Neugemachter preußischer Pomp - Frische Verzierungen im alten Look für Potsdams Mitte
Im Oktober '90 beschlossen die Stadtverordneten für Potsdam eine "behutsame Wiederannäherung ans historische Stadtbild". 34 Jahre später sieht es rund um die Nikolaikirche fast wieder aus wie früher. Aber ist es richtig, eine Stadt nach historischem Vorbild nachzubauen? Von Felix Moniac
Nur wenige Meter von Potsdams Hauptbahnhof entfernt befindet sich Potsdams Mitte. Die hoch ragende Kuppel der Nikolaikirche leitet den Besucher. Es geht vorbei an der Freundschaftsinsel über die Lange Brücke ins Herz des neuen Touristenspots Potsdams. Dort oben, nach 223 Stufen, wartet ein herrlicher Blick über Stadt und Havel. Aber auch unten gibt es viel Neues zu sehen. Wer sich auf dem Alten Markt um die eigene Achse dreht, sieht: klassizistische Häuserfassaden allenorten. Preussenbarock. Kein einziges sozialistisches Gebäude mehr verstellt den Blick in Häuserfluchten. Der preussische Pomp Potsdams wirkt frei auf’s Auge des Betrachters.
Hunderte Millionen Euro
Direkt nach der Wende hatte die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, Potsdams Mitte wieder aufzubauen. Seitdem arbeitet unter anderen der Bauingenieur und Ur-Potsdamer Andreas Kitschke mit daran, dass seine Stadt wieder aussieht wie früher. Er sagt, man habe irgendwann erkannt, dass man Potsdam als Gesamtkunstwerk betrachten müsse. Es sei keine gewachsene Stadt, sondern sie sei "im Kernbereich am Reißbrett" entstanden. "Wir wollten auf gar keinen Fall jetzt wieder ein neues Viertel errichten, sondern es sollte anknüpfen an das, was quasi an historischer Substanz noch da war", so Kitschke.
Genau das sei eben auch schon im Oktober 1990, als die Stadtverordnetenversammlung den Wiederaufbau beschlossen hatte, so mitgedacht worden: eine behutsame Annäherung an die Stadthistorie, eine Erinnerungsarchitektur. Dabei, so Kitschke, habe man bestimmte Grundprinzipien eingehalten. Zum Beispiel, dass jedes Haus unterschiedliche Fensterhöhen besitzt. Selbst dann, wenn es derselbe Architekt geplant habe. Auf diese Weise sei eine "gewisse Lebendigkeit" entstanden.
Die wiederhergestellte Schönheit des "Früher"
Der Alte Markt - klassisch schön: ein Platz, den man beim Ausflug nach Potsdam gerne besucht und bestaunt. Dann das Museum Barberini, das alte Rathaus, das Landtagsgebäude und die Nikolaikirche - eine Augenweide. Aber vieles ist repliziert, nach alten Plänen wiedererschaffen, denn die meisten Gebäude waren im Krieg zerstört und später abgerissen worden. Potsdams Mitte ist also eine Wiedergeburt im alten Gewand: mit schicker Fassade und Stahlbeton dahinter, mit Dämm- und Feuerschutzvorschriften des neuen Jahrtausends. Und es sind unter anderem diese aktuellen Vorschriften, die das Projekt teuer machen. Laut Stadt beläuft sich das Investitionsvolumen aus öffentlicher Hand auf rund 128 Millionen Euro. Hinzu kommen etwa 600 Millionen Euro Privatinvestitionen. Außerdem gibt es Fördermittel aus dem Programm zur Förderung der touristischen Infrastruktur der Europäischen Union.
Kritik am Abriss von Staudenhof und Fachhochschule
Auch der Potsdamer Stadtplaner und Architekt Steffen Pfrogner erkennt an, dass der Alte Markt gut geworden ist. Kritisch bleibt er trotzdem. Es sei nicht klar, für wen der Ort nun eigentlich wirklich nutzbar sei, für die Bürgerinnen und Bürger Potsdams oder die Touristen. Und Pfrogner sagt, er habe eine klare Meinung zum Thema Abriss: Bauliche Substanz, die einmal entstanden ist, habe auch ihre Daseinsberechtigung.
Man müsse vielleicht hier und da ein bisschen verändern und anpassen an bestimmte Anforderungen oder Geschmäcker, so Pfrogner. Aber man dürfe nicht "tabula rasa machen" und noch vorhandene Gebäude wie das der ehemaligen Fachhochschule einfach beseitigen. Auch der Abriss des Staudenhofs sei demnach falsch gewesen. Denn im Kern sei der Komplex mit rund 180 günstigen Wohnungen direkt neben der Nikolaikirche laut Gutachten vollkommen gesund gewesen.
Kritiker der Abrissgegner weisen darauf hin, dass mit einer Sanierung des Staudenhofs auch dessen Mietpreise deutlich angestiegen wären. Aber auch die neu entstandenen Mietwohnungen des bald fertiggestellten Block III sind schon jetzt teuer. Selbst die vertraglich vereinbarten mietpreisreduzierten Sozialwohnungen kosten rund elf Euro pro Quadratmeter. Und natürlich ist auch die Wohnungsgröße selbst ausschlaggebend für den Mietpreis. Die Wohnungen im Staudenhof waren klein, aber sie waren ausreichend etwa für Studierende und Alleinlebende, also für Menschen mit wenig Geld, die dafür nicht an den Rand der Stadt gedrängt wurden.
Wenig Beachtung für Umweltschutz und Klimawandel
Auch dem Klimawandel sei bei der Rekonstruktion von Potsdams Mitte laut Pfrogner zu wenig Beachtung geschenkt worden. Zum einen wurde mit der Zerstörung von funktionierenden Gebäuden deren "graue Energie" vernichtet, also die Energie, die ursprünglich nötig war, um die Gebäude zu errichten.
Zum anderen fehlt das Grün. Zwar sei der Alte Markt eben historisch überliefert ein Platz “mit einer sehr steinernen Oberfläche” gewesen. Benötigt werden aber laut Pfrogner Großstrukturen durch großkronige Bäume, um die Hitze im Sommer im Zaum zu halten. Solche Bäume widersprächen dem barocken Ensemble, gibt auch Pfrogner zu. “Aber das ist der Konflikt, den man jetzt im Sinne von Denkmalpflege und Klimaschutz aushalten muss”, ergänzt er. Denn was die Denkmalpflege betrifft, habe man jetzt zwar "alles richtig gemacht", sagt Pfrogner. Doch seien eben nur an wenigen, kleinen Flächen Grüninseln geschaffen worden, zum Beispiel neben dem Portal der Nikolaikirche.
Neuer Stolz mit ganz viel Preußenglorie
Im Streit um Potsdams Mitte haben jene Kräfte die Oberhand gewonnen, die an Potsdams Preussenglorie erinnern wollen. Aber noch ist die alte Stadt im Zentrum nicht ganz verschwunden. Auch das Rechenzentrum neben dem neu gebauten Turm der Garnisonkirche steht noch. Zumindest die sozialistischen Mosaike an dessen Außenwand gelten vielen als schützenswert. Aber wer sie noch an ihrem originalen Ort entdecken will, der besucht Potsdam vielleicht doch vorsichtshalber noch dieses Jahr, denn zu Beginn des nächsten Jahres läuft der Nutzungsvertrag für das Rechenzentrum ab. Dann soll es "zurückgebaut" werden. Abriss also. Und natürlich passt es hier jetzt auch gar nicht mehr - zumindest nicht in den neuen Chick des guten alten Preußenbarocks.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 23.10.2024, 19.30 Uhr