Interview | "Carmen" im Maxim Gorki Theater - "Für mich war es wichtig, dass Carmen eine eigene Stimme bekommt"

Mi 22.01.25 | 11:25 Uhr
Carmen im Gorki Theater in Berlin (Quelle: rbb)
Video: rbbKultur - das Magazin | 18.01.2025 | Anne Kohlick | Bild: rbb

Die Neuinszenierung von Bizets "Carmen" am Maxim-Gorki-Theater lässt die Zuschauenden staunen - nicht nur, weil die Femme fatale auf der Bühne ein Mann ist. Ein Gespräch mit Schauspielerin Riah Knight über fetischisierte Frauen und Klischees.

rbb: Frau Knight, welche Bedeutung hat die Oper "Carmen" beziehungsweise ihre Titelfigur für Sie?

Riah Knight: Carmen ist eine der berühmtesten Mainstream-Darstellungen einer Roma-Frau. Und obwohl die Figur geprägt ist von vielen rassistischen Vorurteilen, ist sie eine Art Ikone - auch außerhalb der Oper. In dieser Figur steckt vieles, was Leute wirklich bewundern. Sie ist aber auch ein Produkt von Männer-Fantasien des 18. Jahrhunderts über Roma-Frauen, die exotisiert und fetischisiert wurden. Für mich ist die Dualität ihres Wesens sehr bedeutend. Einerseits ist Carmen unabhängig, verfügt über ein eigenes Einkommen und ist sexuell befreit. Andererseits repräsentiert sie eine durch rassistische und frauenfeindliche Konstrukte geprägte Figur.

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Singer-Songwriterin und Schauspielerin Riah Knight (Quelle: rbb)
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Riah Knight, geboren 1996, ist eine britische Singer-Songwriterin und Schauspielerin. Sie lebt in Berlin und hat bei einigen Theaterproduktionen für das Maxim Gorki Theater mitgewirkt. Für "Carmen" schrieb sie zusammen mit dem Carmen-Darsteller Lindy Larsson Texte und steht unter anderem als "Micaëla" auf der Bühne.

Können Sie uns ein Beispiel nennen für diese Stereotype?

Carmen wird üblicherweise als leidenschaftlich, gewalttätig, diebisch und übersexualisiert inszeniert. Diese Eigenschaften werden häufig als etwas dargestellt, das der Roma-Gesellschaft innewohnt, was natürlich ein sehr rassistisches Konstrukt ist.

Sie spielen im Stück das Bauernmädchen Micaëla. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie angefragt wurden?

Als ich angefragt wurde, war bereits klar, dass Lindy Larsson Carmen spielen würde. Das verleiht der Oper eine andere Wendung - ein schwuler Rom spielt die Hauptrolle. Das ist eine radikale Neudefinition der Darstellung dieser Figur. Es war also eine interessante Herangehensweise, die Oper im Stil von Christian Weise zu inszenieren. Er ist vor allem bei dieser Produktion daran interessiert, die Oper auf die Grundlagen der Commedia dell’Arte zu reduzieren, um die fundamentalen Elemente der Narration aufzudecken und die gesellschaftlichen Elemente zu kritisieren.

Micaëla stellt eher einen Gegensatz zu Carmen dar. Wofür steht sie in Ihren Augen?

Für mich repräsentiert Micaëla rechts-nationale Vorstellungen von Reinheit. Heutzutage könnte sie eine Tradwive sein. Sie glaubt fest an ihre Geschichte - dass sie Don José zurück ins Heimatland bringen muss - und dass sie das Richtige tut. Sie hat Angst vor der verführerischen Kraft Carmens gegenüber José. Micaëla wird oft als jemand dargestellt, mit dem man mitfühlen und Mitleid haben soll. Ich möchte dagegen ihr gefährliches Potenzial zeigen.

Sie haben zusammen mit Lindy Larsson die Texte für "Carmen" geschrieben. Was war für Sie persönlich bei der Neuinterpretation des Stücks wichtig? Was braucht Ihre Carmen im Jahr 2025?

Für mich war es wichtig, dass Carmen eine eigene Stimme und eine eigene Erzählung bekommt. Sie ist im Original ein erzählerisches Mittel, um die männlichen Figuren voranzubringen und ihre Träume, Fantasien und Visionen richten sich nach ihnen. In diesen klassischen Texten werden Frauen oft in Bezug auf die Männer der Geschichte definiert.

Für mich stellte sich demnach die Frage: Was ist, wenn Carmen doch ein eigenständiges Individuum ist, das seine eigenen Wünsche und Sehnsüchte hat, die über die der Männer in ihrem Leben hinausgehen? Was passiert, wenn Carmen das Narrativ zurückfordert und nicht mehr das rassistische, frauenfeindliche Konstrukt darstellen will? Das war für mich der Punkt, den ich mit diesem Stück erreichen wollte: nicht zu sagen, nein, wir können Carmen heute nicht spielen, sondern zu sagen, was ist, wenn Carmen tatsächlich nicht mehr so spielen will. Sie ist da irgendwie rausgewachsen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Anne Kohlick. Es wurde von Tessa Kleinschmidt aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

Sendung: rbbKultur - das Magazin, 18.01.2025, 18:30 Uhr

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