Barrierefreiheit in Berliner Clubs - Feiern mit Behinderung

Sa 24.09.22 | 17:41 Uhr | Von Felix Michel und Marie Röder
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Eugen sitzt im Rollstuhl, auf der Tanzfläche in einem Berliner Club. (Quelle: rbb)
Video: rbb24 | 24.09.2022 | Autor: Marie Röder & Felix Michel | Bild: rbb

Die Berliner Clubkultur steht für Offenheit und Toleranz. In Sachen Barrierefreiheit werden viele Locations ihrem Anspruch auf Inklusivität aber nicht gerecht. Ein Clubbesuch im Rollstuhl. Von Felix Michel und Marie Röder

"Entschuldigung, sorry, könnte ich mal bitte, Achtung", Eugen kämpft sich an wippenden und tanzenden Körpern vorbei. Ein Teil der Besucher:innen im Gretchen-Club bemerkt ihn gar nicht, andere weichen zaghaft zur Seite - Blicke mit zusammengezogenen Augenbrauen inklusive.

Es ist Freitagabend. Im Gretchen spielt der House DJ Romare sein Set. Der Laden ist brechend voll. Inmitten des Getummels sitzt Eugen in seinem Rollstuhl. Feiern gehöre zum Leben dazu, sagt er. Schon bevor er im Rollstuhl saß, sei er gerne exzessiv unterwegs gewesen. In manchen Läden in Berlin müsse man sich keine Gedanken über Barrierefreiheit machen. "Bei anderen bedarf es sehr viel Improvisation", sagt Eugen.

Offizielle Zahlen dazu, wie viele Clubs in Berlin barrierefrei sind, gibt es nicht. Einen Eindruck über die Lage liefert aber wheelmap – eine Website, auf der Nutzer:innen Orte im Hinblick auf ihre Barrierefreiheit bewerten können [wheelmap.org]. Demnach sind aktuell 44 von 145 Clubs voll rollstuhlgerecht. Als teilweise rollstuhlgerecht sind 29 Clubs vermerkt. Das Gretchen in Kreuzberg zählt zur ersten Kategorie. Am Einlass steht eine mobile Rampe bereit, über die Eugen in den Eingangsbereich fährt. Die Tanzfläche ist ebenerdig. Ein rollstuhlgerechtes Klo gibt es auch.

Einige Clubs kommen gerade so hin mit ihrem Geld

Pamela Schobeß - Vorstand Clubcommission

Barrierefreiheit nicht ganz oben auf der Prioritätenliste

Pamela Schobeß, Betreiberin des Gretchen, sagt, Barrierefreiheit bedeute für verschiedene Personen auch immer etwas Unterschiedliches. Im Gretchen zeige sich Barrierefreiheit vor allem durch die baulichen Veränderungen, die der Club für Rollstuhlfahrer:innen vorgenommen habe.

Gleichzeitig gibt Schobeß zu: "Inwieweit das barrierefrei für alle und jeden ist, kann ich gar nicht sagen." Blickt man ins Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, dann gelten Orte als barrierefrei, wenn Menschen mit Behinderung sie ohne die Hilfe anderer finden und nutzen können [Bundesministerium der Justiz]. Das schließt nicht nur Menschen ein, die im Rollstuhl sitzen, sondern auch jedmögliche andere Behinderungen.

Gretchen-Betreiberin Schobeß ist gleichzeitig auch im Vorstand der Clubcommission, dem Verband der Club- und Partyveranstalter:innen in der Hauptstadt. Sie sagt, Barrierefreiheit werde dort sehr ernst genommen. "Wir versuchen das Thema in das Mindset der Leute zu bekommen", so Schobeß. Dort, wo es noch Nachholbedarf gebe, seien Betreibende vielleicht noch nicht mit Menschen im Rollstuhl konfrontiert worden. Oder es seien bauliche Gegebenheiten – zum Beispiel besonders kleine, verwinkelte Räume mit vielen Treppen – die der Barrierefreiheit im Weg stehen.

Lösungen für diese Probleme zu finden, sei manchmal unmöglich oder sehr teuer. "Viele Clubs kommen gerade so hin mit ihrem Geld", sagt Schobeß. Daher stehe das Thema bei einigen wohl nicht ganz oben auf der Prioritätenliste, mutmaßt sie.

