Funktionärstochter und Autorin Lange-Müller - "Unbeugsam war ich sicher nicht. Aber unangepasst allemal"
In der DDR flog sie von der Schule und brach mit ihrer systemtreuen Mutter. Dann machte sie in West-Berlin Karriere als Schriftstellerin: Katja Lange-Müller beschreibt sich selbst als unangepasst. Ein Gespräch über ihren neuen Roman und Mütter.
rbb: Frau Lange-Müller, Sie sind im Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen!" zu sehen. Darin geht es um Frauen in der DDR. Was fangen Sie mit der Zuschreibung unbeugsam an?
Katja Lange-Müller: Unbeugsam war ich sicher nicht. Aber unangepasst allemal. Das war mir in die Wiege gelegt, weil ich eine extreme Linkshänderin bin. Es ging schon in der Schule los. Die Deutschlehrerin schlich sich hinterrücks an mich heran und entriss mir den Stift, weil ich ihn in der Linken hielt - bis ich ihr dann irgendwann mal beherzt in die Hand gebissen habe.
Ich weiß nicht, ob ich mittlerweile angepasst bin. Vielleicht ein wenig. Oder sind die anderen alle unangepasster geworden? So könnte es ja auch sein.
Sie sind damals sogar von der Schule geflogen, warum eigentlich?
Mir blieb keine andere Rolle als die des Klassenclowns: Die linkshändige Funktionärstochter war der Klassenclown. Dabei kam mir zugute, dass ich wirklich sehr überzeugend Stimmen imitieren konnte.
Ich hatte also wieder mal Walter Ulbricht imitiert und auf dem Schulhof viel Beifall und Zuspruch geerntet. Aber dann wurde ich zum Direktor zitiert. Und dann wäre ich immer noch nicht geflogen, wenn ich bereit gewesen wäre, mich vor dem versammelten pädagogischen Rat und dem Elternbeirat zu entschuldigen. Doch da merkte ich, wie mir die Tränen die Kehle hochstiegen. Und dann dachte ich: "Nee, du wirst vor diesen Typen jetzt nicht losheulen!" Also hab ich nur noch gemurmelt: "Mach ich nicht!" Keine Selbstkritik. Ich hüpfte runter von der Aula-Bühne. Und das war's. Danach war Schluss.
Sie nennen sich "Funktionärstochter", weil Ihre Mutter Inge Lange eine der hochrangigsten Frauen in der SED war. Wie war Ihre Beziehung zu ihr?
Meine Mutter kannte ich ja gar nicht so gut. Die war sehr viel auf Reisen und irgendwie immer mächtig beschäftigt. Und als Kinder haben wir das auch verstanden. Wir haben gedacht: Ja, der Kampf um den Weltfrieden ist natürlich viel wichtiger als wir hier. Wir hatten nicht das herzlichste Verhältnis zueinander.
Im Jahr 1976 haben Sie die Petition gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR unterschrieben, in den 1980er Jahren sind Sie dann selbst nach West-Berlin gegangen. Wie hat Ihre Mutter darauf reagiert?
Wir haben uns seltsamerweise seit der Biermann-Petition weder gesehen noch gesprochen, da war völlige Funkstille. Totale, tiefste Funkstille. Ich glaube, wir hatten beide nicht das Bedürfnis, uns einander noch mal anzunähern. So war es einfach.
In Ihrem neuen Buch "Unser Ole" geht es auch um dieses Mutterthema.
Mutter-Tochter-Dramen beschäftigen mich schon lange.
Es ist die Geschichte von drei Frauen, die von ihren Müttern abgelehnt werden. Und von einem Jungen namens Ole, der diese Frauen miteinander verbindet.
Es war die Corona-Zeit, die mich verleitet hat, so ein Buch zu schreiben. Mit Protagonistinnen, die einem nicht das Herz erwärmen, die keine großen Sympathieträgerinnen sind. Es war mir aber dennoch wichtig, ihnen sowas wie epische Gerechtigkeit angedeihen zu lassen und ihnen auch noch eine Art Entwicklung zu ermöglichen.
Die Figuren im Roman sind eher Außenseiter. Was fasziniert Sie daran?
Ich glaube, ich bin auch so. Ich mag solche Figuren und ich sehe sie auch überall. Ich hatte immer solche Randfiguren, vom ersten Buch bis zum jetzigen. Figuren im Zentrum sind nicht so interessant wie die am Rand. Mich interessieren Widersprüche. Das ist auch literarisch viel dankbarer. Diese Figuren sind sehr herausfordernd. Und sie sind provokativ für die anderen. Sie bewirken vielleicht vor allem bei den anderen Veränderungen,weniger bei sich selbst.
Es gibt im Roman dieses Motiv vom nicht sesshaft werden im Leben. Hat das auch etwas mit Ihrem eigenen Leben zu tun? Sie sind ja auch immer unterwegs.
Ich komme aus einem Land, das es nicht mehr gibt. Es gibt dieses Gedicht von Brasch, dass es viel genauer ausdrückt, als ich das könnte: "Wo ich bin, will ich nicht bleiben [...] bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin."
Es gibt einfach Menschen, die haben Bienen im Kopf und Hummeln im Hintern. Zu denen gehöre ich. Was soll ich machen? Das ist mein Naturell, woher ich das habe, ob das irgendwie Charakter ist oder Biologie oder Lebenserfahrung oder alles zusammen – ich kann es nicht so genau sagen. Denn die Selbstanalyse ist mir nicht so gut möglich wie das genaue Schauen auf andere Menschen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Lueg.
Sendung: radio3, 02.09.2024, 6 Uhr