Uraufführung am Jungen Deutschen Theater - Intergalaktische Transgender-Utopien

So 05.03.23 | 14:04 Uhr | Von Barbara Behrendt
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Space Queers: Ein SciFi-Abenteuer von Paul Spittler und dem Jungen DT (Quelle: Arno Declair)
Bild: Arno Declair

In der Box des Deutschen Theaters in Berlin haben acht queere Jugendliche mit dem Regisseur Paul Spittler eine trashige Science-Fiction-Komödie entworfen. Der Stoff: das von Heteronormativität befreite Leben im Jahr 2323. Ein Stück für Insider. Von Barbara Behrendt

Was heißt es, in Diversität miteinander zu leben? Diese Frage sollte dem Abend "Space Queers" am Jungen Deutschen Theater mit acht queeren Jugendlichen zugrunde liegen – ein Science-Fiction-Abenteuer, das im Jahr 2323 spielt. So divers sieht es in der imaginierten Zukunft dann zwar gar nicht aus, dafür aber queer, jung und quietschbunt.

Das Raumschiff der "Space Queers" hat einen längeren Zwischenstopp auf der Erde eingelegt und geht nun auf neue Mission, um die interstellare "Allianz der bedingungslosen und ultimativen Diversität" zu retten. Der Schlüssel zur Utopie wird gesucht – wobei diese Utopie schon eingetreten scheint: Die Erde ist vom Patriarchat befreit, Heteronormativität abgeschafft, bei Unstimmigkeiten wird gekuschelt.

Das ultimative Böse: ein gigantischer Kirsch-Muffin

Die Crew-Mitglieder haben in ihrer Freizeit auf der Erde verschiedene Fortbildungen besucht, von Yoga über Love Language bis zum "Recht auf Faulheit". Und machen sich jetzt startklar: als "Star of Softness" stellt sich ein junger Mann mit weißem Glitzer-Outfit und blonder Perücke vor. "Star of Kommunikation", genannt "der krasse Orbit-Kommunikator", trägt Nosferatu-Mantel und auf der Stirn blaue Hörner. "Star of Kleiderschrank" ist die Styling-Queen in pink, "Star of Abwechslung" ein grüner Alien mit Pappmache-Kopf und haarigen Klauen.

Bei ihrer irren Reise durchs Weltall treffen sie – natürlich! – auf den Feind, das ultimative Böse, hier in Form eines planetengroßen Kirschmuffins. Ähnlich übrigens wie im gefeierten Kinofilm "Everything Everywhere All at Once", wo ein riesiger Donut die Welt bedroht.

Heidi Klum als "Vertreterin des Patriarchats"

Schmatzende Plastiktentakel breiten sich über der kleinen Bühne aus und verschlucken ein Crew-Mitglied, Star of Kuscheligkeit, die stets für Harmonie gesorgt hat. Ausgespuckt wird sie wenig später ausgerechnet als Heidi-Klum-Persiflage, die vom Feind "P-RO 7" programmiert worden ist – eine gute Pointe.

Nun manipuliert sie mit Quietschstimme und falschen Versprechen von Ruhm und Anerkennung die Crew, die schnell ins Verhalten unserer Tage zurückfällt: Softie entwickelt sich zurück zum echten Kerl, die queere Styling-Queen zur arroganten Bitch. Nur Star of Protektion kämpft verbal (Gewalt wird abgelehnt) gegen die Heidi-Maschine: "Du bist das Wahrzeichen der binären und hierarchischen Klassifizierung! Du bist der Pimperator! Dir geht es nur darum, als Vertreterin des Patriarchats die Reproduktion des alten bestehenden heteronormativen Systems zu sichern!" Und so befreit sie die Crew, alle schwören auf Liebe zur Vielfalt und Awareness – Happy End!

Im Zentrum von Paul Spittlers Inszenierung steht jedoch nicht die hanebüchene, irrwitzige Story, sondern ganz dezidiert: der Spaß am Trash, am Glitzer, am Sci-Fi-Quatsch – der hier mit großem Detailreichtum und schön absurden Spielereien zelebriert wird. Das Raumschiff setzt bei Gefahr "Hormon-Aromen-Heterolyse-Atome" frei, die beim Gegner jede Aggression und jede Ambition zur Heteronormativität verfliegen lassen. Angetrieben wird das "Space Absurdity Absorbing Intergalactic Infinityship" zudem klimaneutral mit der Energie aus historischen Kriegen aller Planeten, vor allem "Transgender-Kämpfen und radikalfeministischen, antirassistischen Kämpfen". In "siebenfacher Hyper-Miau-Geschwindigkeit" rauscht das Raumschiff dann durchs All.

