Ausstellung "Chez icke" in der Kommunalen Galerie Berlin - Kein Bier - aber ganz viel Kneipen-Atmosphäre

Sa 04.03.23 | 19:25 Uhr | Von Antonia Krinninger
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Ausstellung Chez Icke in der Kommunalen Galerie Berlin (Quelle: rbb/Antonia Krinninger)
Video: rbb|24 | 28.02.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: rbb/Antonia Krinninger

Drei Künstlerinnen waren da, wo Berlin mehr niederbayerisches Dorf als anonyme Millionenmetropole ist – in den Kneipen. Ihre Beobachtungen haben sie fotografisch eingefangen. Die daraus entstandene Ausstellung ist eine ganz besondere Liebeserklärung. Von Antonia Krinninger

Ein roter Vorhang schimmert durch die Eingangstür. Dahinter blaues Licht, in das man unweigerlich hineingezogen wird. Leise Lounge-Musik wabert durch den Raum. Aber irgendwas stimmt hier nicht: Kein Geruch von Bier und Zigarettenrauch. Es ist auch nicht 8 Uhr abends, sondern 10 Uhr vormittags, und durch die Eingangstür betritt man keine Kneipe, sondern die Kommunale Galerie Berlin in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Ausstellung Chez Icke in der Kommunalen Galerie Berlin (Quelle: rbb/Antonia Krinninger)
Die Künstlerinnen waren in über 90 Kneipen unterwegs | Bild: rbb/Antonia Krinninger

Bier gibt's hier keins, dafür viel Atmosphäre, eingefangen von den Künstlerinnen Stefanie Schweiger, Friederike von Rauch und Anna Lehmann-Brauns. Der "European Month of Photography" (EMOP), feiert 10. Geburtstag. In ganz Berlin finden 100 Ausstellungen statt, darunter auch "Chez Icke – Die Kneipe, ein paralleles Universum". Der Titel spricht für sich: Chez Icke – Bei mir. Und so portraitierten die Künstlerinnen nicht nur Orte, sondern auch Menschen. Die Bilder und Filme lassen spüren, dass Berliner Kneipen für ihre Besitzer oft viel mehr sind als Broterwerb – und für ihre Gäste mehr als eine Absteige für ein Feierabendbier.

Darkroom? Nee, jehste uffs Klo und machste Licht aus!

Ein Kommentar, die die Künstlerinnen in einer Kneipe aufgeschnappt haben.

"Immer zu" anstatt "Immer uff"

Die Fotografinnen Stefanie Schweiger und Friederike von Rauch sprechen leise und behutsam. Sie wählen ihre Worte bedacht. Genauso sind ihre Bilder. Bei ihren Besuchen in über 90 Kneipen waren sie stille Zuhörerinnen und haben beobachtet. Eine Wand des Ausstellungsraumes ist beschrieben mit Kommentaren, die sie in der Kneipe aufgeschnappt haben: "Darkroom? Nee, jehste uffs Klo und machste Licht aus!" oder "Mein Lebm is scheiße, keen Urlaub, keen nix, keen gar nix".

Die Idee zur Ausstellung kam ihnen zusammen mit Anna Lehmann-Brauns während der Pandemie. Im Lockdown kamen sie immer wieder an der Kneipe "Imma Uff" in der Charlottenburger Kantstraße vorbei. "Aber die war immer zu", erzählt Stefanie Schweiger. Kneipe stehe für Kommunikation, für Gemeinschaft. Das stand im Kontrast zu dieser besonderen Zeit, in der jeder für sich war und kein soziales Leben stattfinden konnte.

Ausstellung Chez Icke in der Kommunalen Galerie Berlin (Quelle: rbb/Antonia Krinninger)
Eine Wand ist beschrieben mit Kommentaren von Kneipenbesucher:innen | Bild: rbb/Antonia Krinninger

Es dauerte noch, bis die Kneipen wieder öffnen konnten. Also begannen die Künstlerinnen im Voraus zu recherchieren – ganz theoretisch in Büchern und Archiven. "Wir haben uns dem Thema sehr langsam und behutsam genähert", erklärt Friederike von Rauch. Betrunkene Menschen, Glücksspiel oder Armut sollten nicht im Zentrum ihres Projekts stehen. "Wir wollen nicht romantisieren, aber auch auf keinen Fall bewerten", sagt Friederike von Rauch. Es sei ihnen viel mehr um Atmosphäre gegangen.

Sie macht deutlich, dass sie von der Zusammenarbeit mit ihren Kolleginnen profitieren konnte: "Stefanie Schweiger kann sich unsichtbar machen. Ist doch erstaunlich bei so einer großen Frau", lacht sie. "Das habe ich versucht, mir abzuschauen." Erfolgreich, denn als Zuschauer verliert man sich völlig in den Bildern und vergisst, dass hier jemand mit einer Kamera gefilmt oder fotografiert hat. Die Distanz schmilzt. "Man kann mit einer Kamera die Aufmerksamkeit des Raums auf sich ziehen", sagt Stefanie Schweiger. Doch mit viel Ruhe und kleinem Equipment könne man dem entgegenwirken.

