"Newsroom" am Theater an der Parkaue - Nachrichten per Volksabstimmung

Demokratisch entscheiden, über welche Nachrichten berichtet wird? Das Kollektiv Henrike Iglesias wagt am Theater an der Parkaue den Versuch mit jungen Leuten und deren Handys. Das wirft mehr Fragen auf als der Abend aushält. Von Barbara Behrendt
Stellen Sie sich vor, Sie könnten jeden Morgen per Smartphone mitentscheiden, worüber der rbb berichtet. Welche Beiträge würden es auf die Webseite, ins Radio und ins Fernsehen schaffen? Und was würde eine solche demokratische Programmwahl für die Recherche und den Journalismus bedeuten?
Etwas Ähnliches spielt das feministische Theaterkollektiv Henrike Iglesias gerade im Stück "Newsroom" am Berliner Theater an der Parkaue durch – für und mit Jugendlichen ab zwölf Jahren, die via Handy entscheiden sollen, welche Schlagzeile auf die Bühne kommt.
"Manchmal kann ich einfach nicht mehr"
Live werden dabei zu Beginn junge Moderator:innen per Video groß auf die Bühne projiziert. Sie imitieren den politischen Nachrichten-Sprech von ARD oder ZDF. Bis einige junge Leute, nichtprofessionelle Performer:innen, sie aus dem Publikum unterbrechen. "Nachrichten sind überall, immer. Morgens im Bett auf meinem Handy. Auf dem Weg zur Schule im Berliner Fenster. Abends im Fernsehen. Jeden Tag wird ein neuer Krieg begonnen. Jeden Tag werden die Rechten stärker. Manchmal kann ich einfach nicht mehr."
Doch dann schlägt in die aktuelle Nachrichtensendung eine Breaking News ein: "Eine Gruppe von jungen Berliner Aktivist:innen, die sich die Newsies nennen, haben eine neue App entwickelt, mit der sie die Teilhabe an Nachrichten demokratisieren wollen."
Die Sprecherin dieser "Newsies" tritt auf die Bühne, gibt ein Interview und sammelt all die jungen Spieler:innen ein, die vorab über Nachrichtenstress geklagt haben. Zusammen entern sie das Oldschool-Büro auf der Bühne, auf dem noch Rechner und Telefone aus den 1990ern stehen und rufen das Publikum dazu auf, über die Themen abzustimmen, die in der heutigen Sendung behandelt werden sollen. Zur Auswahl stehen: Rechtsruck in Deutschland, Antifeminismus und: "irgendwas Lustiges".
Abstimmungen per Umfrage-App
Per QR-Code und leicht zu bedienender Umfrage-App wählt die Mehrheit im Publikum, wen wundert's, "irgendwas Lustiges" aus. Doch das stellt die Newsies vor Probleme: "Leider ist unsere Comedy-Redaktion aktuell noch nicht besetzt. Das tut uns sehr leid, aber wir befinden uns ja gerade noch im Aufbau."
Auch der Beitrag zu Antifeminismus ist noch nicht fertig. Und der Mini-Beitrag zum Rechtsruck in Deutschland wirkt banaler als jeder KI-Text zum Thema sein könnte. Später müssen Mitglieder der Jugendredaktion dann auch noch Interviewpartner faken – die realen Expert:innen habe man leider nicht bekommen.
So einfach ist es nicht mit den eigenen News
Schon klar, was das bedeuten soll: So einfach ist es nicht mit den eigens produzierten News. Doch Henrike Iglesias schätzt die Jugendlichen im Publikum naiver ein, als sie überhaupt sein können. Als wüssten junge Leute nicht, dass ein Videobeitrag Vorbereitung braucht, dass Journalismus mit Recherche zu tun hat. Und als gebe es nicht längst Online-Portale für Jugendliche, die Nachrichten für eben diese Zielgruppe aufbereiten.
Überhaupt stellt sich die Frage, was an den selbstbestimmten Nachrichten revolutionär sein soll – wählen Jugendliche ihren Content auf Tiktok und Instagram nicht ohnehin selbst aus? Getrieben vom Algorithmus, ja, aber nicht unbedingt von journalistischen Gatekeeper:innen. Entscheidet die Mehrheit über Klickzahlen nicht sowieso längst, was veröffentlicht wird? Wer unter 20 schaut noch Nachrichtensendungen, wie sie hier präsentiert werden? Und was würde es bedeuten, sich die Nachrichtenwelt in Direktabstimmung so zurechtzuwählen, dass sie noch leichter konsumierbar wird? All diesen Schwierigkeiten geht der Abend nun gerade nicht nach.
Unvermittelte Kehrtwende
Dafür folgt auf der Bühne unvermittelt die Kehrtwende: Nicht die Nachrichten an sich und wie sie produziert werden seien das Problem, heißt es abrupt, sondern wie wir mit ihnen umgehen. Im All schwebend (warum auch immer) wird plötzlich die Utopie vom konstruktiven Journalismus entwickelt und vom gemeinsamen Nachrichtenkonsum: "Ich glaube, wir sind nicht dafür gemacht, uns das ständig allein reinzuziehen. Warum verabreden wir uns nicht zum gemeinsamen Nachrichtenschauen oder Lesen?"
Dazu fallen völlig aus der Luft gegriffen Worte wie Empathie, Hoffnung, Solidarität. Wie das nun mit den Nachrichten zusammenhängt, ist in der Kürze kaum nachzuvollziehen. Wo hat sich nur die Dramaturgin dieses Theaterabends versteckt? Schade: so ein wichtiges Thema – und so eine unreflektierte Inszenierung.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.04.2025, 8 Uhr