Auftritt vor 60 Jahren - Louis Armstrong in Ost-Berlin: Freiheit für knapp zwei Stunden

Do 20.03.25 | 14:48 Uhr | Von Moritz Reininghaus
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Der U.S.-Amerikanische Jazzmusiker Louis Armstrong mit dem Posaunisten Tyree Glenn (links) auf der Bühne beim Auftritt im Ost-Berliner Friedrichstadt-Palast
Audio: Radio3 | 20.03.2025 | Interview mit Ulf Drechsel | Bild: dpa/Tassilo Leher

Vor 60 Jahren trat Louis Armstrong im Ost-Berliner Friedrichstadt-Palast auf und sorgte dafür, dass der Jazz-Bann in der DDR gelockert wurde. USA und DDR wollten seine Popularität für sich nutzen, doch "Satchmo" warb nur für eins: den Jazz. Von Moritz Reininghaus

Als er im Februar 1965 gefragt wurde, ob er als Moderator und Reiseleiter die Tournee von Louis Armstrong durch die DDR begleiten wolle, muss Karlheinz Drechsel das für einen schlechten Witz gehalten haben: Knapp vier Jahre teilte die Mauer nun schon Berlin, und in Vietnam bahnte sich gerade ein Stellvertreterkrieg an. Mitten im Kalten Krieg sollte Drechsel den US-amerikanischen "King of Jazz" durch ein Land führen, in dem man nicht mal dessen Platten offiziell kaufen konnte?

Als Musikjournalist wusste Drechsel genau, wie die DDR mit Jazz umging: Im Jugendsender DT64 lief er ab und an, doch die Beschimpfung als "imperialistische Affenkultur" durch Staats- und Parteichef Walter Ulbricht klang noch immer nach. Dass Armstrong trotzdem eingeladen wurde, gehörte zu den alltäglichen Widersprüchen der DDR-Kulturpolitik.

DDR erhoffte sich Anerkennung und ein bisschen Glanz

Die Anfrage der DDR-Künstleragentur war also ernst gemeint – und Karlheinz Drechsel musste nicht lange darüber nachdenken, wie sein Sohn weiß: "Armstrong war sein Idol. Es war für ihn die Erfüllung eines Traums, ihm leibhaftig zu begegnen", sagt Ulf Drechsel, der wie sein 2020 verstorbener Vater Radiomoderator und Jazz-Spezialist geworden ist.

Am 19. März landeten Louis "Satchmo" Armstrong und seine Band, die "All Stars", dann auf dem Flughafen in Schönefeld. Zur Begrüßung spielten die Berliner "Jazz Optimisten" mit "When It’s Sleepy Time Down South" einen von Armstrongs Lieblingssongs. Der Mann mit der einmaligen Stimme griff spontan zum Mikrofon und sang mit. Bei der Pressekonferenz [ARD-Mediathek] im Ost-Berliner Hotel "Berolina" rauchte Armstrong dann bestens gelaunt und ohne Unterlass, während offizielle Vertreter verdeutlichten, was sich die DDR von dem Besuch des Weltstars erhoffte: Anerkennung durch den Rest der Welt – und ein bisschen Glanz.

Ihr Versuch, das Gastspiel dafür zu nutzen, um auf die Rassendiskriminierung in den USA aufmerksam zu machen, scheiterte. Armstrong, sonst ein klarer Fürsprecher der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, stellt klar, dass er für alle Amerikaner gleichermaßen spiele.

Von Armstrong bis Springsteen

Mit Band und Trompete tourte Louis Armstrong damals durch verschiedene sozialistische Staaten. Bezahlt wurde das teilweise von den Vereinigten Staaten. "Satchmo" und seine Musik sollten für die westliche Demokratie werben. Die DDR lehnte das Angebot daher ab – und überwies stattdessen die Gage in Ost-Mark an eine Schweizer Agentur, die Armstrong dann mit Dollar bezahlte und dafür optische Geräte und Antiquitäten aus der DDR erhielt, wie Drechsel berichtet.

18.000 Karten an einem Tag

"Satchmos" Verehrer dürfte das alles nicht interessiert haben. Die 18.000 Konzertkarten für seine drei Berliner Konzerte waren nach einem Tag ausverkauft, in Magdeburg, Erfurt und Schwerin sah es ähnlich aus. Mit 17 über die DDR verteilten Auftritten in nur acht Tagen war der Konzertplan eng gestrickt.

