Interview | Reiser-Bruder Möbius zu Rio-Reiser-Platz - "Rio hätte sicherlich nichts dagegen"

Sa 20.08.22 | 08:12 Uhr
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Der Heinrichplatz in Berlin Kreuzberg wurde am 21. August 2022 in Rio-Reiser-Platz umbenannt. (Quelle: imago images/Ralf Pollack)
Audio: radioeins | 21.08.2022 | Ute Zill | Bild: imago images/Ralf Pollack

Der Heinrichplatz in Kreuzberg wurde am Sonntag in Rio-Reiser-Platz umbenannt - nach dem verstorbenen Sänger von "Ton Steine Scherben". Um die Umbenennung gab es auch Streit. Rios Bruder Gert Möbius versteht das nicht. Er findet: Das passt gut.

rbb|24: Hallo Herr Möbius, ab Sonntag heißt der Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg Rio-Reiser-Platz. Wie würde ihr verstorbener Bruder Rio das Ihrer Meinung nach finden?

Gert Möbius: Rio hätte sicherlich nichts dagegen. Wir haben da ja beide da in genau der Gegend in Kreuzberg sehr viel gearbeitet und kulturell bewegt. Als wir dahinkamen in den 70er Jahren, gab es da in dieser Hinsicht noch nicht viel. Viele Jugendliche kamen dann ins Jugendhaus Naunystraße, wo wir eine Theatergruppe gegründet hatten. Aus diesem Umfeld heraus haben wir dann später auch die Besetzungen der Häuser gemacht.

Und das ist ja auch nicht schlecht, da einen Platz zu bekommen. Auch für die Gegend ist der Ort doch dann nach einem progressiven Künstler benannt, der da auch hinpasst.

Zur Person

Gert C. Möbius, Bruder von Rio Reiser (Quelle: dpa/Nicole Kubelka)
dpa/Nicole Kubelka

Bruder von Rio Reiser - Gert Möbius

Gert Möbius ist einer der beiden älteren Brüder von Ralph Möbius alias Rio Reiser. Er ist Autor und Drehbuchautor, Mitbegründer des Tempodroms, hat mit beiden Brüdern an Theaterproduktionen gearbeitet, war selbst in der Hausbesetzerszene aktiv und Manager von Ton Steine Scherben. Nach dem Tod Rio Reisers 1996 hat er das Archiv aufgebaut. 2011 erschien sein Buch "Halt Dich an Deiner Liebe fest" - eine Biographie Rio Reisers. Gert Möbius wohnt in Berlin-Zehlendorf.

Kommen Sie am Sonntag zur Einweihung?

Natürlich!

Haben Sie persönliche Erinnerungen an Ihren Bruder im Zusammenhang mit diesem Platz?

Auf jeden Fall. Da, genau in dieser ganzen Ecke in Kreuzberg, sind wir immer gewesen. Wir haben auch eine Zeitlang in der Oranienstraße gewohnt. Das Rauchhaus ist auch nicht weit entfernt. Rio hat dann auch einige Jahre in der Adalbertstraße gewohnt. Das ist ja alles in der Nähe. Rio hat da als König von Deutschland seine Karriere gemacht. lacht

Wir haben beide im Laufe der Jahre in verschiedenen Stadtteilen gewohnt – aber Kreuzberg ist immer unsere zweite Heimat geblieben.

Eigentlich war der Heinrichplatz schon 2021 in Rio-Reiser-Platz umbenennt worden. Anwohner hatten sich aber dagegen gewehrt und es musste erst juristisch geklärt werden. Hat Sie das geärgert?

Wirklich geärgert hat mich das nicht. Ich habe es aber gar nicht recht verstanden. Da hatten ja einige Leute geklagt. Warum, weiß ich nicht. Ich kenne die Leute sogar zum Teil. Manche sagen wohl, sie wollten "ihren Heini" behalten. Ich weiß gar nicht, was die mit dem "Heini" haben. Aber das sind nicht viele. Nur vier oder fünf protestieren da.

