Konzert | Samy Deluxe in der Philharmonie - Cembalo-Solo statt Oldschool-Beat

Mi 12.03.25 | 10:35 Uhr | Von Bruno Dietel
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Das Crossover-Konzert von Samy Deluxe und dem Takeover! Ensemble am 11.03.2025 in der Berliner Philharmonie. (Quelle: rbb/Bruno Dietel)
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Audio: rbb24 Inforadio | 12.03.2025 | Bruno Dietel | Bild: rbb/Bruno Dietel

Samy Deluxe, eine der prägendsten Figuren im deutschen Hip-Hop, geht in die "Hochkultur". Mit einem Kammermusik-Ensemble bringt er ein Crossover-Projekt aus Klassik und Hip-Hop auf die Bühne, nun war er in der ausverkauften Berliner Philharmonie. Von Bruno Dietel

Es ist 20:03 Uhr, als Miki Kekenj, der Leiter des "Takeover! Ensemble", seine Geige stimmt und immer noch Leute in der Philharmonie ihre Plätze suchen. "Lasst Euch Zeit", ruft er ihnen halb-ironisch zu – sonst wird sich in der Philharmonie streng an Zeiten gehalten, das ist heute Abend etwas anders. Aber erstmal wird der Crossover-Abend tatsächlich ganz klassisch eröffnet: Das Kammermusik-Ensemble aus zwei Geigen, Bratsche, Cello, Kontrabass und Cembalo spielt einen Satz aus einem "Concerto Grosso" von Antonio Vivaldi. Nach dem klassischen Intro kommt der Mann, auf den hier eigentlich alle warten: Samy Deluxe tritt auf die Bühne, der Große Saal der Philharmonie bebt vor Freude.

Hip-Hop-Ikone mit angegrautem Vollbart

Samy trägt ein schwarzes, lockeres Hemd, dazu einen schwarzen Fischerhut und einen bunten Schal. Auffällig ist sein mindestens angegrauter Vollbart – der 47-Jährige zeigt selbstbewusst, wie man als Hip-Hop-Größe altern kann, auch der drei Jahre jüngere Kollege Sido ist übrigens stolzer Träger eines grauen Vollbartes.

Was Samy Deluxe hier heute Abend in der Philharmonie plant, hat er schon vor einer Weile ganz unverblümt angekündigt, erst 2019 mit dem Album "Hochkultur", dann hat er 2023 mit "Hochkultur 2" nachgelegt. Sein Ziel ist relativ klar, er will für Hip-Hop die kulturelle Anerkennung bekommen, die es seiner Meinung nach verdient hat: Reime gehören in die Konzerthäuser! In seinem Song "Requiem" rappt er 2019 über die Rolle von Hip-Hop:

"Das letzte Sprachrohr, was der Jugend noch bleibt
Literatur unsrer Zeit, aber das ist, wo sich Kultur unterscheidet
Obwohl wir Millionen erreichen, keine Pulitzer-Preise."

Der falsche Saal für den richtigen Flow

Er ist für einen Bildungsauftrag in die Hauptstadt gekommen, sagt Samy Deluxe und möchte die Aufmerksamkeit in seinen Songs auch auf das legen, was jenseits der klassischen Hip-Hop-Beats passiert: Harmonien und Texte, also das gesprochene, gerappte, gereimte oder auch gesungene Wort – in der Philharmonie macht er all dies, auch singen, und das sogar ziemlich gut. Samy Deluxe spielt schon immer mit den Querverweisen in Literatur und Kunst, in seinem Song "Poesiealbum" droppt er 2011 Namen wie Schiller, Goethe, Brecht und Heine.

Für die deutsche Hip-Hop-Geschichte sind der Flow von Samy Deluxe und seine überragende Rap-Geschwindigkeit sicherlich stilprägend, das kommt bloß leider in der Philharmonie nicht so ganz rüber. Das mag angesichts dieses Ortes erstmal merkwürdig klingen, aber der Saal und seine Akustik ist zuallererst für klassische Musik gemacht und weniger für sein Soundsystem.

