Backstage im Friedrichstadt-Palast - So tickt der "Palast" von innen
Nur wenige Monate nach der Weltpremiere von "Falling in Love" hat der Friedrichstadt-Palast in Berlin die Produktionskosten von 14 Millionen Euro wieder eingespielt. Wie machen die Menschen hinter den Kulissen das möglich? Ein Backstage-Besuch. Von Hasan Gökkaya
Es dauert noch ein paar Stunden, bis die Aufführung beginnt. Bis der Friedrichstadt-Palast in Berlin im ausverkauften Saal mit "Falling in Love" eine Show bieten wird, die an Pompösität in der Region nicht zu überbieten ist. Noch sind die 1.900 Gäste aber nicht zu ihren Sitzplätzen geströmt, noch ist die Bühne nicht hergerichtet.
Doch eine Etage höher sind an einem Dienstagnachmittag bereits Rufe zu hören und die ersten Schweißtropfen riesen die Stirn eines Tänzers runter. Frauen und Männer heben in einem vollverspiegelten Raum erst das eine Bein, dann das andere. Eines wird immer angewinkelt, sodass das Gewicht des Körpers auf den Fußballen drückt. Es ist Trainingsstunde im Ballettsaal.
"Bei uns ist das Training so aufgebaut, dass wir an der Stange beginnen, also an der 'Bar'. Dann drehen die Tänzer Pirouetten, dafür braucht man eine gerade Achse, danach werden Sprünge trainiert", sagt Ballettdirektorin Alexandra Georgieva. Im Hintergrund läuft Ballettmusik, manchnmal ruft der Ballettmeister den Frauen und Männern neue Anweisungen zu.
Georgieva arbeitet seit 33 Jahren an der Friedrichstraße 107 in Mitte. Ihr sei wichtig, dass die Tänzer verschiedenen Positionioeren durchproben, sagt sie. Denn falle jemand aus, und das passiere immer wieder, müsse Ersatz sofort bereitstehen.
Revuetheater schreibt Rekordzahlen
Der Friedrichstadt-Palast ist ein Revuetheater – es gibt hier Musik, Tanz und Inszenierungen, vor allem geht es aber um die Unterhaltung. Seit einigen Monaten beeindruckt der "Palast", wie er intern genannt wird, mit neuen Rekordzahlen. Die aktuelle Show "Falling in Love" hat von der ersten Idee über die Produktion bis zur Weltpremiere rund 14 Millionen Euro verschlungen - so viel Geld wurde noch nie in der 100-jährigen Geschichte des Friedrichstadt-Palastes ausgegeben.
Dafür gibt es Kostüme zu sehen, die Stardesigner Jean-Paul Gaultier entworfen hat. Und 100 Millionen Swarovsky-Kristalle, die die Bühne schmücken. Apropos Bühne: Die ist nach eigenen Angaben mit rund 3.000 Quadrametern die größte der Welt. Pompösität und Superlative gehören ins Geschäftsmodell - und das scheint zu ziehen. Der Friedrichstadt-Palast hat es nämlich geschafft, nur wenige Monate nach der Weltpremiere von "Falling in Love" im September die ausgegebenen Kosten wieder einzuspielen. Aus wirtschaftlicher Sicht zeichnet sich für die nächsten aderthalb Jahre, solange soll die Aufführung noch laufen, vor allem eines ab: Gewinn.
30 Frauen, 2 Männer bilden längste Kickline der Welt
Im Ballettsaal ganz hinten rechts, hält sich Clara Melita mit einer Hand an einer Stange fest. Die 22-Jährige ist eine von 60 Tänzerinnen und Tänzern im Ensemble. Insgesamgt arbeiten pro Show 100 Künstler auf der Bühne und noch einmal 100 Menschen hinter den Kulissen. Melita schaut auf die Uhr: gleich 17 Uhr, noch zweieinhalb Stunden, bis sie vor knapp 2.000 Menschen auftreten wird.
Melita ist nicht nur Tänzerin, sondern auch Mitglied der sogenannten Kickline. Dabei handelt es sich um eine choreografierte Formation von Tänzern. Dabei werden die Beine synchron und schnell in die Luft gestreckt - mit 30 Frauen und zwei Männern ist die Kickline des Friedrichstadt-Palastes die längste der Welt, wie das Haus sagt.