Infos im Netz

Wenn die Kneipe dem Großinvestor weichen muss

Ein Video mit dem Titel "Stammtisch" zeigt einen älteren Wirt. Er steht hinter seinem Tresen. Wartet er auf Gäste? Sein Boxer schnüffelt zwischen den Tischen, wirkt aber ansonsten sehr unaufgeregt. Die Kneipe ist ein Sammelsurium an Gegenständen, die man – böse – als Ramsch bezeichnen könnte.

Stefanie Schweiger erzählt, dass diese Kneipe in Neukölln immer der Traum dieses Wirts und seiner Frau gewesen sei. "Dann hat ein schwedischer Großinvestor das Haus gekauft. Die Mieten wurden erhöht, und die beiden mussten die Kneipe schließen." Zur Eröffnung der Ausstellung seien die beiden dann gekommen. "Sie standen da, haben mit Kopfhörern den Film geschaut, sie haben sich sehr gefreut", erinnert sich Schweiger.

Dass ihre Kneipe zum Kunstobjekt erklärt wird, passiert Kneipenbetreibern wahrscheinlich nicht sehr oft. Bis auf eine Absage wären die drei Frauen aber immer willkommen gewesen, berichten sie.

"Die haben alles gesehen"

In einem Film erzählt Matthias, der Wirt der "Bornholmer Hütte" in Berlin-Prenzlauer Berg, ehrlich und unverfälscht aus seinem Alltag. Auch wenn er betont, dass er abends "seinen Arbeitsspeicher" löschen würde und sehr vergesslich sei, wird deutlich, wie viele Menschen bei ihm schon ein- und ausgegangen sind. "Die Betreiber von Kneipen sind absolute Zeitzeugen", sagt Friederike von Rauch.

"Alle Moden, alle Rituale und Trends – das kennen die alles. Wir haben ganz oft nach unseren Kneipentouren gedacht: Die haben alles gesehen!" Die beiden Künstlerinnen schwärmen von den schönen Begegnungen mit Wirten und Wirtinnen. Sie, die doch eigentlich nie die großen Kneipengängerinnen waren, sind jetzt sehr glücklich, "diese neue Ebene" ihrer Stadt entdeckt zu haben. Für Friederike von Rauch ist diese Ausstellung vor allem eins: eine Liebeserklärung an Berlin.

Ein Stück Berliner Kulturgeschichte

Berlin wandelt sich ununterbrochen. Junge Menschen kommen in Scharen. Berlin heißt Freiheit. Hier trifft man die ganze Welt. Schnell vergisst man, dass die East Side Gallery nicht schon immer Instagram-Kulisse war. Die ältesten Kneipen, die in der Ausstellung zu sehen sind, gibt es seit über 100 Jahren. Viele sind immer noch in Familienbesitz. Wirte sind Teil eines Generationengedächtnisses, ihre Kneipen oft ein Relikt einer vergangenen Zeit – und das ohne Bitterkeit. Hier ist die Metropole Berlin dann doch klein und familiär. Diese Orte auf aufbrausende Politik-Diskussionen, Spielsucht und Alkohol zu reduzieren, ist falsch. Sie zu romantisieren auch. Kneipen sind ein Ort, der geformt ist, von den Menschen, die hier ein und aus gegangen sind. Geballtes Berlin auf ein paar Quadratmetern.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, die Kommunale Galerie sei in Schöneberg. Das ist falsch, sie ist in Charlottenburg-Wilmersdorf. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.02.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Antonia Krinninger

5 Kommentare

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  1. 5.

    Interessante Ausstellung, die ich mir sicher mal ansehen werde.

    @DerAusSpandau
    Hübsche Beschreibung.

  2. 4.

    Die Ausstellung sehe ich mir auf jeden Fall an. Mein alter Herr hatte eine Kneipe in Spandau - bis eine Bank das Gelände kaufte. War damals schon irgendwie urig. Vorn die "Pinte", hinten im Hof die Wohnung. Die Kneipe lag gut eine halbe Treppe unter Erdniveau. Hatte auch was Gutes. Alle sind gesund runtergekommen und keiner konnte im Falle eines Falles spät abends "rausfallen". Muttern hat Bouletten, Salate usw. gezaubert und er den Laden geschmissen. Selber hat er nur zum "Feierabend" ein Bier getrunken. Er wollte schließlich nicht selbst sein bester Kunde sein und sorgte auch dafür das niemand "zu voll" wurde oder Zoff machte. Bei gut zwei Meter und zwei Zentner Kampfgewicht war das auch kein Problem und wirklich immer friedlich. Am Wochenende war vor dem Öffnen immer "Familienkickern" angesagt - war schon schön. Einfach, zusammen mit einer Kneipe aufzuwachsen, war es nicht - aber verdammt lehrreich. Typen gibts da - da kommt kein (Neu-)Psychologe mit - der braucht 'ne Extracouch.

  3. 3.

    Die Kommunale Galerie Berlin ist am Hohenzollerndamm direkt neben dem Rathaus Wilmersdorf und nicht in Schöneberg

  4. 2.

    Hallo Ralfito,

    Sie haben völlig recht, danke für den Hinweis! Haben wir korrigiert.

    Beste Grüße,

    Ihre Redaktion

  5. 1.

    Wenn mich nicht alles täuscht, heisst die Kneipe Imma Uff, mit -a und nicht -er

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