Konzertkritik | Ross From Friends - Zwischen Hypnose und Weggeklatscht werden

Mi 09.11.22 | 11:22 Uhr | Von Jakob Bauer
Archicbild: Ross from Friends bei einem Live-Auftritt in Copenhagen. (Quelle: imago images/F. Jense)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.11.2022 | Jakob Bauer | Bild: imago images/F. Jense

"Ross" ist ein Charakter aus der bekannten Sitcom "Friends". "Ross from Friends" aber ist der ungewöhnliche Name eines britischen Elektronik-Projekts, das am Dienstag in Berlin ein ebenso ungewöhnliches Konzert gespielt hat. Von Jakob Bauer

"Ross From Friends" ist ein ziemlich komischer Name für eine Band, der allerdings einen profanen Ursprung hat: Der britische Produzent Felix Weatherall nennt sich so, weil in einem Studio, in dem er mal gearbeitet hat, ein kaputter DVD-Spieler nur noch die Sitcom "Friends" in Dauerschleife abgespielte - einer der Charaktere dieser US-Fernsehserie ist Ross. Nur ein alberner Zufalls-Name also? Ja, auf der einen Seite schon, auf der anderen Seite wabert die Musik des 29-jährigen auch teilweise umher wie eine alte Audiokassette, bei der sich zu viel Staub auf’s Band gelegt hat.

Erst Adrenalin, dann Vollbremsung

Dieser mumpfige, dunstig herumspukende Lo-Fi-Sound ist in den letzten zehn Jahren in einer bestimmten elektronischen Nische ziemlich groß geworden ist. Es ist Musik, die eine nostalgische Note hat, immer wieder verwenden Ross From Friends Samples aus älteren Musikstücken, gespenstische Melodien und Oldschool-Synthesizer-Sound, aber mit dem richtigen, zeitgenössischen Club-Wumms dahinter, um aus den Menschen dann doch wieder ganz viel Lebensfreude herauszuholen.

Und das ist an diesem Abend auch ganz klar der Plan für das Konzert im Kreuzberger Festsaal. Es ist ein bisschen wie Wochenende am Dienstag, das hippe Club-Publikum schüttelt sich zur Aufheizer-DJ warm, und das Adrenalin pumpt schon ordentlich im Gleichschritt mit dem Beat, als Felix Weatherall und seine zwei Mitmusiker auf die Bühne kommen. Doch dann ist erstmal Vollbremsung angesagt.

Tech-Heads im Jazz-Club

Denn hier ist erstmal gar kein Beat mehr zu hören. Im schummrigen Licht spielt da einer Saxofon, das klingt, wie in einem verrauchten Jazzclub und das auffordert: Runterkommen, einatmen, eintauchen. Denn Weatherall ist zwar an sich ein klassischer Produzent, der allein in seinem Studio Beats zusammenbastelt, live unterstützen ihn aber ein Saxofonist und ein Gitarrist, die sich wahlweise um die Melodien schlängeln oder sich auch einfach in freejazzigen Lärm hineinsteigern, bis dann der wie immer erlösende Drop durch den Festsaal wummert.

Ross From Friends hauen allerdings nicht einen Banger nach dem anderen raus, das ist eher Techno von der feinfühligeren Seite. Der Spannungsbogen hält die ganzen 90 Minuten lang, weil die Gruppe immer wieder Rhythmen und Sound wechselt, da ist mal ein Xylofon zu erahnen, menschliche Stimmen wabern durch den Raum, und auch mal etwas, das tatsächlich wie ein Meerschweinchen-Quieken klingt, aber in Wirklichkeit wahrscheinlich eine 500 Mal durch den Computer gejagte Gitarre ist.

Techno in virtuos

Das Publikum folgt der Dramaturgie, zwischen Traumtänzerei und Techno-Gezappel, zwischen Hypnose und Weggeklatscht werden. Die drei Jungs vorne auf der Bühne, schmächtig und unauffällig, aber immer in Bewegung, fliegen virtuos mit ihren Fingern über ihre Mixer, ihre Soundgeneratoren und ihre Instrumente und strafen alle Lügen, die behaupten: Techno, live? Das ist doch nur den Laptop hinstellen und auf Play drücken. Ne, das ist viel mehr und das ist echt gut.

Sendung: rbb Kultur, 09.11.2022, 09:30 Uhr

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