Interview | Tag der Bibliotheken - "Gerade in Krisenzeiten sind Bibliotheken für den Zusammenhalt extrem wichtig"

Mo 24.10.22 | 06:17 Uhr
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Archivbild:In der Bibliothek im Bezirk Tempelhof-Schöneberg liegen Bücher mit herausgeschnittenen Seiten auf der Lesebank am 13.08.2021.(Quelle:dpa/A.Riedl)
Audio: rbb Kulturradio | Biblioteca Alexandria | 24.10.2022 | Thomas Bormann | Bild: dpa/A.Riedl

In der Zentralbibliothek Tempelhof-Schöneberg wurden im Frühjahr Bücher zerstört, während der Pandemie mussten Bibliotheken immer wieder schließen. Wieso sie aber gerade in schweren Zeiten wichtige Orte bleiben, erzählt Bibliotheksleiter Michael Ruhnke.

rbb|24: Im Mai ist die Zentralbibliothek in Tempelhof-Schöneberg Opfer von rechtem Vandalismus geworden - mehrere Bücher wurden zerstört. Hat es seitdem weitere Fälle gegeben und hat die Polizei bereits die Umstände aufklären können?

Michael Ruhnke: Zu dem aktuellen Stand der Ermittlungen kann ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt nichts sagen. Es gab in der Vergangenheit mehrere Vorfälle in unserer Bibliothek. Wir sehen diese als Angriffe auf unsere demokratische Grundordnung an und stehen da im engen Kontakt mit den zuständigen polizeilichen Behörden. Jeder Fall ist zur Anzeige gebracht worden.

Zur Person

Michael_Ruhnke.(Quelle:privat)
privat

Michael Ruhnke leitet die Bezirkszentralbibliothek in Tempelhof-Schöneberg. Im vergangenen Frühjahr wurden dort einige Bücher zerstört. Ruhnke freut sich außerdem über den geplanten Neubau der Bibliothek.

Welche Gegenmaßnahmen haben Sie ergriffen? Inwiefern ist Vandalismus von rechts generell ein Thema bei Bibliotheken?

Wir haben mit unseren Mitteln darauf reagiert und eine Ausstellung gemacht, in der die zerstörten Bücher gezeigt wurden. Außerdem haben wir ein Veranstaltungsformat initiiert mit dem Titel "Starke Seiten", in dem wir dann die Autor:innen eingeladen haben, deren Bücher zerstört wurden. Wir haben bei den Kolleg:innen in anderen Bezirken nachgefragt und haben zum Glück keine Rückmeldung erhalten, dass dort Vergleichbares passiert ist.

Bibliotheken müssen mittlerweile mehr haben als nur schöne Bücher. Was denn zum Beispiel?

Der "Tag der Bibliotheken" ist für uns ein ganz wichtiger Tag, weil er nochmal auf die Bedeutung von Bibliotheken hinweist, als elementaren Bestandteil der kommunalen Kultur- und Bildungsstruktur. Bibliotheken sind ja heutzutage nicht nur Orte, an denen Sie Bücher entleihen oder arbeiten können, sondern sie stellen so viel mehr dar. Es sind demokratische, partizipative, inklusive Orte. Sie sind Aufenthaltsort, Arbeits- und Studienstätte. Orte, an denen man sich begegnen, an denen man kommunizieren und sich austauschen kann.

Die Ausleihen von E-Books steigen. Wie weit ist die Bibliothek im Hinblick auf den Erwerb von Lizenzen, was sind dabei die größten Herausforderungen?

Es gibt ein sehr umfangreiches digitales Angebot, auf das die Nutzerinnen und Nutzer, wenn sie im Besitz eines Bibliotheksausweises sind, zugreifen können. Die Herausforderung ist, dass wir nicht genug Lizenzen bekommen, um wirklich alles in dem Umfang anbieten zu können wie wir es gerne hätten. Nichtsdestotrotz ist es so, dass wir kontinuierlich daran arbeiten, dass digitale Medienangebot auszubauen. Man kann sicherlich davon ausgehen, dass das Angebot an E-Books in den nächsten Jahren einen immer größeren Raum einnehmen wird.