Soweit ich es weiß, ist der Protest ja auch gar nicht gegen Rio gerichtet. Sondern vor allem gegen Claudia Roth von den Grünen [Roth war von 1982-1985 Managerin von Ton Steine Scherben, d.Red.]. Ich weiß gar nicht genau, was sie gegen sie haben. Kurios ist das. Aber so ist das in Kreuzberg eben manchmal.

Für den Rio-Reiser-Platz muss übrigens nicht mal irgendwo ein Briefkopf geändert werden. Denn den Platz gibt es als Adresse ja gar nicht postalisch.

Hätte Rio nicht einfach eine Statue oder Gedenktafel bekommen können?

Es ist noch gar nicht ganz beschlossen, was da jetzt hinkommt. Erst mal kommt ein erklärendes Schild zu Rio und der Band. Aber wir haben uns überlegt, da künftig eine Art kleine Bühne hinzustellen, auf der man auch Musik machen kann. Das würde den Platz auch kulturell beleben. Dafür gibt es Pläne, die das Bezirksamt bestimmt akzeptieren wird. Das wäre mal eine ganz andere Form von Denkmal.

Ihr Bruder hieß gar nicht Rio. Sondern Ralph Christian Möbius. Wie kam er eigentlich auf seinen Künstlernamen. Haben sie Ralli, Ralph oder Rio zu ihm gesagt? Und wäre Ralph-Möbius-Platz nicht besser?

Ganz früher war er Ralli, später Ralph. Dann wurde er zu Rio. Er hat sich erst Rio der Galaxis genannt. Erst in Berlin, als er eine Hauptrolle in einem Kinofilm bekam, rief er mich an, um zu fragen, ob er den Künstlernamen Reiser, den ich damals benutzte, auch benutzen kann. Er würde sich gerne Rio Reiser nennen, sagte er. Das fand ich wunderbar.

In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens war er Rio für mich, nicht mehr Ralli oder Ralph. Auch für den Rest unserer Familie. Selbst unsere Mutter hat Rio zu ihm gesagt.

Ralph-Möbius-Platz wäre tatsächlich irgendwie falsch. Ich finde Rio-Reiser-Platz besser. Denn unter dem Namen ist er bekannt und die Leute können sich darunter jemanden, auch den König von Deutschland, vorstellen.

Das Grab Ihres Bruders ist seit 2011 nicht mehr in Nordfriesland, sondern auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin. Das haben Sie initiiert. Sind Sie oft dort?

Ja, natürlich. Ich werde auch am Samstag, seinem Todestag, wieder hingehen. Ich gehe drei bis vier Mal im Jahr hin. Das Ehrengrab wird vom Gartenbauamt des Friedhofs betreut und ich schaue immer danach.

Wie hat sich Kreuzberg in den letzten Jahrzehnten in Ihren Augen verändert?

Ich bin 1969 nach Kreuzberg gezogen. Da habe ich für eine Mark pro Quadratmeter ganz billig ein Fabrikgebäude ohne Heizung und Toilette gemietet. Da haben wir – auch Rio – trotzdem gewohnt. Zu der Zeit kamen auch die ersten türkischen Familien. Die deutschen Familien, die damals da waren, waren meist kinderreiche Familien, die sozial nicht so gut gestellt waren. Künstler gab es in Kreuzberg so gut wie noch gar nicht. Auch kulturell war nicht viel los. Aber das familiäre Verhältnis im Kiez war fantastisch. Man kannte sich und hat sich auf den Straßen guten Tag gesagt. Das ist ja heute gar nicht mehr denkbar.

Dann kamen dann immer mehr Studenten und Künstler. Nach der Wende hat sich vieles verändert. Viele sind weggezogen. Nach Mitte oder Friedrichshain. Später kamen viele wieder zurück, weil sie im Osten nicht klarkamen mit den Leuten. Dann war es eine Weile wieder fast so, wie es früher mal war. Nur die Mischung der Leute war noch viel internationaler. Da waren dann Leute aus Portugal, Italien, Frankreich und Spanien.

