Theaterkritik | "Angabe der Person" - "Könnte ich bitte noch einen Nachschlag von mir haben?"

Elfriede Jelinek hat mit "Angabe der Person" eine Art Lebensbilanz geschrieben. Die unterhaltsame Uraufführung am Deutschen Theater ist vor allem eine Gala-Vorstellung für drei herausragende Schauspielerinnen. Von Fabian Wallmeier
"So, bauen wir mal meine Lebenslaufbahn", ruft Linn Reusse und lässt einen Aktenordner auf den Bühnenboden knallen. Sie gibt damit tatsächlich einigermaßen wieder, was in den folgenden zweieinhalb Stunden im Deutschen Theater zu sehen ist: Elfriede Jelineks "Angabe der Person" bildet zwar nicht akkurat den Lebenslauf der Autorin ab, aber was da gebaut wird, ist schon ein auffallend persönlicher Text.
Zwar hat Regisseur Jossi Wieler den in Buchform bereits erschienenen Text für die Uraufführung um rund die Hälfte gekürzt, aber er hat das so geschickt gemacht, dass er trotzdem vollständig wirkt. Es geht vordergründig um eine unangenehme Erfahrung mit der deutschen Steuerfahndung. Hintergründig behandelt Jelinek vor allem die NS-Verbrechen (auch gegen ihre eigene Familie) und wie sie bis heute nachwirken - auch in finanzieller Hinsicht: Wo sind die Vermögen von jüdischen Familien geblieben und warum wurden sie nie vollständig entschädigt?
"Meiden Sie unbedingt Luxemburg"
Gebaut ist der Text, wie von der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin gewohnt, in weitläufigen Schlaufen. Vom Hundertsten springt Jelinek ins Tausendste, setzt effektvoll und mit plakativem Witz Gedankensprünge ein. Gerade war sie noch bei den Toten, denen "wir zu ihrer Zeit alles genommen" haben - da heißt es unvermittelt: "Meiden Sie unbedingt Luxemburg", gefolgt von einem Exkurs über vermeintliche und echte Steueroasen.
"Angabe der Person" behandelt auch das mit dem Tod von Elfriede Jelinek drohende Ende ihrer familiären Linie. Sie konstatiert das durchaus ernsthaft und traurig. Doch sie kontert gleich mit vom Charme und Schmäh kaum im Zaum gehaltenen, wunderbar überdrehtem Größenwahn: "Könnte ich bitte noch einen Nachschlag von mir haben?"
Als Einziger die ganze Zeit auf der Bühne ist Bernd Moss. Er sitzt an einem Schreibtisch und führt in Zeitlupe Autor:innenarbeiten aus: Er tippt auf einem Laptop, durchblättert Papierstapel, hört Tonbänder ab. Ab und zu wirft er aus der Tiefe des Raumes kurz etwas ein, ruft "Elfie" sanft zur Räson - und hin und wieder kommt eine seiner drei Schauspiel-Kolleginnen zu ihm, setzt sich auf seinen Schoß, was er stoisch durch seine auf die Nasenspitze gerutschte Brille zu Boden blickend über sich ergehen lässt.

Drei furiose lange Monologe
Moss wird am Ende allein übrig bleiben und den Abend mit einem wunderbar schalkhaften Schulterzucken beenden - doch die Stars des Abends sind die anderen drei. Der langjährige Jelinek-Vertraute Jossi Wieler hat den Text nämlich als Gala-Vorstellung für drei herausragende Schauspielerinnen inszeniert: DT-Ensemblemitglied Linn Reusse und die altbekannten Star-Gäste Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff.
Die drei Frauen halten erst furiose lange Monologe und treten erst für die letzte halbe Stunde zu dritt auf. Gekleidet sind sie zunächst fast identisch, möglicherweise angelehnt an einen früheren Look von Elfriede Jelinek: graue Hose, weites weißes Hemd, violett-blauer Pullunder, rotstichig-blonde Perücke, pinker Lidschatten. Doch bei näherer Betrachtung zeigen sich Unterschiede: Reusses Hose etwa hat weiße Streifen an der Seite, Haberlandts Hemd hat einen Harlekin-Kragen.
Albernheiten, Abgründe, Düsternis
Doch der eigentlich spannende Unterschied besteht darin, wie die drei sich auf ihre ganz individuelle Art den Jelinek-Sound aneignen. Reusse bleibt auch nach dem beherzten Fallenlassen des Aktenordners anpackend und grundfreudig. Sie kehrt mit einem naiv-fröhlichen Glucksen vor allem die Albernheiten des Textes geschickt hervor.
Mit Fritzi Haberlandts Auftritt wird die Tonlage spöttischer, abgebrühter. Sie jongliert bewusster mit den Abgründen des Textes und fügt ihm mit Pausen und anderen szenischen Kniffen eigene Brüche hinzu.
Susanne Wolff zuguterletzt konzentriert sich auf die Düsternis, wenn auch ohne dabei den Witz des Textes aus dem Auge zu verlieren. Mit klirrender Kälte in der Stimme läutet sie ein "kleines Zwischenspiel" ein und hämmert auf das ansonsten ferngesteuert spielende Klavier am linken Bühnenrand ein.
Die Wortspielhölle gut im Griff
Was alle drei jedoch eint: Sie sind in der Lage, auch den flachsten Jelinekschen Flirt mit der Wortspielhölle so zu sprechen, dass er tatsächlich witzig ist. Und das ist ihnen hoch anzurechnen, denn auf dem Papier lesen sich Formulierungen wie das Gerichts-"Verfahren, bei dem Sie sich gründlich verfahren werden" eher schal, vor allem, weil der Text so voll von derlei Witzeleien ist.
Die Aufteilung in lange Monologe ist im Text selbst nicht erkennbar angelegt. Er wechselt auch nicht an den Stellen die Tonlage, an denen eine andere Schauspielerin übernimmt. Der Effekt ist ganz allein in den individuellen Fähigkeiten von Linn Reusse, Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff begründet. Würde etwa Haberlandt in der nächsten Vorstellung den Monolog von Reusse sprechen: Jede Wette, dass auch das funktionieren würde.
Man könnte sich natürlich fragen, was Wieler wohl gemacht hätte, wenn er nicht solche schauspielerischen Spitzenkräften zur Verfügung gehabt hätte. Dann nämlich wäre schmerzlich aufgefallen, dass die Regie-Einfälle der Inszenierung freundlich gesagt eher karg ausfallen. Aber was soll's: Er hat sie nun mal zur Verfügung.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.12.2022, 9:55 Uhr