Viele Anfragen, kaum Infos

Für diese Recherche hat rbb|24 Anfragen an 17 Clubs und 4 Bars geschickt. Darunter bekannte Locations wie das Watergate, Berghain, Sisyphos und About Blank. Angefragt wurde, ob die jeweiligen Orte barrierefrei sind und inwiefern das Thema auf der Agenda der Betreibenden steht. Auf die Fragen geantwortet haben nur vier Clubs und keine Bar.

Jene, die geantwortet haben – das Kitkat, Mensch Meier, Prince Charles und Schwuz – sind laut eigener Aussagen barrierefrei oder zumindest barrierearm.

Einige Schwachstellen gebe es aber. Im Mensch Meier gebe es beispielsweise Tresen, die für Menschen im Rollstuhl ungeeignet sind. Im Schwuz müssen Gäst:innen im Rollstuhl einen Lift bedienen; nicht alle könnten das ohne die Hilfe einer anderen Person, sagt Geschäftsführer Marcel Weber. Viele der genannten Clubs betonen, dass sie das Thema Barrierefreiheit ernst nähmen. Einige geben an, in Zukunft noch barriereärmer werden zu wollen.

Über die Barrierefreiheit der anderen angefragten Clubs lässt sich keine Aussage treffen. Dies unterstreicht ein weiteres Problem: Informationen über die Gegebenheiten vor Ort sind nur schwer zugänglich. Zwar besteht die Möglichkeit, auf wheelmap nach Clubs zu suchen. Allerdings ist die Website auf Nutzer:innen angewiesen, die proaktiv losziehen und eine Bewertung schreiben. Die Internetauftritte und Social-Media-Kanäle der Clubs geben selten Auskunft.

Inklusivität minus Barrierefreiheit

Schobeß sieht auch die Politik in der Verantwortung, mehr für das Thema Barrierefreiheit in Clubs zu tun. Das seien schließlich diejenigen, die Gelder zur Verfügung stellten, so Schobeß. Auf Anfrage bei der Senatskulturverwaltung heißt es, Clubs seien keine öffentlich geförderten Kultureinrichtungen. Der Senat könne kulturpolitisch daher wenig Einfluss ausüben. Gefördert werden können jedoch einzelne Projekte, zum Beispiel Reihen und Festivals. In diesem Rahmen könnten sich dann auch Clubs für Gelder für Maßnahmen der Barrierefreiheit bewerben, so die Kultursenatsverwaltung.

Auch die stellvertretende Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Heike Schwarz-Weineck, verweist darauf, dass Clubs in privater Hand sind. "Das Land Berlin kann nur auf jene Clubs Einfluss nehmen, die Bauvorhaben bewilligen lassen müssen. Da wird dann drauf geschaut, ob die barrierefrei sind", sagt Schwarz-Weineck.

Eugen sieht beim Thema Barrierefreiheit einen Widerspruch. "Die Stadt hat sich Inklusivität auf die Fahne geschrieben. Viele Menschen kommen hier her, weil das der Spirit ist", sagt er. Bei der Barrierefreiheit scheinen die Bemühungen dann jedoch aufzuhören, meint Eugen.

Sich in einem Laden ohne Hilfe zu bewegen, bedeutet für ihn auch frei zu sein. Nicht auf andere angewiesen zu sein, sei wichtig, sagt Eugen.

Eugen spricht im Interview über seine Erfahrungen beim barrierefreien Feiern. (Quelle: rbb)
| Bild: rbb

Die Feiercommunity als Hindernis

Bei der Barrierefreiheit geht es jedoch nicht nur um bauliche Gegebenheiten. Es sind teilweise auch andere Clubbesucher:innen, die Menschen im Rollstuhl behindern. Eugen erinnert sich an eine Situation, in der mehrere Menschen die einzige rollstuhlgerechte Toilette im Club blockierten, weil sie sich dort zum Koksen zurückgezogen hatten. Je mehr Alkohol und Drogen im Spiel seien, desto lockerer säßen bei vielen auch verletzende Sprüche, erzählt Eugen.

Bin ich hier ein Accessoire fürs Feeling?