Ein westdeutscher Journalist hatte bei der Pressekonferenz auch nach der Berliner Mauer gefragt. "Ich habe die Mauer gesehen", antwortete Louis Armstrong lapidar und fügte hinzu: "Ich mache mir keinen Kopf um die Mauer, ich mache mir einen Kopf um das Publikum." Kurz schien es so, als würde er trotz seines Appells, sich nur auf die Musik zu konzentrieren, zwischen die politischen Systeme geraten: "Ich kann nicht sagen, was ich eigentlich sagen will", meinte Armstrong – und rettete sich mit einem Rat, den der Dolmetscher dann nicht wörtlich übersetzen mochte: "Vergessen Sie allen anderen Scheiß!"

"Satchmo kam, blies und siegte"

Mag diese Haltung auch naiv gewesen sein, so ermöglichte sie rund 45.000 Menschen in der DDR immerhin Freiheit für jeweils knapp zwei Stunden bei guter Musik. Karlheinz Drechsel, der seinem Idol während der Tour sehr nahegekommen war, berichtete seinem Sohn allerdings auch, wie erschüttert er Armstrong beim Anblick der Mauer erlebt hatte. Umso wichtiger sei ihm gewesen, dem ostdeutschen Publikum Abend für Abend ein einzigartiges Konzert zu bieten.

Am Ende ließ Armstrongs Charme selbst die Hardliner weich werden: "Satchmo kam, blies und siegte", titelte am 21. März 1965 das "Neue Deutschland". Auch das Zentralorgan der SED hatte den Jazz bis dahin verunglimpft oder totgeschwiegen. Nun berichtete man, dass der "sympathische amerikanische Künstler" ein abwechslungsreiches Programm vom traditionellen New-Orleans-Jazz bis zum "Treuen Husaren" geboten habe. Im alten Friedrichstadt-Palast habe am Vorabend Volksfeststimmung geherrscht, auch Armstrongs "eigenwillige Gesangskunst" blieb nicht unerwähnt.

Anlässlich der Tour im März 1965 nahm das DDR-Label "Amiga" einige von Armstrongs Platten ins Programm auf, und schon bald kamen auch andere Jazz-Größen aus dem Westen für Konzerte in den Osten. Bis Ende der 1960er-Jahre war Jazz als Bestandteil der Musikkultur in der DDR dann endgültig anerkannt.

Sendung: Radio3, 20.03.2025, 09:10 Uhr

Beitrag von Moritz Reininghaus

27 Kommentare

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  1. 27.

    Naja es bleibt zu bezweifeln, ob Armstrong diese Flop-Fraktion mit auf die Bühne geholt hätte...
    Mit Verlaub, aber Trübsal blasen dürfen die ruhig weiter abseites der großen Bühne.

  2. 26.

    Das ist ja auch ok.

    Aber wie schon jemand hier schrieb. Was sagt der Autor zu alldem?
    Kopf in den Sand oder zeigt er Charakter?

  3. 25.

    Mag alles sein und persönliche Erfahrungen eines jeden einzelnen bewerte ich auch nicht - aber in einer Diskussion müssen solche Menschen dann für so einen Stil eben auch Widerspruch aushalten, muss ich ja auch. Was manche offenbar nicht gewohnt sind.

  4. 24.

    Ich denke mal, das ist Ausdruck von negativen Alltagserfahrungen und einer gewissen Resignation.

    Ich würde das auch nicht so schreiben, verstehe aber wo das herkommt.
    Nach dem Motto: Die wissen doch eh alles besser, Entwertung vom Leben im Osten.
    So reime ich mir das zusa mmen

  5. 23.

    Es ist aber arroganter Nonsens, zu behaupten "das kann" nur jemand geschrieben haben der nicht in der DDR gelebt hat, das ist ein rein persönlicher Angriff, der die Ressentiments 1:1 spiegelt und die eigene Sicht zur Objektivität erklärt, sonst gar nix. Wenn man den Text sachlich und inhaltlich kritisieren mag ist das vollkommen legitim und das hat einer der vorherigen Kommentatoren ja auch getan. Ich habe auch ehemalige DDR-Bürger schon sehr großen Unsinn schreiben sehen - deswegen würde ich aber nie gruppenbezogen urteilen und so überaus empfindlich sein.

