Nachhaltigkeit bei Festivals - Zwischen Ökotoiletten und Coca-Cola als Hauptsponsor

Fr 09.09.22 | 05:55 Uhr | Von Helena Daehler
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Archivbild: Lollapalooza Festival in Berlin. (Quelle: dpa/Joko)
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Video: rbb24 | Fr 09.09.22 | Helena Daehler | Bild: dpa/Joko

Die Ärzte und Die Toten Hosen spielen klimapositiv in Berlin, das Lollapalooza will sogar das erste Festival mit Nachhaltigkeits-Zertifizierung werden. Doch wie kann das klappen bei Zehntausenden Besuchern? Von Helena Daehler

Wenn Tausende Menschen zu einem Festival reisen, dort feiern und konsumieren ist das automatisch eine Belastung für die Umwelt: Infrastruktur muss aufgebaut werden, für Konzerte wird viel Strom gebraucht und Lebensmittel werden an den Veranstaltungsort transportiert. Viele Festival-Veranstalter versuchen diese Prozesse nun klimapositiv und nachhaltig zu machen, wie etwa bei den Konzerten der Ärzte oder der Toten Hosen auf dem Tempelhofer Feld. Dabei geht es sowohl um die Kompensation als auch um die Einsparung von CO2.

Null CO2-Emissionen sind utopisch

Das möchte auch das Lollapalooza im und rund ums Olympiastadion erreichen. Zehntausende Besucher:innen werden Ende September dort erwartet. Der Vorteil: Die Location bietet bereits viel Infrastruktur. Es gibt Strom, Anschluss an den Öffentlichen Verkehr und sanitäre Anlagen. Trotzdem: "Null CO2-Emissionen zu haben ist unrealistisch", sagt Hanna Mauksch, die beim Lollapalooza verantwortlich für Nachhaltigkeit ist. "Es geht vielmehr darum, wie wir das Festival effizient gestalten können, etwa mit einer wirklich guten lokalen CO2-Kompensation. So werden Emissionen, die nicht eingespart werden können, ausgeglichen.

Als erstes Festival in Deutschland geht das Lollapalooza in den Zertifizierungsprozess ISO 20121 Das ist eine Art TÜV für Veranstaltungen, mit dem Nachhaltigkeit und Effizienz gemessen werden. Die ISO-Zertifizierung wurde durch die Olympischen Spielen in London inspiriert und gibt nicht nur Rahmenbedingungen für die Nachhaltigkeit vor. Sie ermöglicht auch eine unabhängige Überprüfung. Konkrete Zahlen zu den Einsparungen kann das Lollapalooza demnach erst nach der Auswertung liefern.

Viele kleine Schritte zur Nachhaltigkeit

Um die Nachhaltigkeits-Ziele zu erreichen, legt das Lollapalooza aber eine Vielzahl von Maßnahmen fest. So gibt es für die Mitarbeitenden an zwei Tagen ausschließlich vegetarisches Essen. Auf dem Gelände ist der "grüne Kiez" eingerichtet, in dem sich alles um Nachhaltigkeit und vegane Lebensformen dreht. Besucher:innen dürfen ihre eigene Wasserflasche mitnehmen und an mehreren Trinkbrunnen gratis auffüllen.

Der Verzicht auf Fleisch sei beim Thema Nachhaltigkeit ein zentraler Punkt, sagt Paolo-Daniele Murgia, der Festivals bei der Umsetzung von klimapositiven Maßnahmen unterstützt. "Auf Fleisch zu verzichten für ein Wochenende muss drin liegen. Es macht sehr viel aus bei den Emissionen, teilweise bis zu 30 oder 40 Prozent." Ausschließlich fleischlose Kost anbieten, wollen die Lollapalooza-Veranstalter dieses Jahr aber noch nicht. Die Änderungen sollen sukzessive vorgenommen werden. Im kommenden Jahr wolle man das vegane Angebot weiter ausbauen.

