Kinder versus Kunst - Mütter verschwinden oftmals von den Theaterbühnen

So 09.03.25 | 08:00 Uhr | Von Nathalie Daibner
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Ein orangefarbener Stuhl steht im Rampenlicht auf einer leeren Holzbühne (Quelle: picture-alliance/ZB/Arno Burgi).
Video: rbb24 Abendschau | 07.03.2025 | Nathalie Daiber | Bild: picture-alliance/ZB/Arno Burgi

Abends Vorstellungen, am Wochenende spontane Proben: In der Theaterszene ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht einfach - vor allem für Mütter. Wie familienfreundlich Berliner und Brandenburger Bühnen sind, hat Nathalie Daibner recherchiert.

Die Schauspielerin Ruth Rosenfeld von der Schaubühne in Berlin hat ihre Tochter Lili schon als Baby mit ins Theater genommen - auch auf Gastspiele, zum Beispiel nach Belgien oder Zürich. Damals war sie an der Berliner Volksbühne.  Was sie verdiente, ging für Babysitting drauf: "Die Hilfe, die ich bezahlen musste, ist das, was ich verdient habe, es blieb nicht viel übrig", erzählt sie. Heute ist Lili 16 Jahre alt, bis sie acht Jahre alt war, wurde sie von einer Nanny betreut.

Ruth Rosenfeld hält eine Hand an den Hals und schaut frontal in die Kamera (Quelle: Debora Mittelstaedt).
Schauspielerin Ruth Rosenfeld | Bild: Debora Mittelstaedt

Alleine die Arbeitszeiten am Theater seien eine veritable Herausforderung für Mütter, sagt Rosenfeld. "Du probst auch manchmal von 10 bis 14 und dann von 16 oder 18 bis 20 oder 22 Uhr. Dann hast du Vorstellungen und so weiter. Es ist nicht der kompatibelste Beruf für Mütter."

Mutter sein am Theater ist Privatsache  

Sie habe immer versucht, ihr Muttersein nicht zum Thema zu machen.  "Du wolltest nie Probleme machen, nicht die problematische Schauspielerin sein, wenn du dein Kind abholen musst trotz Proben, oder mit dem Kind zum Arzt,  weil es  krank ist. Es war ein enormer Stress für mich", so Rosenfeld weiter.  

Die Erfahrung, in einem wenig familienfreundlichen Umfeld zu arbeiten, machen viele Mütter am Theater. 

Studie offenbart Erfahrung mit Diskriminierung von Müttern

Nach einer Studie des Vereins "Bühnenmütter" von 2022 sagten 45 Prozent der Befragten sogar, diskriminierendes Verhalten wegen ihrer Mutterschaft im Job erlebt zu haben [bbk-kulturwerk.de/PDF]. Die "Bühnenmütter" haben zwei  Opernsängerinnen gegründet, die selbst diese Erfahrungen gemacht haben. Die Gründerin Verena Usemann sagt, knapp die Hälfte der Befragten habe angegeben, dass ihnen ein Vertrag aufgelöst wurde oder sie nicht eingeladen wurden, als sie angaben, dass sie schwanger sind oder ein Kind haben. "Ungefähr die Hälfte hat angegeben, dass sie ihre Kinder nicht erwähnen in ihrer Vita." Die Pilotstudie habe empirisch gezeigt, was Usemann und die anderen "Bühnenmütter" selbst "als gefühlte Wahrheit" erlebt hätten.  

Die Schauspielerin Caroline Haupt, eine Schauspielkollegin von Ruth Rosenfeld an der Schaubühne, sagt: "Das ist schon Privatsache, wenn man sich entscheidet, ein Kind zu bekommen." Einen Stillraum oder eine Betriebs-Kita gebe es nicht. Die Berlinerin habe ihren Mann und ihre Familie, die sich mit um ihren zehnjährigen Sohn kümmern. Ohne so ein Netzwerk gehe es nicht, sagt sie.  

Programmtipp

Der aufopfernde Künstler ist ein Klischee

Die Ursache für die Diskriminierung von Müttern sieht Teresa Monfared von den "Bühnenmüttern" im dem alten Klischee zum "Künstler":  "Der ist immer noch eher männlich, eher weiß und immer verfügbar. Ein Künstler, opfert sich auf für die Kunst." Sich um Kinder zu kümmern, passe nicht zu diesem Bild. 

