Konzertkritik | Rancid in der Columbiahalle - Punk, der die Zeit überlebt
Rancid gehörten in den 1990er-Jahren zu den wichtigsten Punkrockbands der Welt. Und wichtig sind sie immer noch. Zumindest für ihre vielen Fans. Das bewiesen sie am Montag in der Berliner Columbiahalle, beobachtet Hendrik Schröder
Sauna - das ist der erste Gedanke beim Betreten der Columbiahalle. Die Luft ist schon zum Anfassen dick und auf der Bühne steht erst die Vorband The Bronx, die mit einem derben metallischen Hardcore-Punk den Laden schon mal vorwärmt. Jeder Song klingt gleich, aber alles geil laut und schnell und brutal und der Sänger springt sogar ins Publikum und lässt die Leute ordentlich durchdrehen.
Dann kommen Rancid auf die Bühne, eröffnen mit dem Titelsong vom neuen Album "Tomorrow never comes", hauen ohne Worte gleich den zweiten Titel hinterher und die Halle explodiert. Bierbecher fliegen durch die Gegend, die Doc-Martens-Stiefel derjenigen, die sich über die Menge auf den gereckten Händen nach vorne tragen lassen, strampeln in der Luft, während die ersten schon fluchtartig den Mob verlassen - zu viel, zu eng, zu krass - und sich erschöpft am Rand auf den Boden hocken. Wasser wird gereicht, ein Mann hält sich schmerzverzerrt das Knie, kann dann aber weitermachen.
Klassentreffen der Volltätowierten
Rancid sind eine dieser kalifornischen 1990er-Punkrockbands, die den neuen West-Coast-Sound damals mit erfanden, melodisch, aber knallhart, schnell, gnadenlos nach vorne, aber trotzdem auch emotional. Im Falle von Rancid auch noch mit ordentlich Ska-Anleihen (wenn auch ohne Bläser), was den Sound natürlich extrem tanzbar macht. Das alles hauchte dem damals auserzählten Genre neues Leben ein und wurde weltweit erfolgreich.
Gefühlt sind an diesem Abend in Berlin alle gekommen, die in der Hochzeit von Rancid selbst jung und wild waren und heute irgendwas zwischen 40 und 60 Jahre alt sind. Sie haben ihre alten Band-Shirts von Nofx, Bad Religion und Operation Ivy noch mal rausgeholt, auch wenn sie hier und da mittlerweile spannen, egal.
Alle sind tätowiert, als käme man ohne Tattoos erst gar nicht durch die Einlasskontrolle. Es herrscht eine Atmosphäre wie bei einem Klassentreffen. Immer wieder umarmen sich Leute, brüllen sich ein "lange nicht gesehen, ja, Mensch, geil" in die Ohren. Wenn Rancid kommen, kommen sie alle noch mal raus.
Die Columbiahalle ist ausverkauft und es wäre auch wirklich keiner mehr reingegangen, so eng steht man. Und man sieht in die funkelnden und strahlenden Augen der Fans und spürt: Die Band bedeutet ihnen noch ziemlich viel. Die Schlangen vor den Bierständen sind endlos, denn selbstverständlich muss zu dieser Musik sehr viel getrunken werden, wer auch immer sich das mal ausgedacht hat.
Zurück in die 1990er
Rancid sind heute selbst eine gewissermaßen alte Band. Die neuen Platten, die sie alle paar Jahre raushauen, sind immer okay bis ganz gut, aber so richtig geht die Post noch immer bei den Sachen aus den 1990ern ab. Ihr Hammeralbum "... And out come the Wolfes" von 1995 spielen sie gefühlt komplett durch.
Aber bei all der Nostalgie liefern die vier Typen ab, als würden sie die Show ihres Lebens spielen. Herzstück der Band sind Tim Armstrong und Lars Frederiksen, beide singen, beide spielen Gitarre. Armstrong, mit tätowierter Glatze und Wikingerbart, ist kaum zu halten, steht mal links, mal rechts und rüttelt und schüttelt seine goldene semi-akustische Gretsch-Gitarre und schmeißt sie sich um den Körper, dass es ein Wunder ist, dass sie nicht abfliegt dabei.
Und so langsam passiert dann das, was bei Konzerten immer das Schönste ist, was immer wieder berührt, egal welches Genre. Auch wenn es im Punkrock leichter ist, weil es in dem Sinne keine Stars und kein "wir oben, ihr unten" gibt: Band und Publikum wachsen wie durch Magie zusammen und werden ein einziger singender, feiernder, sich komplett verausgabender, schwitzender, zugegeben auch irgendwann etwas müffelnder Organismus. Band und Fans mögen in die Jahre gekommen sein, aber sie sind zusammen immer noch ganz groß.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.06.2023, 7:55 Uhr