"Für die Zuschauer, aber auch für mich persönlich ist sie das Highlight der Show. Es hat schon etwas von einem Gemeinschaftsgefühl, wenn alle dassselbe machen", sagt Melita. Die Showbühne teilt sich die junge Tänzerin mit Musikern, Theaterspielern und Artisten. Während der vorherigen Show "Arise" im September stießen zwei Akrobaten in großer Höhe gegeneinander. Die Show wurde pausiert, keiner der beiden verletzte sich aber ernsthaft.
Im Foyer des Friedrichstadt-Palastes steht derweil ein Mann, der das Gebäude und die Elemente jeder Show so gut kennt wie kaum ein anderer: Berndt Schmidt ist Intendant und Produzent des Kassenschlagers "Falling in Love". Kostüme von Gaultier, funkelnde Kristalle von Swarovsky, die längste Kickline. Kann der Mann, der die Show mit Superlativen gefüllt hat, auch ohne auskommen?
Intendant Schmidt: "Die Leute wollen eine Auszeit"
"Das ist schon alles groß hier, aber kann man ja auch mal stolz darauf sein. Als Berlinerin und Berliner meckert man ja immer sonst immer, wie blöd und doof alles ist. Aber hier kann man schon mal stolz drauf sein. Wir versuchen nicht nur groß zu sein, sondern auch toll. Es soll ja auch schön sein."
2023 besuchten 461.000 zahlende Gäste den Friedrichstadt-Palast, dessen Eigentümer das Land Berlin ist. Vergangenes Jahr erhielt das Showtheater 17,1 Millionen Euro an Fördergeld. Intendant Schmidt scheint an die Kraft von Superlativen zu glauben, aber auch an etwas anderes: Timing. Mit Blick auf die Krisen und Kriege in der Welt, aber auch das "Graue" draußen, würden sich die Menschen schlicht nach einer Auszeit sehnen, sagt er. Deshalb würden die Menschen aus der Region, aber auch aus Deutschland sowie Touristen eine Karte ziehen. "Ich glaube, die Leute gehen ins Theater, weil sie sich sagen: 'Ich möchte mir mal eine kleine Auszeit gönnen. Ich brauche mal ein bisschen Freude.' Hier arbeiten Menschen aus 28 Nationen, sie haben verschiedenste Hautfarben, verschiedene Arten zu lieben. Und das in einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass es wieder eng wird für solche Lebenskonzepte", sagt Schmidt.
Atemübungen um nach der Show runterzukommen
Viel Platz ist in der Maske nicht. Blaue Perücken, rote Hosen, viel Haut: Alle 15 bis 20 Minuten kommen neue Tänzer, die sich schminken lassen. Clara Melita sitzt auf einem Sessel und schaut in den Spiegel, die Maskenbildnerin macht sich an die Arbeit. Aufgeregt sei sie nicht besonders, auch Druck spüre sie nicht, trotz der tickenden Uhr. "Früher war das anders, da war ich besonders nach der Show noch voller Adrenalin. Es ist ja auch nicht normal, so spät noch so vielen Lichtern und Geräuschen ausgesetzt zu sein. Ich habe mir deshalb Atemübungen beigebracht, um runterzukommen", sagt sie.
19:18 Uhr: Noch zwölf Minuten, bis die Show losgeht. Es geht in den "Stauraum", einen blau beleuchteten Raum im Backstage. Hier treffen sich die Künstler und Artisten, bevor sie auf die Bühne gehen. Clara Melita wärmt sich noch einmal auf. Es geht in die Hocke, dann hebt sie abwechselnd ihre Beine senkrecht hoch und lehnt sie an die Wand. Wenn der Körper gedehnt sei, könne sie die Kickline auch besser machen, sagt sie.
Und die ungemütlichen Schuhe mit Absatz? Die seien gar nicht so hoch. "In der Regel sollte man auf den Fußspitzen statt auf den Fersen springen, damit man nicht umknickt."
3, 2, 1. Eine Tür geht auf. Das ist das Zeichen für die Tänzerin und ihre Kollegen. Als Gruppe, jeder in enger schwarzer Kleidung plus Kopfbedeckung mit Puschel gehen sie los, die Tür schließt sich hinter ihnen, auf der Bühne steigt die Spannung, im Backstage hingegen ist alles wie vorher: ruhig.