  6. 22.

    eine Unterstellung ist das nicht, denn der Autor stammt aus Heidelberg.
    Der hat Herr oder Frau Herrlich doch recht.

    Und das mit den 2 Stunden Freiheit ist einfach nur völlig daneben.
    Da kann ich mich den Vorrednern nur anschließen. Zeugt von wenig Verständnis vom realen Ostleben.
    Stimmst Du da etwa nicht zu?

  7. 21.

    "So was kann auch nur jemand schreiben, der nicht in der DDR gelebt hat." Das ist genauso eine niveaulose Unterstellung und umgekehrt nicht minder arrogant.

  8. 20.

    Schöner Rückblick! Erwähnenswert wäre noch, dass es glücklicherweise Tondokumente von dieser Tournee gibt, die sehr wertig von Jazzpoint Records auf zwei CDs aufbereitet wurden - inklusive Originalfotos, und Liner Notes von Karlheinz Drechsel himself.

  9. 19.

    Leider gerät durch solch dumme Äußerungen die wunderbare Musik und Ausstrahlung von Satchmo zur Nebensache. Völlig unverdient.

    Mich würde schon mal die Meinung des Autors oder wenigstens der rbb-Onlineredaktion zu einer solchen Äußerung und der Leserreaktion darauf interessieren.
    Ich hätte erwartet, dass man 35 Jahre nach der Wende schlauer ist. Und auch erkennt, dass solch Arroganz und Ignoranz mit zur blauen Welle geführt hat.

  10. 18.

    ".., so ermöglichte sie rund 45.000 Menschen in der DDR immerhin Freiheit für jeweils knapp zwei Stunden bei guter Musik."
    So was kann auch nur jemand schreiben, der nicht in der DDR gelebt hat.

    Ich bin es leid mich für so eine Meinungsäußerung rechtfertigen zu müssen. Wenn ein Autor meint so etwas zu schreiben, so muss er auch die Meinungen dazu aushalten.

  11. 17.

    Ein Ausnahmekünstler der seinesgleichen sucht, einfach unübertrefflich.
    Bin selbst leider nicht im Besitz einer Satchmo-Vinyl. Zumindest gibt es aber im Netz noch Versionen seiner
    LP's, die nicht gewissermaßen kaputt-geremastered wurden und gut hörbar sind!

  12. 16.

    OK, besten Dank für diese sachliche Erläuterung. Ich bin zwar nicht in allen Punkten Ihrer Meinung, aber kann Ihre Argumentation jetzt besser nachvollziehen. Das ist was anderes als persönliche, unsachliche Angriffe auf den Autor.

  13. 15.

    Fortsetzung…
    Auch wird unbelegt behauptet, dass erst mit Armstrongs Konzerten Jazz die nötige Anerkennung und Akteptanz fand. Ja, es gab einen gewaltigen Schub. Aber es war nicht der Anfang.

    Dies alles ist für mich ahistorisch, tendenziell und idelogisch, aufgrund einseitiger Sichtweise.
    Vielleicht vermag der Autor auch nicht exakt zu formulieren. Das kann ich nicht einschätzen.
    Bei mir hinterlässt dies jedenfalls den geschilderten Eindruck.

  14. 14.

    Unter ideologisch ist zu verstehen, dass man bestimmten Weltanschauungen anhängt, die vorgeben, auf alles die richtige Lösung zu haben. Das impliziert, dass die eigenen Auffassungen einseitig vertreten werden.
    (und jetzt bitte nicht über die Definition streiten).
    Ich mache dass vor allem an der Überschrift fest, die jedoch dem Text entnommen ist. Zugespitzt bedeutet die, dass diexZuschauer nach dem Konzert wieder in die totale Unterdrückung zurückgingen. In eine Welt der vollständigennUnfreiheit und Repression. Es wird ignoriert, dass das Leben in der DDR vielfältig und nicht nur trist, grau und repressiv war.
    Der Artikel unterstellt durch Weglassen, dass es Auseindersetzungen über Jazz und andere Musikrichtungen nicht nur in der DDR gab, auch in der BRD verlief deren Anerkunng nicht im Selbstlauf (wenn auch weniger ideologisch motiviert).

  15. 13.

    "Er ist schlicht weg tendenziell, ahistorisch und ideologisch." An welchen konkreten Punkten im Text machen Sie das fest? Mich interessiert besonders Ihr Beleg für "ideologisch", nach Definition des Begriffs. Und was genau bedeutet nochmal "tendenziell"?

