt Udo schließlich zwei Nonnen und zwei Kardinäle zu gleichgeschlechtlichen Paaren - und macht gleich noch eine lange Ansage dazu, dass Gott bei der Erfindung der Liebe "ganz schön vielfältig war". Die Nummer gefällt, gemessen am Applaus, nicht jedem.
Am Ende kommt noch Udos alter Kumpel Otto Waalkes auf die Bühne und singt "erst auf dem Heimweg wirds hell" zum AC/DC Riff "Highway to Hell". Naja.
Udos Panik heilt die Welt
Die schönste Szene aber liefert ein Paar, das sich vor der Bühne zum Song "Ich trag Dich durch die schweren Zeiten" ganz eng in den Armen hält und sich gegenseitig die Textzeilen ins Ohr wispert. Dann formen die Lippen des Mannes ein "Ich liebe Dich" und die Frau bekommt feuchte Augen. Sie ist nicht die Einzige.
Udo, der Verbinder, der Tröster, der Mitfühler, der Rocker, der Panikpräsident. 100 Jahre alt will er werden, sagt er in einer Ansage. Das wäre schön. So einen aufsässigen, lustigen, tiefsinnigen Friedensstifter wie ihn, kann die Welt immer gebrauchen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.07.202, 06:55 Uhr