Das sei sicherlich auch ein Grund, warum viele hochqualifizierte Künstlerinnen sogar den Beruf nach der Geburt aufgeben, wie der Verein "Bühnenmütter" feststellt. Die Frauen verschwinden einfach vor und hinter den Bühnen.  Fast die Hälfte der befragten Bühnenkünstlerinnen überlegt demnach, den Job nach der Geburt eines Kindes aufzugeben oder hat dies bereits getan. 

Die "Bühnenmütter" hätten deswegen einen Maßnahmenkatalog entwickelt, um die Theater familienfreundlicher zu gestalten, erklärt Monfared: "Wir würden uns mindestens Wochenpläne wünschen, so dass eine Woche im Voraus kundgetan wird, was geprobt wird, und zwar verbindlich. Dann würden wir uns taugliche Wiedereinstiegsmodelle für Eltern, die Kinderpause gemacht haben, wünschen." Diese gebe es aber kaum.

Carolin Haupt schaut frontal in die Kamera (Quelle: Debora Mittelstaedt).
Schauspielerin Carolin Haupt | Bild: Debora Mittelstaedt

Umfrage zur Familienfreundlichkeit an Bühnen der Region

Eine rbb-Umfrage bei den zehn größten Theatern in Berlin und Brandenburg zeigt: Das Thema ist nach eigenen Angaben bei vielen dieser Bühnen angekommen. So gab die Schaubühne an, verbindliche Wochenpläne und Probezeiten in der Regel von 10 bis 16 Uhr zu haben, Samstag und Sonntag seien bis auf Endprobenphasen frei. Besondere Care-Situationen würden am Anfang einer Produktion besprochen und einbezogen.

Das Hans-Otto-Theater in Potsdam bietet eigenen Angaben zufolge auch probefreie Phasen für Eltern. An der Berliner Volksbühne wiederum existieren feste Vorgaben, unter anderem für eine Fünf-Tage-Woche und die rechtzeitige Bekanntgabe von Dienstplänen. Das Brandenburger Theater in Brandenburg an der Havel bietet für Eltern Teilzeitmodelle an und gibt Dienstpläne zwei Monate im Voraus bekannt. Auch am Staatstheater in Cottbus gibt es Wochenpläne.

Das Maxim-Gorki-Theater, der Friedrichstadtpalast, das Deutsche Theater sowie das Renaissance-Theater konnten bis zur Veröffentlichung dieses Textes keine Angaben machen. 

Das Berliner Ensemble teilte lediglich mit, es erarbeite gerade neue Regeln. Der "Spiegel" [Bezahlschranke] veröffentlichte jetzt eine Recherche über Vorwürfe von Diskriminierung gegenüber Müttern in der Maskenabteilung des Hauses. Das BE wies die Vorwürfe dem Magazin gegenüber zurück. Die rbb-Umfrage entstand vor dieser Veröffentlichung.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Alle Theater geben der rbb-Umfrage zufolge an, individuelle Lösungen zu suchen. Unklar bleiben aber besonders Möglichkeiten zum Wiedereinstieg nach der Geburt eines Kindes.

Mutterschaft als Bühnenthema

Die Regisseurin Jorinde Dröse, selbst Mutter von zwei Kindern, setzt die Forderungen der "Bühnemutter" längst für ihre Stücke um. Als sie ihr zweites Kind bekam, sei sie aber erst einmal komplett ausgestiegen, erzählt sie. Für Regisseurinnen ist es häufig noch komplizierter, weil sie selten fest an eine Spielstätte gebunden sind, sondern an verschiedenen Theatern inszenieren.  

Wieder eingestiegen ist Dröse mit dem Stück "Motherfuckinghood". Dafür hat sie zusammen mit der Schauspielerin Claude De Demo ein Stück über Mutterschaft und alle Schwierigkeiten, die damit verbunden sind - Kinder, Karriere und die eigene Kunst zu vereinen - geschrieben und auf die Bühne des Berliner Ensemble gebracht.

"Wir  waren sehr unsicher, ob das, was wir da machen, einerseits Sinn hat oder einen Resonanzraum findet, als wir geprobt haben", sagt sie. Seit einem Jahr sei "Motherfuckinghood" aber immer ausverkauft. "Bei uns im Stück sitzen 80 Prozent Frauen, die wahrscheinlich 20 Prozent ihrer männlichen mitkommenden Menschen mitgenommen haben."