Hat die Pandemie, den Trend der digitalen Nutzung von Bibliotheken noch verstärkt?

Das ist mit Sicherheit der Fall. Es gab ja während der Corona-Zeit, auch die Zeit der Schließung der Bibliotheken, die ja gar nicht mehr aufgesucht werden konnten. Da gab es dann natürlich das Angebot an elektronische Medien und das wurde in jenen Zeiten entsprechend stark genutzt. Das haben wir auch an den Zahlen aus der Statistik festgestellt.

Jetzt gleichen die Zahlen der Entleihungen im Vergleich zu den Printmedien wieder aus. Unabhängig davon kann man aber festhalten, dass das Interessen an digitalen Inhalten geblieben ist und stetig wächst.

Braucht es Bibliotheken als reale Orte noch?

Sie sind deshalb wichtig, weil sie sicherstellen, dass die Wissensgesellschaft weiter gefördert und ernst genommen wird. Also wenn in Bibliotheken investiert, wird auch in die Zukunft investiert. Bibliotheken sorgen ja dafür, dass es ein sehr niedrigschwelliges Angebot zur Teilhabe an Bildung und Kultur für alle Menschen im Land gibt. Sie sind Kultur-, Bildungs- und Begegnungsorte. Gerade in Krisenzeiten, wie der Pandemie oder der Energiekrise, sind meiner Meinung nach gesellschaftsstärkende Orte wie Bibliotheken für den Zusammenhalt extrem wichtig.

Viele, vor allem kleinere Bibliotheken klagen über Budgetkürzungen und zu wenig Personal, unter anderem auch zu Lasten der Digitalisierung. Wie kann die Berliner Politik etwas verbessern?

Bibliotheken haben schon die Aufgabe, sich den aktuellen Entwicklungen anzupassen, dazu gehört nun mal die Digitalisierung. Es ist natürlich so, dass dadurch ganz andere Aufgaben und Inhalte entstanden sind. Das führt dazu, dass Personal umgeschichtet werden muss. Zum Beispiel wollen wir bald einen Maker Space in unserer Bibliothek haben, also einen Raum, den Kundinnen und Kunden zur Gestaltung nutzen können. Dafür braucht es das entsprechende Personal, was die nötigen Kenntnisse mitbringt, um dieses Angebot zur gewährleisten.

Wir haben auch einen sogenannten Community Manager, dessen Aufgabe es ist, sich um die Netzwerke im Kiez zu kümmern. Oder einen Diversity Manager, der für ein diverses Angebot sorgt. Die Aufgaben sind nicht mehr vergleichbar mit dem, wie sie vor einigen Jahren noch waren.

Wenn man mal von Bibliotheken in großen Städten absieht: Worauf kommt es bei den Bibliotheken auf dem Land an, müssen die mit ähnlichen Herausforderungen umgehen?

Auch für die geht es um digitale Teilhabe. Kleinere Bibliotheken auf dem Lande haben aber noch viel stärker die klassischen Aufgaben zu bewältigen, also die Vermittlung von Medien-, Informations- und Lesekompetenz. Das ist natürlich für alle Bibliotheken wichtig, spielt aber auf dem Land nochmal eine ganz besondere Rolle.

Was haben Sie sich für Ihre Bibliothek für das nächste Jahr vorgenommen?

Wir haben die Aussicht eine neue Bezirkszentralbibliothek zu bekommen und zwar im Rahmen der neuen Mitte Tempelhof. Das wird ein komplett neuer Kultur- und Bildungsbaustein werden. Da werden auch die Volkshochschule , die Musikschule, Museen und Galerien im Bezirk dabei sein. Es ist ein innovatives Kulturgebäude in Planung, was hoffentlich über die Grenzen des Bezirks ausstrahlen wird.

Vielen Dank!

Das Gespräch führt Anna Bordel.

10 Kommentare

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  1. 10.

