Konzertkritik | Von Wegen Lisbeth - Die treiben die Columbiahalle in den Wahnsinn

Sa 05.11.22 | 09:51 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Archivbild: Matthias Rohde, Julian Zschäbitz und Julian Hölting von Von Wegen Lisbeth live am 23.07.2021 beim Picknick Konzert auf der Zoopark Festwiese in Erfurt. (Quelle: dpa/Michael Kremer)
Audio: rbb24 Inforadio | 05.11.2022 | Hendrik Schröder | Bild: dpa/Michael Kremer

Die Musiker von Von Wegen Lisbeth kennen sich seit der siebten Klasse. Von der Schülercombo sind sie längst zur ernstzunehmenden Popband gereift. Und zum Live-Spektakel. Von Hendrik Schröder

Die Geschichte ist natürlich auch super: Fünf Freunde gründen in der siebten Klasse eine Band, fangen mit Rumgeschrammel an, ändern ein paar Mal ihren Namen und ihren Stil - und werden Jahre später eine der besten und erfolgreichsten Popbands aus Berlin.

Die Columbiahalle ist prallvoll an diesem Freitag Abend. Es soll für die Band das Abschlusskonzert, das Finale einer langen Tour zur neuen Platte "EZ Aquarii" sein. Nach ein paar Minuten Intro, bei dem die fünf Musiker im Halbdunkel weirde Sounds produzierend über ihren Instrumenten hängen, schält sich die Melodie von ihrem Hit "Westkreuz" aus dem psychedelischen Gewaber - und die Halle steht Kopf. Und zwar von Takt eins an. Die ganze Halle. Jeder kennt jede Textzeile und manchmal brüllt das Publikum lauter als der Sänger. Das wird hier kein normaler Abend, das ist sofort klar.

Toller Beat, trauriger Text

Von wegen Lisbeth spielen aber auch gut. Bei denen zeigt sich, dass es auch für eine Pop/Rockband gar nicht verkehrt sein kann, es wirklich drauf zu haben und nicht nur über den Ausdruck zu kommen. Wenn man das Können nicht zur Leistungsschau macht, sondern in den Dienst der Songs und der Tanzbarkeit stellt. An einer Stelle machen sie eine Ansage und sagen sowas wie: "Naja, wir kommen ja aus dem Punkrock und da war es uncool ein Instrument zu können und deswegen sind wir immer ganz erstaunt, wenn jemand musikalisch so richtig weiß, was er macht". Pure Koketterie. Die wissen ganz genau, was sie da machen. Die treiben die Halle langsam in den Wahnsinn.

Gerade Basser Julian, der mit Plectrum Bass die Songs so schnell und melodisch zugleich erst richtig zum kicken bringt. Spielt keinen Ton zu viel, keinen zu wenig, mega. Dabei sind die Texte von Von Wegen Lisbeth doch oft so traurig. Immer ist jemand weg und wird vermisst oder es ist kalt oder man musste sehr lange rennen, sowas. Man kann sagen, die Band ist von der Performance, vom Können und auch von der Ausstrahlung her mittlerweile ein bisschen erwachsener als ihre alten Texte. Aber so ist das halt. Die meisten Zuschauer sind zwischen 20 und 30 und singen jede dieser Zeile mit einer Inbrunst, als würden sie genau ihr Leben, ihre Gefühle beschreiben. Und so ist es ja auch.

Auf Naturdroge im Circle Pit

Aber auch Männergruppen um die Mitte 40 stehen da, haben vor dem Konzert noch ausgetauscht, bei welcher Oma welche der Kinder sind und jetzt schreien sie die Refrains an die Decke und schlagen sich gegenseitig feixend auf die kleinen Bäuche dabei. Auf der Empore steht ein vielleicht achtjähriges Kind mit dicken Lärmschutz-Kopfhörern auf den Ohren und springt wild auf und ab. Daneben die Mutter grinsend wie auf irgendeiner abgefahrenen Naturdroge. Man kann das gar nicht oft genug betonen, wie besonders diese Crowd ist. So eine unbedingte Energie, so eine Feierwut, das ist schon außergewöhnlich. Immer wieder bilden sich sogenannte "circle pits", bei denen die Leute an einer ruhigen Stelle einen Kreis bilden, in der Mitte leer und dann bei anziehendem Tempo wie verrückt auf - und ineinander rennen.

Optisch wie Fußballtrainer in Wattenscheid 1984

"Cherie", "meine Kneipe", "Wenn Du tanzt", das neue "Elon", die Band hat seit 2016 drei Platten veröffentlicht und auf jeder waren echte Hits. Schaffen die wenigsten Bands. Und die wenigsten bewegen sich auch so geschmeidig. Wie Sänger Matthias Rode seine Hüfte nach links und rechts schmeißt, in seinem viel zu großen ollen Anzug in Joggingschuhen. Überhaupt tragen die seltsame Klamotten, die teilweise aussehen wie Fußballtrainer in Wattenscheid 1984 aussahen. Schnäuzer, Vokuhila. Können sie aber irgendwie tragen ohne albern dabei zu wirken.

Zwischendurch trommeln sie noch ein bisschen für Spendenaktionen für die Ukraine und die Seenotrettung, auch dafür gibts Jubel, und sie gendern sogar in ihren Ansagen. Mehr kann man ja kaum richtig machen. Eine erwachsene, hungrige, sympathische Band, ein würdiger Tourabschluss - und ein Publikum, das den Ausrastenpreis des Jahres jetzt schon sicher hat.

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.11.2022, 8:55 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

3 Kommentare

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  1. 3.

    Danke, das freut mich sehr!
    Aber ich heiße Knut. Knut Krause.

  2. 2.

    Ich liebe die Rezensionen von Hendrik Schröder! Da sitzt jedes Wort. Einfach Klasse und weiter so!!

  3. 1.

    Ich find die schon auch ganz gut, obwohl ich jetzt nicht auf dem Konzert war. Aber vielleicht könnten sie noch ein bisschen mehr in Richtung Rock gehen, oder auch Funk. Ich find z.b. auch Bilderbuch gut, obwohl die ja aus Österreich sind, da tue ich mir mit dem Textverständnis oft schwer. Das ist bei Silbermond ja nicht so, also zumindest akustisch, aber die neue Platte würde ich mir glaub trotzdem nicht kaufen, kommt drauf an.

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