Fotografie-Schau für Kinder - "Eine Ausstellung zum Anfassen mit den Augen"

So 09.10.22 | 08:05 Uhr | Von Marie Kaiser
Plätzchen-Ausstechform in Form einer Kamera, um 2000, Sammlung Camera Obliqua, Köln, (Quelle: © Foto: Wolfgang Vollmer, Köln)
Audio: Inforadio | 09.10.2022 | Oliver Kranz | Bild: © Foto: Wolfgang Vollmer, Köln

Erstmals präsentiert das Museum für Fotografie mit "Vogelschau und Froschperspektive" eine Ausstellung extra für Kinder, in der sich aber auch Erwachsene nicht langweilen dürften. Die 240 Arbeiten zeigen, was sich mit Fotos alles anstellen lässt. Von Marie Kaiser

Ein wenig erinnert es an eine Rakete, das wunderliche Ding, das auf einem Stativ aus Stöcken thront und die Kinder gleich am Eingang begrüßt: eine riesige grünglänzende Weihnachtskugel, die mit einer Kaffeedose, einer Pralinenpackung und einen Lampenschirm zusammengebastelt wurde. Gebaut hat diese einfachste Form einer Kamera der Künstler Günter Derleht. Durch ein kleines Loch fällt Licht in die Kugel - das Bild, das im Inneren der Lochkamera projiziert wird, steht auf dem Kopf. Mit seiner Camera Obscura führt Derleht das Grundprinzip der Fotografie vor, denn das Wort Fotografie kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Schreiben mit Licht".

Die Künstlerin Eva Maria Schön hat unzählige Fotopapiere übereinandergeschichtet als Installation am Boden, die sich durch das Licht im Laufe der Zeit verändern wird. Eine Generation, die damit aufwächst, das alles ständig mit dem Smartphone geknipst wird, kommt in "Vogelschau und Froschperspektive" also vor allem mit analoger Fotografie in Berührung.

Wettkampf im Froschweitsprung

Dabei hängen viele Arbeiten etwa zehn Zentimeter tiefer als in den Ausstellungen für Erwachsene. Manche Fotos befinden sich aber auch nur knapp über dem Boden und fordern uns auf, beim Betrachten selbst die Froschperspektive einzunehmen.

Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt etwa einen Wettkampf im Froschweitsprung im Central Park. Die Siegerin, Froschdame Abby Villaret, ist auf dem Foto aus den 1930er Jahren halbverschwommen im Flug zu bewundern. Die Vogelperspektive führt uns eine ausgestopfte Taube vor, die von der Decke des Museums hängt und mit einer kleinen schwarzen Kamera ausgestattet ist. Der Apotheker Julius Neubronner kam 1907 auf die Idee, seine Brieftauben mit kleinen Fotoapparaten auszustatten, um herauszufinden, was die Vögel aus der Luft wahrnehmen konnten, wenn sie tagelang unterwegs waren.

Eleanor Antin, "100 Boots Move On Sorrento Valley, California, June 24, 1972. 8:50 A.M.", aus der Serie "100 Boots" mit 51 Postkarten nach Fotografien von Philip Steinmetz, 1971–1973, © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Eleanor AntinEleanor Antin, "100 Boots Move On Sorrento Valley, California, June 24, 1972. 8:50 A.M.", aus der Serie "100 Boots" mit 51 Postkarten nach Fotografien von Philip Steinmetz, 1971–1973, © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Eleanor Antin

Exponate zum Anfassen

Ab und zu weisen in der Ausstellung kleine Schilder mit einer roten Hand darauf hin, dass hier etwas in die Hand genommen werden darf. So können die Kinder an einer Schulbank aus 1920er-Jahren Bilderbücher ausmalen, lustige Selbstporträts mit roten Plastikeimern auf dem Kopf machen oder in einer Leseecke Bilderbücher anschauen, die auf Grundlage von Fotos entstanden sind.

Eine echte Entdeckung ist die Kindergeschichte "Der Besuch" von Antje Damm. Die deutsche Illustratorin baut Räume aus Kartonelementen nach, stellt ausgeschnittene Figuren hinein, koloriert und beleuchtet die Szenerien unterschiedlich und fotografiert sie anschließend. Eine dieser zauberhaften Fotobühnen wird im Museum für Fotografie ausgestellt.

Qualitativ auf hohem Niveau

"Tierisch", "Schultage", "Spiel" oder "Frühling, Sommer, Herbst und Winter" – das sind einige der zehn Kapitel, in die sich die Ausstellung gliedert. Insgesamt 240 Arbeiten sind zu sehen, die meisten stammen aus den Fotosammlungen der Berliner Kunstbibliothek. Darunter finden sich viele Spitzenwerke der Fotografiegeschichte - piktorialistische Landschaftsfotografien oder Avantgardefotografie aus den 1920er Jahren. "Das sind nicht irgendwelche Fotografien, sondern wir sind hier qualitativ auf einem ganz hohen Niveau. Sowohl für die Kinder als auch für die Erwachsenen", betont Moritz Wullen, der Direktor der Kunstbibliothek.

Eins ist gewiss: In dieser Ausstellung können auch die meisten Erwachsenen noch etwas lernen und gemeinsam mit ihren Kindern in Fotografie-Geschichte eintauchen. Denn nicht jeder weiß wohl, was genau Chronofotografie ist oder wie ein Fotogramm oder eine Cyanotypie entstehen. "Im Grunde ist es eine Ausstellung, die wir auch für Erwachsene hätten machen können. Aber nun wollten wir endlich einmal Kinder ansprechen, weil es wirklich schade ist. Wir haben immer viel junges Publikum hier, aber nie die noch Jüngeren.", sagt Kuratorin Christine Kühn.

Ausstellung „Vogelschau und Froschperspektive“ im Museum für Fotografie (Quelle: Marie Kaiser)Günter Derleth „Weihnachtskugelpralinenpackungcameraobscura“ (2018)

"Vogelschau und Froschperspektive" ist auf der einen Seite verspielt, nimmt aber Kinder dennoch erfreulich ernst und denkt sie als erwachsene Ausstellungsbesucher und -besucherinnen von morgen mit.

Ein Mindestalter für den Ausstellungsbesuch gibt es nicht. Im Hinterkopf hatte Kuratorin Christine Kühn jedoch Kinder im Grundschulalter: "Mir ist aufgefallen, dass es in Berlin viele Museen gibt, die sich an die ganz Kleinen wenden oder dann an Kinder ab der 8. Klasse und weniger an die Grundschulkinder. Aber es ist keine Ausstellung für die ganz Kleinen, in der man toben, tollen und basteln kann. Da muss ich mal unsere Museumspädagogin zitieren: Es ist eine Ausstellung zum Anfassen mit den Augen."

Die Ausstellung "Vogelschau und Froschperspektive. Fotografie für Kinder" eröffnet am Sonntag, den 9. Oktober, im Museum für Fotografie direkt am Bahnhof Zoologischer Garten. Die Ausstellung läuft bis 19.2.2023.

Sendung: Inforadio, 09.10.2022, 13:11 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

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