Berlinische Galerie wiedereröffnet - Wenn ein Bismarck mit dem Kolonialismus abrechnet

Fr 26.05.23 | 17:15 Uhr
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Julius von Bismarck in der Berlinischen Galerie. (Quelle: rbb/M. Kaiser)
Audio: rbb24 Inforadio | 25.05.2023 | Irina Grabowski & Barbara Wiegand | Bild: rbb/M. Kaiser

Nach vier Monaten Schließung wird die Berlinische Galerie gleich mit drei neuen Ausstellungen wiedereröffnet. Besonders die Schau "When Platitudes become form" von Julius von Bismarck hat es in sich. Von Marie Kaiser

"In einem Museum ist es etwas komplexer als im trauten Heim", so scherzt der Direktor der Berlinischen Galerie, Thomas Köhler, als er erklärt, was genau während der Schließung in den vergangenen vier Monaten passiert ist. Die Halogen-Beleuchtung wurde auf moderne LED-Lampen umgestellt. Dafür musste das komplette "Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur" einmal ausgeräumt werden.

Julius von Bismarck in der Berlininischen Galerie. (Quelle: rbb/M. Kaiser)
Bild: rbb/M. Kaiser

Fuchs, Rehkitz und Wildschwein als Empfangskomitee

Bei der Wiedereröffnung der Berlinischen Galerie begrüßen uns nun ein Fuchs, ein winziges Rehkitz und ein borstiges Wildschwein als Empfangskomitee. Nicht lebensecht ausgestopft, sondern wie Leichen an einem Tatort liegen sie am Boden in der Ausstellung "Hunted" des Künstlers Nasan Tur, der sich mit dem menschlichen Jagdtrieb auseinandersetzt.

In der Architektur-Ausstellung "Suddenly Wonderful" werden Zukunftsideen für Westberliner Großbauten aus den 1970er Jahren wie das Internationale Congress Centrum oder den Steglitzer "Bierpinsel" durchgespielt. Besonders in sich hat es jedoch die dritte Ausstellung, mit der die Berlinische Galerie wieder eröffnet: "When Platitudes become form" (Wenn Plattitüden Form werden), in der der Künstler Julius von Bismarck unser Verhältnis zu dem was wir als "Natur" bezeichnen, grundlegend in Frage stellt.

Von der Decke der Berlinischen Galerie hängt ein riesiges Herbarium aus Zimmerpflanzen. Exotische Wesen, die uns vertraut sind. Eine Monstera, eine Strelitzienpalme oder eine Zierbanane. "I like the flowers" - "Ich mag die Blumen" so heißt diese Arbeit, für die Julius von Bismarck zurück in die eigene Kindheit gereist ist. "Das Vorbild waren tatsächlich die Blumen, die ich als Kind im Buch gepresst habe. Ich habe mir gedacht, was würde denn passieren, wenn man das mit einem ganzen Baum oder einer Palme macht?".

Über ein Jahr lang hat Julius von Bismarck getüftelt, bis es ihm gelungen ist, die großen Pflanzen zu pressen, ohne dass sie zermatschen, braun werden oder kaputt gehen. "Wir haben die Stämme einen Tag lang gekocht. Sie dann in einer 50-Tonnen-Hydraulikpresse gepresst und sie danach in einem Pressofen bei Hitze noch einmal getrocknet." Um für Stabilität zu sorgen und sie besser aufhängen zu können,wurden die Pflanzen anschließend auf Aluminiumplatten geklebt.

Pflanzen werden platte Deko-Objekte

Julius von Bismarck hat die meterhohen Pflanzen ihrer dritten Dimension beraubt, sie so flach gepresst als wären es Gänseblümchen. Sie werden zu platten Deko-Objekten. Ihre Wurzeln schweben haltlos in der Luft. "Die sind natürlich mausetot", erklärt der Künstler. "Da geht es um die Frage, inwiefern eignen wir uns Natur an, um uns das Leben schöner zu machen.

Diese Pflanzen machen uns glücklich und irgendwie auch anders als die heimischen Pflanzen. Palmen sind generell eine sehr dekorativ wahrgenommene Form, die man in vielen Restaurants sieht oder auf Straßen, die damit geschmückt werden in Europa. Wir müssen uns aber eines klar machen: Das alles kommt aus der Kolonialzeit."

Zu einer der gepressten Zimmerpflanzen, die hier ausgestellt werden, hat der Künstler ein ganz besonderes Verhältnis: Die Bismarck-Palme, auch bekannt unter dem lateinischen Namen Bismarckia Nobilis, benannt nach dem Urururgroßonkel des Künstlers, dem ersten Kanzler des Deutschen Reichs Otto von Bismarck. "Sie kommt ursprünglich aus Madagaskar", erklärt Julius von Bismarck. "Wie fast alle Pflanzen wurde die Bismarck-Palme von ihren vermeintlichen europäischen Entdeckern benannt. Oft sind die ursprünglichen indigenen Namen gar nicht mehr bekannt."

"In jedem zweiten Interview wurde ich immer nach meinen Namen gefragt"

Und so wird die Ausstellung "When platitudes become form" auch zu einer Abrechnung des Künstlers mit der Rolle des eigenen Urururgroßonkels im 19. Jahrhundert, während der Zeit des europäischen Kolonialismus. Für Julius von Bismarck war es unumgänglich, sich diesem Thema zu stellen: "In jedem zweiten Interview wurde ich immer nach meinen Namen gefragt und dachte immer: Nicht schon wieder! Ich dachte, mach doch eine Ausstellung zu dem Thema, dann kann ich dieses Thema mal ein bisschen abhandeln."