Coca-Cola als Sponsor, aber Nachhaltigkeit

Im Zertifizierungsprozess spielen jedoch auch Zulieferer und andere involvierte Unternehmen eine Rolle. Gut möglich, dass die Lollapallooza-Veranstalter während des Zertifizierungs-Prozesses zur Zusammenarbeit mit Coca-Cola, einem der Hauptsponsoren, Fragen beantworten müssen. Zumal der Getränke-Produzent das Unternehmen ist, das im Jahr 2021 weltweit am meisten Plastikmüll produziert hat.

Grundsätzlich ist Jana Posth, Projektleiterin vom Lollapalooza, überzeugt: Dass Menschen auf Festivals gehen, um Spaß zu haben und zu feiern, schließt sich mit dem Nachhaltigkeitsgedanken nicht aus. Idealerweise sei ein Festival ein Ort, an dem Menschen inspiriert werden: "Wir wollen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger rumlaufen und alle belehren. Wir wollen aufmerksam machen, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen man vielleicht selbst auch was ändern könnte, um nachhaltiger zu leben."

Mehr innovative Ideen gefordert

Großanlässe können an vielen Orten CO2 einsparen – und es müsse noch viel getan werden, sagt Paolo-Daniele Murgia. Innovative Ideen seien gefragt: "Mietzelte, kleine Einkaufsmärkte auf dem Gelände, Mehrwegbecher oder die Möglichkeit eigene Becher mitzubringen." Das gelte vor allem für Festivals mit Übernachtungt.

Murgia berät übrigens auch das Wurzelfestival im Brandenburgischen Niedergörsdorf in Fragen der Nachhaltigkeit. Denn nicht nur für viele Großanlässe ist die Anreise der Besucher:innen ein Faktor, bei dem ein Großteil des CO2-Verbrauchs festgestellt wird, sondern auch bei kleineren Festivals wie eben dem Wurzelfestival mit knapp 10.000 Besucher:innen. Im Ticketpreis mit inbegriffen ist zwar ein Shuttleservice vom nächstgelegenen Bahnhof zum Gelände, viele reisen aber trotzdem mit dem Auto an. Die Züge sind oft voll und das Umsteigen mit Gepäck beschwerlich: "Jedes Jahr sprechen wir die Deutsche Bahn an, ob es nicht Extrazüge geben könnte. Dafür seien wir aber zu klein, kriegen wir als Antwort", so Joana Steinbach, die zuständig ist für die Veranstaltungsplanung.

Wurzelfestival spart 50.000 Einwegbecher

Das Wurzelfestival versucht Nachhaltigkeit in allen Bereichen umzusetzen. Neben Ökotoiletten, bei denen die Ausscheidungen in natürlichen Stoffen wie Sägespänen landen, gab es auf dem Festivalgelände auch das "Urinal für Frauen", welches ohne Wasserspülung funktioniert.

Durch die Einführung eines Mehrwegsystems konnte das Wurzelfestival in diesem Jahr 50.000 Einwegbecher einsparen, das entspricht einer halben Tonne Kunststoff. Trotzdem fällt noch viel Müll an. "Wir schaffen es relativ gut, den Müll während der Veranstaltung zu trennen. Nur während des Aufbaus wollen wir in Zukunft strenger sein."

Was allerdings danach mit dem getrennten Müll passiert, sei nicht transparent genug – und verärgert Joana Steinbach: "Uns wird zwar vom Entsorger gesagt, dass der Müll nach der Abholung recycelt wird, aber ob das wirklich passiert, können wir nicht nachprüfen!" Eine CO2-Bilanzierung, und somit eine Kontrolle der Zulieferer und Entsorger, wäre für das kleine Festival in Niedergörsdorf zu kostenintensiv.

Sendung: rbb24 Abendschau, 09.09.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Helena Daehler

14 Kommentare

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  1. 13.

    Neeeee,dann kleben sich die Besucher auf die Startbahn.Das sind unsere Ökos.Super Vorbilder.

  2. 12.

    Das sind ja die Linken also die guten. Die dürfen das. Ironie aus

  3. 11.