Das Ensemble kommt umso klarer durch – der Geiger und Arrangeur Miki Kekenj hat mit seinem Takeover-Projekt auch schon mit anderen Musikerinnen und Musikern wie Stefanie Heinzmann, Joy Denalane, Curse oder Bosse zusammengearbeitet.

Das Takeover! Ensemble spielt am 15.12.2018 zusammen mit Joy Denalane und Maxim ein Konzert in der Alten Oper in Frankfurt am Main. (Quelle: Imago Images/Sven-Sebastian Sajak)
Das Takeover! Ensemble spielt 2018 zusammen mit Joy Denalane und Maxim ein Konzert in der Alten Oper in Frankfurt am Main. | Bild: Imago Images/Sven-Sebastian Sajak

Wer nicht übt, kann immer noch freestylen

Kekenj Arrangements sind unaufgeregt und stechen nicht als besonders ungewöhnlich hervor: Da wird mal ein barockes Element angedeutet, indem das Cembalo ein Intro übernimmt, dann setzt Geiger Miki Kekenj zum großen Solo an oder verwandelt seine Violine in eine kleine Trommel und beim Finale des Abends wird der Dynamite Deluxe-Klassiker "Ladies & Gentlemen" von 1999 verswingt und verjazzt.

Zwischen den Songs quatschen Miki und Samy miteinander – sie philosophieren darüber, dass man ja in der Klassik ohne Üben nix erreichen könne und Samy schon ganze Touren nur mit freestylen verbracht hätte. Richtig sympathisch wird es, als Samy Deluxe den Applaus nach einem seiner Rap-Parts mit einer Handbewegung wieder zum Verstummen bringt und den Leuten mit einer Geste klarmacht: Genießt doch mal das, was das Ensemble hier gerade noch als Outro spielt!

Beim Hip-Hop den Druck rausnehmen

Diese vielen kleinen und größeren Spielereien können natürlich nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass bei einem Crossover aus klassischer Kammermusik und Hip-Hop ein, wenn nicht sogar der elementare Bestandteil des Rap wegfällt: Der Beat, der treibt und für Druck sorgt. Dass dieser Beat in der Philharmonie fehlt (und auch der Kontrabass das nicht ganz ersetzen kann), ist eigentlich nur konsequent gedacht: Druck rausnehmen, den Fokus auf andere musikalische Bausteine wie Text, Gesang und Harmonie verschieben, das schaffen Samy Deluxe und sein Takeover-Projekt auf jeden Fall.

Sendung:rbb24 Inforadio, 12.03.2025, 6:55 Uhr

Beitrag von Bruno Dietel

6 Kommentare

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  1. 6.

    Durch Zufall einen Tag vorher entdeckt und dann an der Abendkasse noch reingeschlüpft. Dieser Abend war alles andere als gewöhnlich. Die Philharmonie war rein akustisch nicht der beste Ort, dennoch war ich zutiefst beeindruckt was diese Musiker in dieser Kombination erzeugt haben. Auch wenn mir an diesem Abend der klassische Samy gefehlt hat muss ich sagen der Abend hat sich gelohnt, anders aber gelohnt!

  2. 5.

    Sehr cool! Ein Künstler, der sich rund zwei Jahrzehnte nach seinem kommerziellen Durchbruch und Höhepunkt nun in anderen Genres ausprobiert, damit völlig neue Wege beschreitet, sich so etwas auch auf der Bühne zutraut und umsetzt. Respekt. Das nennt man wohl Weiterentwicklung.

  3. 4.

    Einfach ein großartiger Abend. Unfassbarer Flow, glorreiche Liedauswahl. Hochkultur

  4. 3.

    @neenee Gewinner des unnötigsten Kommentares

    Mal abgesehen davon. Fanta und fettes Brot sind eher reimende Popmusiker, weniger Rapper im klassischen Sinn.

    Samy ist lyrisch Welten besser.

  5. 2.

    Zum Glück ist dem nicht so!
    Diese weichgespülten Bands haben das ganze vielleicht populär gemacht, mehr aber auch nicht.

  6. 1.

    Prägendste Hip-Hop-Künstler waren und sind Fettes Brot und Fanta4 - alles danach ist Kopie einer US-Amerikansichen Art.

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