Für ein Landschaftsbild an der Grenze zwischen Malerei und Fotografie ist Julius von Bismarck extra nach Papua-Neuguinea gereist. In der ehemaligen deutschen Kolonie ist bis heute ein Randmeer im Pazifischen Ozean nach dem damaligen Reichskanzler benannt: Die Bismarcksee. In der Ausstellung begegnen uns die Wellen der Bismarcksee in Form eines neun mal zwölf Meter großen Leinentuchs, das von Decke hängt. zwei Ventilatoren sorgen dafür, dass das Tuch und die Wellen in Bewegung bleiben.

Otto von Bismarck als Nationalheld fällt in sich zusammen

Otto von Bismarck begegnet uns aber auch hoch zu Roß - in einer verkleinerten Version des bekannten Bremer Reiterstandbilds. Der Urururgroßneffe inszeniert den "eisernen Kanzler" hier als vollkommen überdimensionierte Drückfigur. Wie bei dem Kinderspielzeug stürzt auch der Bismarck in sich zusammen - in Zeitlupe. "Otto von Bismarck wurde stilisiert als nationaler Held und das hat teilweise absurde Formen angenommen. Dass ich jetzt den Otto genommen habe für diese Skulptur, steht für mich auch symbolisch für diesen Prozess der Neubewertung, der Neuerfindung von Geschichte gegenüber der Neuerfindung von Natur."

Direkt daneben steht eine weitere gigantische Drückfigur: Eine fünf Meter hohe Giraffe bezogen mit echtem Giraffenfell. Als Kind hatte Julius von Bismarck eine kleine Holz-Drückfigur mit einer Giraffe, mit der er endlose Stunden gespielt hat. Für den Künstler steckt dahinter mehr als ein unschuldiges kindliches Spiel: "Egal ob man jetzt mit der Drückfigur spielt und eine Giraffe kollabieren lässt oder ob man in den Zoo geht oder ob man Pflanzen presst und sammelt. Das sind alles vermeintlich total naive, kindliche Handlungen, die nichts Böses haben. Es ist eine wahnsinnige Aneignung, die wir da machen, der man sich meistens gar nicht bewusst ist. Man kann nicht die Natur angucken, ohne sie zu verändern. Alles, was wir machen, verändert die Natur und die Natur verändert uns."

In all diesen Handlungen steckt für Julius von Bismarck aber ein großes Missverständnis, das sich schon in einem simplen Begriff wie "Natur" zeigt, wie er erläutert. "Der Begriff Natur ist für viele ein ganz normaler Begriff. Wenn man es genau nimmt, hat der Begriff aber fast keine Bedeutung, weil er ja davon ausgeht, dass der Mensch sich trennt von der Natur. Alles, was nicht vom Menschen gemacht wird oder der Mensch ist, wird als Natur bezeichnet. Das ergibt aber keinen Sinn. Das ist ein Missverständnis von Natur, was auch dazu führt, dass wir uns falsch verhalten. Wir haben ja gerade eine Klimakrise, die haben wir ja nicht ohne Grund. Dahinter steckt ein Fehlverhalten, ein Fehldenken. Und ich benutze die Mittel der Kunst, um auf dieses Fehldenken aufmerksam zu machen. Ich glaube, das Naturbild, das wir haben, muss eingerissen werden. Es muss stürzen."

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.05.2023, 16:55 Uhr

3 Kommentare

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  1. 3.

    In der Tat war O. v. Bismarck kein glühender Anhänger des Kolonialismus, er nahm ihn in Form eines "Kolateralschadens" billigend in Kauf. Der dt. Kolonialismus war damit offensichtlich Ausdruck innenpolitisch austarierter Interessen. Wer mit wem in Clinch lag und wer mit wem eine taktische Verbindung hatte, welche Rolle das Ansehen der Person spielte, das können wir uns mit unserem heutigen Denken kaum mehr vorstellen.

  2. 2.

    Hier eine Darstellung von der Bundeszentrale für Politische Bildung zum Thema Bismarck und Kolonien. Vorsichtig formuliert, die sieht etwas anders aus.

    https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/202989/bismarck-und-der-kolonialismus/

  3. 1.

    In der Tat haben Menschen bislang selten aus dem behaupteten Gegensatz zwischen sich und der Natur herausgefunden. Oder aber, sie haben sich einfach nur als Teil der Natur begriffen, gleich alles anderen, was die Natur hervorgebracht hat. Das wäre dann die glatte Gegenposition.

    Das eine führte zur Herrschaft, zur Ausplünderung der Natur, das andere aber ist unehrlich gegenüber uns selber. Selbstverständlich wachsen wir über alle Natur heraus und sind doch voll und ganz und unwiderbringlich Teil von ihr. Es ist das Unvermögen, dies Beides zusammenzudenken.

    Der Grund? Weil wir als Menschen dem materialistischen, gegenständlich verhafteten Denken nicht entronnen sind, dergestalt mitnichten das eine UND das andere sein kann, vielmehr immer nur das eine ODER das andere.

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