    Nicht vom Winde verweht, sondern die Reste der Zaungäste, die sich das Geld fürs Ticket gespart und außerhalb der Absperrungen campiert haben.

  4. 10.

    Was hier als innovative klimafreundliche Festivalpolitik gefeiert wird, ist seit mehr als 20 Jahren Standard beim Fusion Festival in Mecklenburg Vorpommern. An dieser Stelle also leider nur ein slow clap…

  5. 9.

    Dieselben Truppen waren auch in Rostock und haben sich benommen wie die Vandalen. Der IGA-Park hat große Schäden erlitten und war zugemüllt. Aber bei der Klientel...

  6. 8.

    Man könnte auf dem Tempelhofer Feld einen Flughafen eröffnen, dann hört das Müllproblem auf.

  7. 7.

    Grundsätzlich positiv. Das Tempelhofer Feld hat dennoch Schaden genommen durch die Konzerte. Nach den Auftritten der Toten Hosen und der Ärzte konnten und können immer noch Hinterlassenschaften der Besucher*innen des Feldes betrachtet werden. Plastik, Zigarettenkippen, Glasbruch etc., verteilt über die Wiesen Wiesen und am Wegesrand. Deutlich mehr als zuvor. Um das zu verhindern und für die Beseitigung der Überreste müssen sich die Verantwortlichen noch etwas überlegen.

  8. 6.

    Was für wertvolle Rohstoffe. Und was für tolle Verwertungs-Aufgaben, wenn man will und was kann. Irgendwie muss man doch Ziele und deren Erreichung mit dem Weg dahin unter einen Hut bringen können.

  9. 5.

    Diese Uneigennützigkeit der Sponsoren rührt mich zu Tränen. Ein Festival wird doch nur gemacht, damit alle Geld verdienen. Die Besucher sind das notwenige Übel und benehmen sich mülltechnisch auch so.

  10. 4.

    Selbstverständlich ginge das, bei kleinerem Format, bspw. einer Fast-Großstadt wie Flensburg mit dem Tummelum und dem Dampf-Rundum am dortigen Hafen, bei größeren Formaten habe ich da meine Zweifel. Aufessbare Verpackungen beim dargereichten Essen können auf überschaubereren Veranstaltungen ebenso zum Standard gehören wie eine konsequente Anwendung von Glaspfand. Da gibt es in zahlreichen Städten auch beschlossene Auflagen dazu.

    Dies alles setzt eine Verhaltensänderung beim Besuch voraus und ist, umgekehrt, ab einem bestimmten Ausmaß an Alkohol nicht mehr durchführbar - schlicht, weil die "Peilung" nicht mehr vorhanden ist.

    Gelingt es, aus sich herauszugehen, ohne dass durch Alkohol (und Drogen) es zu einem buchstäblichen Sinnesrausch kommt? Oder sind Menschen quasi schon "domestiziert", ansonsten in sich eingefroren, dass nichts anderes mehr ohne weiteres geht?

  11. 3.

    Die Tage nach den Ärzte-Konzerten auf dem Tempelhofer Feld lagen Unmengen an kleinteiligem Müll im weiten Umkreis (Hunderte Meter) von der Konzertfläche. Vom Winde verweht... wir wollen also nicht zu euphorisch werden.

  12. 2.

    Das Plastikmüll vermieden wird ist sehr zu begrüßen

  13. 1.

    Geht es nur mir so, oder springt jetzt gefühlt jeder auf diesen "Wir-sind-so-öko"-Zug auf? Sorry, aber für mich ist das nichts anderes als Greenwashing pur!!! Denn wie der erste Satz schon sagt, wenn tausende Feiern verursachen die nunmal Ressourcen. Das fängt außerdem viel früher an. Wurden die elektronischen Geräte nachhaltig hergestellt? Wohl kaum. Die Verkabelung? Sicher auch nicht. Die Umwelt braucht und nicht und wäre ohne besser dran. Klingt komisch, is aber so.

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