Das mache Jorinde Dröse Hoffnung für die  Zukunft. Plötzlich sei Mutterschaft zum Beispiel nicht mehr Privatsache. Längst beobachte sie, wie auch Ruth Rosenfeld und Carolin Haupt, dass es immer mehr Mütter an den Theatern gebe. 

Beruf als Berufung

Für Ruth Rosenfeld ist das Theater ein Teil von ihr, wie ein zweites Kind, sagt sie. Mit ihrem ersten Kind, Lili, mache sie aber auch viel gemeinsam, etwa Kochen oder Sport. Und die Erstgeborene hilft beim zweiten Kind mit: Beim Textlernen müsse Lili immer helfen, "das ist Teil ihrer Aufgabe als mein Kind", sagt Ruth Rosenfeld lachend.

Für Lili bringe der Beruf ihrer Mutter aber auch Vorteile. "Wir sprechen über alles sehr frei und ich habe nicht das Gefühl, dass es da irgendwas Unangenehmes gibt", sagt die 16-Jährige. Sie empfinde ihre Mutter als offener im Gegensatz zu anderen Eltern. "Es hat wahrscheinlich schon etwas mit dem Beruf zu tun,  weil sie  auch so viel Erfahrung hat, die Sachen versteht, die ich ihr erzähle", sagt Lili.

Sendung: rbbKultur, 08.03.2025, 18:30 Uhr

Beitrag von Nathalie Daibner

24 Kommentare

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  1. 24.

    Abends Vorstellungen, am Wochenende spontane Proben: In der Theaterszene ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht einfach - für Familienvater wohl nicht?

  2. 23.

    Ich bin dankbar in vielfältiger weise auf verschiedene gesellschaftliche Phänomene aufmerksam gemacht zu werden durch dem örr. Wenn sie das hier als jammern empfinden, lesen sie es halt nicht. Wie kann mensch nur so abgestumpft sein. Alles was nicht ihrem eigenen Problemkreis entspricht gibt es nicht.
    Ich behaupte sie gehen seltener ins Theater, sind etwas älter und sind ein Mann. Das liest man aus ihrer mangelnden Empathie förmlich heraus.

  3. 22.

    Es ist glaub ich generell ein harter Beruf, nicht nur wegen der Arbeitszeiten, die wenig familienfreundlich sind. Es ist auch ein harter Arbeitsmarkt. Wenn du nicht gerade so ein bühnenstar bist ist es ohnehin schwer an Jobs zu kommen. Und wenn du nicht kannst macht es halt jemand anderes. Da bist du dann schnell auch raus aus dem Geschäft. Das ist glaube ich auch so ein Problem.

  4. 21.

    Das müssen die Partner unter sich ausmachen. Wenn die das hinbekommen ist es gut, wenn nicht ebenso.

  5. 20.

    Kann Eine, oder gar Mehrere, angeben, wie die Situation gestaltet werden soll?
    Vielleicht hat da auch der Berliner Kulturetat doch noch Finanzmöglichkeiten.

  6. 19.

    Also im alten China wurden Frauenrollen auf der Bühne von Männern übernommen.
    Ist das nun Rückständig oder war weit vorausgedacht.

  7. 18.

    Dies muss ich als Mann anerkennen: Tendenziell sind Frauen der Vielfalt allen Lebens näher, als Männer es sind. Wo Männer tendenziell entSCHEIDEN, bringen Frauen tendenziell zusammen.

  8. 17.

    „Zeit zum jammern?“
    Das hab ich mich auch gefragt. Da hat eine Journalistin gesucht... „Irgendwo muss doch noch eine Benachteiligung schlummern“ im Land der gesetzlichen Gleichberechtigung. Und....dann ist sie am Theater fündig geworden. Diese Art des Journalismus überrascht jede Woche mit neuen missionarischen Zeigefingerartikeln um veröffentlicht zu werden. Dabei übersieht man leicht was wirklich bewegt Frau und Mann zugleich.

  9. 16.

    Zeit zum jammern?

  10. 15.

    Vielleicht sollten die Vorstellungen alle am Tag stattgefinden, während der Kita und Schulzeiten. Weniger Publikum muss man dann eben in Kauf nehmen.
    Bestimmt jammern aber alle Mütter rum, die als Verkäuferinnen tätig sind, weil sie zwar am Tag im Theater sitzen können, dafür dann aber abends oder nachts an der Supermarktkasse arbeiten müssen.

  11. 14.