Eugen Franz

Andererseits gebe es auch oft Situationen, in denen fremde Menschen ihn überschwänglich dafür bewunderten, dass er mit Rollstuhl im Club ist. "Da denkt man sich: Bin ich hier ein Accessoire fürs Feeling?", so Eugen. Und tatsächlich: Auch an diesem Abend im Gretchen kommt ein junger Mann auf Eugen zu, schlägt mit ihm ein, fasst ihn an der Schulter an. Sie haben sich zuvor noch nie gesehen.

Für die Zukunft wünscht sich Eugen, dass es zum Standard gehört, dass Menschen im Rollstuhl am Nachtleben teilnehmen. Damit meint er einerseits die baulichen Veränderungen wie Rampen und rollstuhlgerechte Toiletten. Aber auch im Umgang mit Menschen mit Behinderung wünscht er sich ein Umdenken. Nicht nur in den Clubs, auch im Alltag. Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen.

Sendung: rbb24 | 24. September 2022 | 17:12

Beitrag von Felix Michel und Marie Röder

13 Kommentare

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  1. 13.

    Naja, auch wenn ich meistens bei Ihnen bin, es macht schon einen Unterschied, ob ich nicht in einen Club komme, weil ich Shorts oder Sneaker trage, oder weil ich im Rollstuhl sitze und unabhängig vom Einlassverfahren gar keine Möglichkeit habe aufgrund vorhandener Barrieren.

    Anbei möchte ich Ihnen aber danken für Ihr engagiertes Verhalten im rbb-Forum, gerade wenn's gegen Diskriminierung, Fremdenhass und Verschwörungsschwurbeleien geht.

  2. 12.

    „Diejenigen die nicht reinkommen, können im Gegensatz zu den Rollstuhlfahren woanders hingehen, sie sind ja nicht auf die Barrierefreiheit angewiesen.“

    Ich würde auch nicht vermuten, dass gerade die Clubs, die (wahrscheinlich auch nicht unbedingt wenig) Geld in die Barrierefreiheit investiert haben, dann ausgerechnet z.B. Menschen im Rollstuhl an der Tür abweisen. Im Gegenteil könnte ich mir sogar vorstellen, dass diese dort vielleicht sogar einen gewissen Vorteil gegenüber Anderen haben … was ja auch vollkommen okay bzw. wünschenswert wäre.

    Ansonsten wollte ich nur darauf hinweisen, dass eben sowieso nicht jede:r – ob nun mit körperlicher Beeinträchtigung oder nicht – davon ausgehen kann, immer überall reinzukommen. Was unterm Strich ja schon irgendwie ähnlich ist, oder? Das lässt der Artikel aber außen vor, so dass der Eindruck entstehen könnte, dass alle Anderen, die wollen, auch in die nicht barrierefreien Clubs hineinkämen – was aber nun mal nicht der Fall ist.

  3. 11.

    Wollten Sie dazu noch mehr sagen? Wenn Sie das Thema nicht interessiert, halten Sie sich doch raus. Es gibt viele Menschen die, ob betroffen oder nicht, sich für das Thema Barrierefreiheit interessieren. Wenn Sie sich uneingeschränkt im Leben bewegen können, schön für Sie. Für Menschen, die alltäglich Probleme damit haben wirkt ihre Aussage wie blanker Hohn. Die Mehrheit körperlicher Behinderungen trifft die Menschen im Laufe des Lebens, durch Unfall oder Krankheit. Das kann auch Ihnen mal passieren. Darüber könnten Sie sich vielleicht mal Gedanken machen.

  4. 10.

    Dürfen Menschen mit Behinderung nicht am normalen Leben teilnehmen? Sie wollen doch auch, daß Ihnen geholfen wird, wenn Sie Probleme haben!

  5. 9.

    Ich kenne wiederum etliche Leute, die zwar selbst Raucher sind, aber trotzdem davon genervt, dass das Rauchverbot in Clubs so zahlreich missachtet wird. Es geht hier auch nicht darum, ob man sich vom Rauch gestört fühlt, sondern dass es schlichtweg erwiesenermaßen gesundheitsschädlich ist. Leute, die rauchen wollen, knnen das im raucherbereich oder vor der Tür machen, dann müssen sie eben nur kurz mal den Tanzraum verlassen und können ansonsten an der Party teilnehmen. Anderen hingegen, die in verrauchten Räumen Atemprobleme bekommen oder sich nicht dem giftigen Mief aussetzen möchten, wird durch den rücksichtslosen Egoismus einiger der Aufenthalt leider komplett unmöglich gemacht. Das sollte man mal gegenüberstellen. Dieses laissez-faire in Berlin und dass Regelbrüche und Rücksichtlosigkeit scheinbar zur Normalität geworden sind, finde ich zum Kotzen.