    In Bibliotheken kann man kommunizieren und sich austauschen? Eine Begegnungsstätte? Liegt hier vielleicht eine Verwechslung mit einer Mensa oder einem Aufenthaltsraum vor?

  2. 9.

    Ja, stimme hier vielen zu: meine Antwort an Sie, dass gerade viele junge Menschen in den Bibliotheken sind, wurde leider nicht freigeschaltet...
    (warum eigentlich nicht RBB???)
    Vielleicht weil ich gleichzeitig schrieb, dass gerade ältere Menschen zumindest in meinem Umfeld extrem TV-lastig unterwegs sind, Netflix abonniert haben, zwischen youtubevideos daddeln und für s gedruckte Wort keine 10 Minuten Konzentration mehr übrig haben.
    Gerade die beschriebene Bibliothek in Schöneberg ist voller junger Menschen und viele Kinder vom Krabbelalter an frequentieren sie mit ihren Eltern. Ebenso in der AGB, auch an Sonntagen (!).
    Ein Hoch auf die Berliner Bibliotheken!

  3. 7.

    @Günther: Ich sehe sowohl in meiner Stamm-Bibliothek als auch in meinem Stamm-Buchladen stets sehr viele junge Menschen mit Büchern. Ist das nicht ein bisschen albern, sämtliche Menschen einer Altersgruppe über einen großen Kamm zu scheren? Ich sehe übrigens sehr viele alte Menschen im ÖPNV mit Handy anstatt mit einem Buch, würde aber deswegen nicht einfach pauschal behaupten, dass alte Menschen keine Bücher mehr lesen.

  4. 6.

    Waren Sie in jüngster Zeit in einer Bibliothek? Die sind voll von jungen Menschen, von Krabbelalter bis Azubi. Bücher, Hausaufgaben, Kino, Sprachen lernen, Coden lernen, Bewerbung schreiben, all das und mehr würden Sie dort sehen. Wenn Sie den Artikel gelesen hätten, wüssten Sie, dass es um viel mehr geht, als Bücher. Z. B. um E-Books und Zeitschriften für das "böse" Smartphone. Aber stattdessen ein Vorurteil über Jugendliche raushauen, ist Ihnen leichter gefallen. Schade.

  5. 5.

    Schwer vorstellbar, dass Herr Ruhnke den falschen Plural wirklich verwendet hat. Denn Schriftsteller und Lyriker haben diesbezüglich einen Konsens. Denn die richtige geschlechtsneutrale Sprache ist äußerst wichtig... für das eindeutige Verstehen. Und in der Geschichte waren die Guten immer die, die die Sprache nicht aus ideologischen Gründen verfälscht haben. Auch in diesem Punkt hat die Vermittlung von Lesekompetenzen auf dem Lande eine Bedeutung, die hier nur leider „angerissen“ wurde. Für einen Praktiker wie Herrn Ruhnke wäre es bestimmt leicht zu erklären, wie es genau geht: Lesekompetenzen vermitteln....

  6. 4.

    Bücher sind was wunderbares. Früher bin ich oft in Bibliotheken gegangen nur gibt es immer weniger davon.
    Ich weiss nicht ob es unbedingt was mit Generationswechsel zu tun hat aber man sieht eigentlich doch sehr oft im Sommer oder auch jetzt junge Leute bei lesen eines Buches.
    Lesen bildet ungemein. Ich lese jeden abend dafür schaue ich kein Fernsehen.
    Aber man sollte schon auf die Auswahl achten, jeder nach seinen Geschmack aber Charlotte Link oder Rosamunde Pilcher kommt mir nicht ins Haus.

  7. 3.

    Leider trifft das zu. Und dies bedaure ich zutiefst. Ich werde das Aussterben all der kleinen schönen Buchläden und zu guter letzt auch noch die Schließungen von Bibliotheken nicht erleben. Eine andere Zeit. Eine ganz andere Welt.

  8. 1.

    Bibliotheken sind ein sehr kostbares Kulturgut. Denn ein Buch in der Hand zu haben um es zu lesen ist immernoch etwas besonders schönes. Lesen ist ein Geschenk.

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