    „elaborieren“ = entwickeln
    Kinder vs. Kunst? Versteht da jemand nicht, dass das Kinderkriegen für eine sehr kurze Zeit im Leben die Prioritäten verschiebt? Kann man nicht wenigstens 1 Jahr/Kind zu Gunsten eigener Kinder zurücktreten und einmal NICHT das machen, was man sonst so gewöhnt war? (Einschließlich der Hotelurlaube). Nach einem Jahr wieder arbeiten zu können ist doch möglich, wie viele Frauen und Männer beweisen können das sie sich organisieren (können).

    P.S. Die Kitas sind eine Dienstleistung, auch nach 18 Uhr? Darauf sollte der Artikel abfahren statt die Kollegen und den Theaterbetrieb verächtlich zu machen.

  12. 13.

    mein Mann hat unsere Tochter genausoviel betreut wie ich - aber er hat denselben Beruf (soll ja vorkommen, dass man den Partner im beruflichen Umfeld kennen lernt)
    Also haben wir oft nur abwechselnd arbeiten können und meine Eltern haben uns unterstützt. Aber der Radius, in dem man Jobs annehmen konnte, war sehr eingeschränkt. Außer ich hätte es ok gefunden, mein Kind monatelang fast gar nicht zu sehen.
    Und das ewige „Augen auf bei der Berufswahl“ kann ich nicht gelten lassen. Niemand weiß, wenn er/sie eine Bühnenausbildung macht, ob und wann er/sie Kinder haben wird. Abgesehen davon ist Darsteller/in keine Beruf, den man ergreift, wenn es einem nicht ein tiefes Bedürfnis ist. Man ahnt schon, was einem alles erwartet, aber ich denke, das ist für Theater als Arbeitgeber kein Freibrief, das Thema zu ignorieren.
    Meist wird man auch gar nicht gekündigt- es wird nur einfach der Vertrag nicht verlängert. Und die übliche Vertragslaufzeit ist meist nicht länger als maximal eine Spielzeit.

  13. 12.

    Berufsbedingungen können ja geändert werden. Das ist der Grund für diesen Artikel, darauf aufmerksam zu machen, damit sich was ändert. Und sie so:" weiss man doch vorher" - dann bleibt natürlich alles so wie es ist.

  14. 10.

    Um die Theaterbühne mütterfreundlich zu machen und den heutigen Vorstellungen anzupassen, bräuchte jede Bühne einen Betriebskindergarten mit Öffnungszeiten passend zum Theater und an Mütter angepasste Arbeitszeiten. Das dafür, bei der jetzigen Kürzungswelle kein Geld da sein wird, dazu braucht es nur wenig Phantasie. Es wird sich, mit Garantie, nicht viel ändern. Der Beruf als Schauspielerin erscheint für viele erstrebenswert, bedeutet allerdings für die meisten schlechte Bezahlung, Verzicht und arbeiten in Strukturen, die aus vergangenen Zeiten stammen. Wirklich gut von Leben kann davon nur eine kleine Gruppe. Alle Anderen hangeln sich von Job zu Job und halten den Mund, um nicht bei der nächsten Anstellung vergessen zu werden.

  15. 9.

    „Berufsbedingungen können ja geändert werden“
    Vorschläge???
    Aber bitte nicht so, dass „andere mir ein gutes Leben ermöglichen, mit ihrer Zeit und ihrem Geld“...

  16. 8.

    Berufsbedingungen können ja geändert werden. Das ist der Grund für diesen Artikel, darauf aufmerksam zu machen, damit sich was ändert. Und sie so:" weiss man doch vorher" - dann bleibt natürlich alles so wie es ist.

  17. 7.

    Na klar, weil man schon mit 18 weiß, wie das Leben endet. Vielleicht sind sie ja schon mit ihrem vorgefertigten Lebenslauf auf die Welt gekommen. Andere kommen im Keben an den Punkt, dass vlt. Doch ein Kond kommen soll. Und das ist auch richtig.

  18. 6.

    Was wollen Sie denn damit sagen? Ein Kind verändert doch nicht nur für ein Jahr das Leben. Und Kitas nach 18:00? Das gibt es nicht und macht auch keinen Sinn.

  19. 5.

    Was mich auch wundert ist, dass Kunst und Bühnen sich zwar gerne Mutterfreundlich geben, aber die Lage dort scheinbar nicht anders ist als woanders.
    Evtl. sogar noch schlimmer?

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