Heute ist das ja auch so: wenn man am Heinrichplatz ein Lokal besucht, hört man alle Sprachen. Aber es hat sich nochmal verändert. Immer, wenn ich in Kreuzberg bin, kommt es mir vor, als laufe ich auf Stromkabeln. Da gibt’s jetzt Feinschmeckerlokale und Galerien – da war früher gar nicht dran zu denken. Wenn das damals schon so gewesen wäre, wäre ich gar nicht weggezogen.

Aber dass eine Gegend sich so sehr ändern kann, finde ich bemerkenswert. Die Atmosphäre ist so anders da inzwischen. Auch Rio hatte ja bis zu seinem Tod eine Wohnung dort, in der er einen Großteil seiner Zeit verbracht hat. Das, was da heute zu erleben ist, ging ja damals schon langsam los. Das hat Rio nicht gestört. Da war er nicht so empfindlich. Er hat es eben auch in Nordfriesland, wo er ja in Fresenhagen auf einem Bauernhof lebte, auch nicht mehr wirklich ausgehalten. Das war ihm zu weit weg von allem. Die Kreuzberger Atmosphäre war ihm näher als das von Bauern geprägte Nordfriesland.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

 

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Sendung: radioeins, 18.08.2022, 9 Uhr

15 Kommentare

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  1. 15.

    Den Lebenslauf von Rio Reiser nicht zu kennen, ist Unbildung?
    Jetzt bin ich frustriert.
    Das ist aber zugegebenermaßen alles, was meine traditionell durchaus launige Laune trübt.
    Und wenn man mich ließe, würde ich diesbezüglich schlicht gar nichts tun.
    Denn Personenkulte finde ich albern.
    Insbesondere dann, wenn die verehrten Personen niemals irgendetwas Herausragendes geleistet haben.

  2. 14.

    "Idol" wäre übertrieben.
    Aber ja: Ich teile Höckes Standpunkte in vielerlei und auch dieser Hinsicht.
    Und irgendwie vermisse ich nach wie vor die Pro-Argumente, was Ehrungen für Reiser betrifft.
    Er hat in Berlin gelebt.
    Er war Musiker.
    Und einigermaßen bekannt.
    Und was noch?

  3. 13.

    Ich habe meine Ablehnung bereits begründet:
    Wenn jemand eine Ehrengrab erhält oder irgendetwas nach ihm benannt wird, ist "Sagen Sie doch mal, was DAGEGEN spricht!" ein ziemlich schwaches Argument, hm?
    Meiner Meinung nach muss man sich um Berlin, Deutschland oder die Menschheit in besonderem Maße verdient gemacht haben, um so geehrt zu werden.
    Und warum glauben Sie, DASS er derlei Ehrungen verdient?
    Was hat er Besonderes geleistet?
    Schaffen, Sie es, diesbezüglich zumindest EIN überzeugendes Argument zu liefern (und wenn möglich ohne Polemik)?

  4. 12.

    Was hat Heinrich von Preußen denn verbrochen, das man das ändern muss?
    Der Platz bekam seinen Namen, noch vor der Gründung Deutschlands, warum die Historie verschleiern?

    Ok, scheinbar war "Rio" einer der ersten Homosexuellen mit öffentlichen Outing (unter seinem Pseudonym), aber er hat sich doch Musikalisch verewigt, und hat eine Gedenktafel…

    Und warum nicht "Ralph Christian Möbius Platz"? (So ist das irgendwie Geschichtsfälschung, weil es überhaupt keinen Bürger namens Rio Reiser gab!)

    Ich habe nichts gegen umbennungen von Straßen und Plätzen, sofern die bisherigen Namensgeber Massenmörder o.ä. waren, da könnt Ihr auch gerne Querfeministischemultigenderleute nehmen (mit Ihrern Bürgerlichen Namen), sofern sie irgendwas wichtiges zur Gesellschaft beigetragen haben, aber Synonyme und Kunstnamen zu nutzen, finde ich anti-historisch!

  5. 11.