    Die Überschrift halte ich nach meinem Geschmack (lies: Geschmack) übrigens selbst für zu dick aufgetragen und übertrieben.

  16. 12.

    Aufgrund Ihres Kommentars habe ich recherchiert. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass der Autor Historiker ist. Als studierter und promovierter Historiker muss ich sagen, dass dieser Beitrag nicht mal den Anspruch an populärwissenschaftliche Geschichtsschreibung erfüllt. Er ist schlicht weg tendenziell, ahistorisch und ideologisch. Passt in die SuperIllu und ähnliche Zeitschriften.

    Ich kann den konkreten Fall, die beteilgten Peronen, natürlich nicht bewerten.
    Aber ich habe oft genug, vor allem in den Nachwendejahren und auch bis heute erlebt, dass westdeutsch sozialisierte Historiker mit ihrem Weltbild und ihren Vorurteilen DDR-Geschichte beschrieben haben, aus ihren Vorurteilen, den ihnen anerzogenen Sichten, ein Geschichtsbild propagiert haben, dass mit der Realität kaum etwas zu tun hatte. Und dieses Bild weitergegeben haben. Natürlich gab und gibt es dies umgekehrt auch.

    Ich erwarte aber von Historikern eine differenzierte Sichtweise. Dem wird der Autor nicht gerecht.

  17. 11.

    Ach ja? Und mit welcher selbstgerechten Anmaßung greifen Sie hier den Autor an? "Der sich als Historiker bezeichnet", nennen Sie das souveräne Kritik? Entweder er ist Historiker oder nicht, offensichtlich ist er's. Und auf Ihre Nachweise, dass ausschließlich westdeutsche Dozenten dort unterrichten durften bin ich gespannt, bitte sofort eine Quelle für diese Behauptung. Und selbst wenn es so wäre: Es sagt viel mehr über Sie, dass Sie automatisch unterstellen, ein westdeutscher Dozent könne ja quasi nur falsch DDR-Geschichte beibringen. Sie selbst aber haben natürlich immer Recht, weil Sie Geschichte objektiv wahrgenommen haben, ich verstehe schon. Herzlichen Glückwunsch zu soviel verbitterter Borniertheit.(Und wow, ich bin nicht mal ein Wessi, können Sie es fassen?)

  18. 10.

    @rbb24 Bei Moritz Reinighaus, der sich als Historiker bezeichnet, merkt man genau, was im Potsdamer Universitäten gelehrt wird, alte Klischees beibehalten und weitergeben. Das wundert nicht, da ja zu seiner Studienzeit ausschließlich westdeutsche Dozenten dort unterrichten durften. So wird dieses falsche Bild immer weitergegeben.
    Gibt es eigentlich auch nur eine Berichterstattung über irgend ein Thema, was ohne diese Falschbehauptungen auskommt? Nein, gibt es nicht. Das war hier veröffentlicht wird grenzt schon an alte "Westalgie". Beschämend.

    Ich sammele übrigens meine nicht veröffentlichten Kommentare und komme alleine in der letzten Woche auf 10.

  19. 9.

    Danke für den Bericht, aber besonders danke für die Kommentare, die einige Klischees und falsche Darstellungen im Bericht richtig stellen. Der Autor ist schon deutlich in ein paar ideologische Fallen geraten.

    Die umfangreiche Reihe JAZZ bei Amiga startete 1963, also eine ganze Weile vor Armstrongs Auftritten. Da war schon ein Wandel in der offiziellen Einstellung zum Jazz eingetreten. Spät, aber immerhin.Ulbrichts alberne Äußerungen hin oder her.

    Die Kulturpolitik war damals auf beiden Seiten der Mauer (bzw. Grenzen) vom Kalten Krieg geprägt. Und Formulierungen wie „ Freiheit für jeweils knapp zwei Stunden bei guter Musik“ sind mit Verlaub gesagt einfach dümmlich.


  20. 8.

    Ehrlich? Das wussten Sie nicht, obgleich Musik immer schon die KulturSprache der Menschen war und je nachdem, wer die Macht dazu hatte, sie gefördert oder zu unterdrücken versucht hat?

    Und bitte übersehen Sie die anderen Kommentare zum Artikel nicht, die wertvolle Ergänzungen sind.

    Wir sollten sachlich und kritisch bleiben und nicht so bereitwillig in Klischee-Fallen hineintappen.

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