#musikistkeinhobby | Sängerin und Produzentin Lucy Dye - "Musik machen - das ist für mich auch Traumaverarbeitung"

Do 05.01.23 | 08:08 Uhr | Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag
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#musikistkeinhobby Lucy Dye (Quelle: DNA Creative Collective)
Audio: rbb|24 | 01.01.2023 | O-Ton von Lucy Dye | Bild: DNA Creative Collective

In der Jugend erlebt Lucy Dye Missbrauch und Manipulation. In ihren autobiografischen Songs verarbeitet sie die Erlebnisse. Wie das geht, hat sie auch auf einer Popakademie gelernt. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

In der rbb|24-Reihe #musikistkeinhobby treffen Hendrik Schröder und Christoph Schrag jede Woche Musiker:innen aus der Region, die gerade auf dem Sprung nach oben sind - und ihre ganz besondere Message und Geschichte erzählen.

Lucy Dye ist mein Künstlername. Ich bin selbstständige Musikerin in Berlin und mache Musikproduktion, Performance und Gesang. Aufgewachsen bin ich in Aachen. Ich habe da schon in Kinderchören gesungen oder am Theater mal Musik gemacht, in Musicals mitgespielt und nach der Schule meine Songs geschrieben. Dann war ich in einem Jugendchor und habe da meine ersten Soloerfahrungen gemacht.

Den Wettbewerb "Jugend musiziert" habe ich auch mal gewonnen, in der Kategorie Pop. Und dann habe ich mich beworben für die Popakademie in Mannheim. Bin da angenommen worden und bin nach Mannheim gezogen. Da habe ich dann vier Jahre Popmusik studiert. Ein paar Business-Kurse waren auch dabei. Dann bin ich nach Berlin gezogen für ein Praktikum und bin hiergeblieben.

Rational denken, künstlerisch handeln

Erstaunlicherweise hat Musik in meiner Familie überhaupt keine Rolle gespielt. Meine Mutter ist aber Malerin und hat ein großes Verständnis gehabt, dass ich meine künstlerische Seite gerne ausleben möchte. Mein Vater ist Arzt und hätte sich für mich wohl einen sichereren Weg gewünscht, aber er hat sich mir nie in den Weg gestellt. Aber mal ein bisschen rationaler zu denken und sich nicht zu verlieren, das habe ich von ihm.

Meine Mutter hat immer eher Verständnis für das Künstlerische, also da habe ich Support von beiden Seiten, was mich natürlich sehr privilegiert macht. Vielleicht habe ich dann bei der Entscheidung an die Popakademie zu gehen, eine Mischung aus beiden Seiten gemacht. Der sicherere Weg war ein Studium, der künstlerische Weg war dann, ein Kunststudium zu wählen.

Prägende Popakademie und Gigs in irischen Pubs

An der Popakademie habe ich immerhin vier Jahre studiert und dort auch meine bis heute engsten Mitmusiker und Freunde kennengelernt. Das ist einfach ein Pool von so vielen talentierten Menschen. Ich hab noch nie so schnell so viele Leute kennenlernen können, Connections knüpfen können. Ich glaube Connections sind in der Musik, wie in jedem Kunst-Business eigentlich, das allerwichtigste.

Im Rahmen der Popakademie habe ich auch ein Auslandssemester in Irland gemacht. Ich bin da viel in Pubs aufgetreten und bei Open Mic Sessions. Ich habe da so viele talentierte Musiker*innen kennengelernt, einer besser als der andere, es ist echt Wahnsinn. Alle machen auch Straßenmusik und da denkt man, wow, da ist so viel Talent in dem Land. Diese Livemusik-Kultur, die es dort gibt, fehlt mir in Deutschland. Dass in Kneipen einfach überall live gespielt wird oder auch bei Privatpartys.

Solosongs und Nebenjobs

In Irland hat eigentlich auch mein Soloprojekt angefangen. Da habe ich total viele Songs aufgenommen und produziert. Mein Musikprojekt würde ich Avantgarde Pop nennen, ein bisschen dunkel ist es auch, expressiv und sehr divers von den Stimmungen her. Ich habe dabei aber immer nebenher für andere Leute geschrieben und habe noch andere Shows gespielt, wo ich nur gesungen habe, für Musical-ähnliche Projekte. Manchmal singe ich auch Backing Vocals für andere ein.

Ich arbeite auch als Toplinerin, das kann ich ganz gut. Toplining bedeutet, dass man sozusagen auf schon produzierte Musik Gesangsmelodien komponiert. Also manchmal kommen z.B. Techno DJs zu mir, die haben nur einen Beat geschrieben und brauchen eine Stimme dazu, sowas mache ich dann.

Umarmen, loslassen und neues Selbstvertrauen

Musik machen und Songs schreiben, das ist für mich auch Traumaverarbeitung. Ich schreibe über Dinge, die ich erlebt habe. Unter anderem über Dinge in meiner Vergangenheit, die leider auch mit sexuellem Missbrauch zu tun hatten und manipulativen Persönlichkeiten und dadurch entstandene Selbstzweifel. Und auch Body Issues. Mit diesen Themen können sich glaube ich viele identifizieren, weil sie leider vielen jungen Menschen passieren. Mir hat das Songs darüber schreiben sehr geholfen. Diese Themen zu verstehen, zu reflektieren und einen Umgang damit zu finden.

Ich habe aber auch Therapien gemacht, habe Selbstverteidigung gelernt. Und habe mittlerweile ein ganz neues Selbstvertrauen erworben. Nicht zuletzt dadurch, mit meinen Liedern darüber auf der Bühne zu stehen. Wenn ich mich in meinen Liedern über diese Erlebnisse ausdrücke, dann werde ich stärker, habe ich gemerkt. Kein Rückzug, stattdessen offensiv damit umgehen. Ich habe mich diesen Traumata gestellt bzw. sie umarmt und verstanden, was da eigentlich los ist. Irgendwann konnte ich sie dann gehen lassen, loslassen. So wie man Lieder auch loslässt, wenn man sie veröffentlicht.

Audio: rbb|24, 01.01.2023, 11:00 Uhr

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Beitrag von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

4 Kommentare

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  1. 4.

    Wir haben Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn, doch wo bleibt die 0-Promille-Zone.

  2. 3.

    @SB: Was genau erkennen Sie da als groben Unfug? Erklären Sie sich doch mal.

  3. 2.

    Der Rotgrünfunk mutiert nicht nur zum Hofberichterstattungsmedium, sondern zusätzlich auch noch zur Kopie der „Bunten“. Warum muss ich für diesen groben Unfug zahlen?

  4. 1.

    Wenn man den Parallelartikel über Rente im Alter liest, fragt man sich, ob das hier das richtige Lebensmodell ist. Aber vielleicht irre ich mich ja auch, weil branchenfremd.

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