    Er will aus den gleichen Gründen keinen Rio Reiser Platz wieso sein Idol kein "Denkmal der Schande" in Berlin wollte.

  6. 10.

    Welcome back, Rio!
    Wunderbar, das einer der bemerkenswertesten Liedermacher der Bundesrepublik auf diese Weise und so treffsicher am richtigen Ort geehrt wird! Er und Ton Steine Scherben sind von Kreuzberg geprägt und haben Kreuzberg geprägt. Sie haben mehr für den Kiez bewirkt, als viele (koruppte) Senatspolitiker in vielen Jahrzehnten.
    Die Songs von TSS und Rio sind bis heute Wort für Wort zeitgemäß, ja geradezu prophetisch und haben mit Liedzeilen den Sprachgebrauch bis heute verändert. Keine Macht für Niemand, Macht Kaputt, was Euch kaputt macht - bis heute "Schlagwörter".
    Der "Heini" tut mir ein bißchen leid, der gehört auch ein wenig zur Identität, aber der Wechsel ist trotzdem richtig. Das es letztlich kaum was kostet, keine Postadressen zu ändern sind, das macht das ganze Unternehmen zu einem "Schritt für Schritt ins Paradies" - Danke Rio, Danke Kreuzberg

  7. 9.

    Gründe ? Seit wann braucht denn Luckebuck´sche schlechte Laune und Unbildung Gründe?
    Das ist einfach Zustand, der Raum beansprucht.
    Dagegen ist der Aufwand für ein Strassenschild gar nichts.

    Wenn man doch Luckebuck endlich mal ranliesse...
    ...ja was eigentlich, liesse man ihn endlich ran...?

  8. 8.

    Wie wär's denn, wenn Sie mal paar Gründe aufzählen, weshalb er keine Ehrung verdient haben sollte?
    Ihr ständiges Wiederkäuen - schnarch - ändert nichts an der Tatsache, dass seine Grabstelle seit einem Jahr ein Ehrengrab des Landes Berllin ist.
    Ja, nee, is klar: RotRotGrün - "linksversifft" genau wie alle deren Wähler. Davor is man natürlich nur geschützt, wenn man bildungsimmun und beratungsresistent ist.

  9. 7.

    Wieviel Haufen Geld kostet diese Umbenennung, die übrigens nicht aus Problembeseitigungsgründen vorgenommen wurde, denn Ihrer Meinung nach, Sommer?

    Ich find's gut, dass Rio Reiser dort einen kleinen Erinnerungsplatz erhält. Passt schon so.

  10. 6.

    Mit ein bißchen Sachverstand und Beschäftigung seiner Biografie sowie Liedtexte kommen Sie von selbst auf die Antwort. Sie sind alt genug um das man Ihnen nicht alles vorkauen muss.

  11. 5.

    Sind Sie denn auch gewillt eine Ihnen möglicherweise nicht zusprechende Antwort anzunehmen oder möchten Sie mit Ihrem hiesigen Beitrag lediglich ein bisschen rumstänkern?

  12. 4.

    Haben wir keine anderen Sorgen? Dieses Umbenennen kostet ein Haufen Geld.

  13. 3.

    Ich bleibe bei meiner Frage:

    Weshalb sollte Reiser irgendwelche Ehrungen verdient haben?

  14. 2.

    Gute und richtige Entscheidung. Auch wenn es ein paar toxische Feministen nicht passt.

  15. 1.

    Ich finde es gut. Rio Reiser Platz. Heinrich Zille, Claire Walldorf, Rio Reiser...das ist das Berlin der 7 Hinterhöfe, der Frauen, der Männer, die die Stadt schon immer rockten.
    Während die kulturell-künstlerische Provinz "Ornament und Verbrechen" (bis heute) Unter den Linden als furchteinflössende Fassade baut. Peinlich-teuersten Beispiel - das Plattenbauschloss Typ wilhelminische Deko-Elemente.

    Die Idee einer (Strassen)Musik-Theater-Bühne auf dem Rio finde ich eine grossartige Idee! Machen!

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