Awareness, Sassiness, slay sein

Natürlich steht an diesem Abend die Selbstermächtigung der queeren jungen Akteur:innen im Zentrum. Mit den aktuellen Diversitätsdebatten sollte man sich als Zuschauer:in daher halbwegs auskennen. Denn nicht nur sprechen die Jugendlichen in Turbogeschwindigkeit, es werden auch viele Pointen über Awareness (Achtsamkeit, respektvolles Miteinander), Heteronormativität, Sassiness (queere, freche Selbstbehauptung) und slay sein (beeindruckend sein) abgefeuert – nicht in jedem Wortschatz gängige Vokabeln...

Für woke Sci-Fi-Fans unter 30

Liebe zum Science-Fiction-Trash ist ebenfalls ein Muss. Wem "Space Balls" und "Per Anhalter durch die Galaxis" gefällt, der kann hier ebenfalls Spaß haben – so wie es beim Premierenpublikum mit fast ausschließlich jungen Menschen und Freund:innen der Performer:innen ganz offensichtlich der Fall war.

Mit Diversität, also mit dem Einbeziehen einer großen Bandbreite an Geschichten, Menschen, Identitäten, hat die Inszenierung allerdings wenig zu tun. Sie ist, um im Vokabular zu bleiben, ein "closed shop", eine Insider-Veranstaltung für woke, heteronormativitätskritische Trash- und Sci-Fi-Fans unter 30.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.03.2023, 06:00 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

9 Kommentare

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  1. 9.

    Auch die proportional stärker vertretene Gruppe der Veganer erhält eine unverhältnismäßige Aufmerksamkeit.
    Vielleicht gönnt der RBB dem Tagesspiegel nicht den Titel „wokeste Redaktion Deutschlands“ ?

  2. 8.

    Da werden keine Randgruppen gegeneinander ausgespielt, da wird nur eine sehr kleine Randgruppe medial gehypt um sich damit zu schmücken und dadurch werden andere bedürftige Gruppen von der Hilfe verdrängt, und angeschnitten, die nicht so hip sind. Das ist das traurige und unehrliche.

  3. 7.

    Das geschieht doch grad unter dem Deckmantel der Kunst Kunst.

  4. 6.

    Eine Minderheit gegen eine andere ausspielen, ist nicht die Lösung.

  5. 5.

    Hört endlich alle auf die Kinder sexuell zu indoktrinieren. Die finden das ganz alleine raus, wenn die NATUR befindet, dass sie dazu reif genug sind. Mal ganz, ganz, ganz ehrlich... ich sehe keinen Unterschied wenn sich Kinder damit beschäftigen sollen/müssen und ihnen eingeredet wird, dass das gut ist aber ein Aufschrei nach dem anderen erfolgt (außer bei den Grünen) wenn jugendliche mit älteren befreundet sein wollen. Dann ist es plötzlich Beeinflussung und ausnutzen der Unerfahrenheit und als Krönung sollen sie dann aber zum (grüne) wählen unbeeinflusst und reif genug sein. Kannste dir nicht ausdenken diese doppelzüngige Willkühr Moral. Lasst die Kinder mal machen.. das regelt die Natur.

  6. 4.

    @Ray u Sega: Und warum spielen Sie die Gruppen gegeneinander aus?

  7. 3.

    Thema am aller äußersten Rand der gesellschaftlichen Probleme und sicher nur für wenige Menschen von Wichtigkeit. Also warum macht der RBB so ein Tamtam darum? Da kann man nur der Theaterkritik aus Asterix und Obelix beistimmen: „Die spinnen, die Römer“.

  8. 2.

    Vielleicht findet die Ausgrenzung dieser Gruppen dich den RBB deshalb statt, weil sie nicht so hip und schrill und bunt sind, man sich in dem aktuellen Hype, dich nicht so gut mit ihnen schmücken kann. Schade, so geht es auf Kosten vieler Menschen und Gruppen die mediale Unterstützung bräuchten.

  9. 1.

    Warum bekommen eigentlich 0,5% der Bevölkerung 90% Aufmerksamkeit? Was ist mit Menschen mit Kleinwuchs? Wann bekomme die einen angepassten Treppenbereich? Was ist mit Rollstuhlfahrern, wann können diese Menschen alle Öffis in Berlin barrierefrei nutzen?
    Warum gibt der RBB den queren Menschen, die es nicht immer leicht haben, so über der Maßen Aufmerksamkeit?

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