  6. 8.

    Hallo Tim,

    zu kurz gedacht. Diejenigen die nicht reinkommen, können im Gegensatz zu den Rollstuhlfahren woanders hingehen, sie sind ja nicht auf die Barrierefreiheit angewiesen.

  7. 7.

    Nur mal so angemerkt: Barrierefreiheit hat nichts mit Einlasskontrollen zu tun.

  8. 6.

    Gut, dass wir sonst keine Probleme haben!

  9. 5.

    Obwohl es auch viele Nichtraucher:innen gibt, die Clubs besuchen, haben ich noch nie von irgendjemandem gehört, dass er/ sie ein Problem damit hätte. Da ich früher relativ viel in Clubs unterwegs gewesen und immer noch ganz gut vernetzt bin (auch in einem Forum, in dem alle möglichen Dinge in dem Zusammenhang, aber auch deutlich darüber hinaus, diskutiert und besprochen werden) möchte ich behaupten, einen relativ guten Überblick darüber zu haben. Szeneintern scheint das absolut kein Problem darzustellen. Auch, weil insgesamt gar nicht mehr so viele Leute rauchen, ist die Luft in Clubs heutzutage längst nicht mehr so verraucht wie früher. Ich persönlich zumindest möchte niemandem das Rauchen verbieten wollen und finde, dass leicht rauchgeschwängerte Luft auch irgendwie dazugehört. Da das eben, wie schon erwähnt, auch nirgendwo ein Thema ist, nehme ich an, dass Andere das wohl ähnlich sehen dürften.

  10. 4.

    Klar, doch wenn ich mit Rollator etc. nicht rein komme, ohne aber schon, dann ist es Diskriminierung - denn das ist es, was von anderen unterscheidet... nicht der Style, die Knoblauchfahne oder sonst was. Das ist noch mal 'ne andere Hausnummer. Ich bin schon mal nicht in ein pberger Kino mit einer Treppe zum Saal rein gekommen mit Rollator...von wegen falls da Feuer ausbräche könne ich nicht so schnell flüchten wie andere... voll der Witz! Wenn ich woanders in ein Kino mit Aufzügen und Rollstuhl reinkomme, würden die Aufzüge im Brandfall nicht mehr nutzbar sein... ist noch ein langer Roadtrip bis zur Inklusion

  11. 3.

    Die Clubs schaffen es ja noch nicht mal, den seit über 10 Jahren vorgeschriebenen Nichtraucherschutz umzusetzen. Nehezu überall wird weitergepafft, und es wird unzureichend kontrolliert und sanktioniert. Das schließt auch eine Menge Menschen vom Aufenthalt in Clubs aus, nämlich alle, die ein Problem mit den Atemwegen haben oder schlicht und einfach nicht dem gesundheitsschätlichen Passivrauch ausgesetzt werden möchten.

  12. 2.

    Nicht, dass mich irgendjemand falsch versteht: Ich bin auf keinen Fall dafür, dass Menschen aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen von Clubbesuchen ausgeschlossen werden sollten – ganz im Gegenteil! Allerdings findet an Clubtüren auch IMMER eine Selektion statt, so dass sowieso nicht jede:r, der/ die vielleicht möchte, reinkommt. Da gibt es also durchaus auch Leute ohne Handycap, die es deutlich schwerer haben als andere. So ungerecht das auch sein mag, müssen die das leider auch akzeptieren und dann eben woanders hingehen. Nur mal so angemerkt …

  13. 1.

    Vor 13 Jahren wurde in Deutschland die UN Behindertenkonvention ratifiziert. Damit würden viele Gesetze zur Inklusion erlassen. Mit nunmehr 13 Jahren Verspätung fällt auf, dass Menschen mit Behinderung zur Gesellschaft, auch der Kultur dazugehört. Das bei dieser Entwicklungsgeschwindigkeit niemanden schlecht wird verwundert mich.
    Dagegen in den USA, wäre jede Einrichtung, die nicht inklusiv ist geschlossen worden, wenn ein Mensch mit Behinderung nicht hereingekommen wäre.

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