NS-Vergangenheit des ersten Berlinale-Direktors - "Alfred Bauer hat sich erfolgreich weggeduckt"

Di 18.02.20 | 16:42 Uhr
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Die italienische Schauspielerin Sophia Loren, die US-amerikanische Journalistin Elsa Maxwell und der Festspielleiter Dr. Alfred Bauer unterhalten sich auf dem Fest im Palais am Funkturm am 4. Juli 1959 während der IX. Internationalen Filmfestspiele in Berlin (Quelle: dpa/Konrad Giehr)
Video: rbb Kultur - das Magazin | 15.02.2020 | Anne Kohlick | Bild: dpa

25 Jahre lang hat er die Berlinale geleitet, obwohl er zuvor ein wichtiger NS-Funktionär war: Dass Alfred Bauers Vergangenheit erst jetzt Empörung auslöst, wundert den Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen. Ein Gespräch über neue Sensibilitäten und alte Verstrickungen.

rbb|24: Herr Jacobsen, Sie haben die Geschichte der Berlinale erforscht und im Jahr 2000 ein Buch über "50 Jahre Berlinale" geschrieben. Haben Sie erwartet, dass Alfred Bauers NS-Vergangenheit einmal so eine öffentliche Empörung auslösen würde?

Wolfgang Jacobsen: Die Debatte ist für mich persönlich sehr überraschend. Denn die Tatsache, dass Alfred Bauer in die nationalsozialistische Filmbürokratie verstrickt war, ist schon lange bekannt. Es war nie ein Geheimnis, dass er vor 1945 etabliert war - etwa als Referent bei der Ufa, in der Reichsfilmkammer wie in der Reichsfilmintendanz. Das Wissen über Bauers Biografie hat sich auch vor dem Hintergrund neuer Quellen ständig erweitert.

Ein Artikel in der "Zeit" hat die aktuelle Debatte um Alfred Bauer losgetreten – mit der Schlagzeile er sei "ein eifriger SA-Mann" gewesen.

Dieses Zitat stammt aus einem Schreiben der Gauleitung Mainfranken von 1942 und ist schon seit fast 50 Jahren bekannt. Wolfgang Becker hat es 1973 veröffentlicht – in den Fußnoten seines Buches "Film und Herrschaft" über die Organisationsstrukturen der NS-Filmpropaganda. Wenn auch ohne Hinweis, dass Bauer zu der Zeit bereits seit vielen Jahren Direktor der Berlinale war. Zumindest einem eingeschränkten Kreis von Interessierten war die SA-Mitgliedschaft von Alfred Bauer also schon lange bewusst. Aber man hielt diesen Fakt offenbar für nicht berichtenswert. "Die Zeit" hat mit ihrer Veröffentlichung jetzt einen Ball gespielt, der eigentlich längst auf dem Spielfeld lag – den aber niemand bisher bewusst getreten hat.

Wieso ist dieser Ball jetzt getreten worden - wie erklären Sie sich das?

Die Öffentlichkeit reagiert sensibler auf NS-Verstrickungen als früher. Ich sehe die Debatte um Alfred Bauer im Zusammenhang mit einer biografischen Neubewertung anderer Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur – zum Beispiel der Expressionist Emil Nolde. Er stand dem Nationalsozialismus gedanklich nahe, zeigte eine antisemitische Gesinnung: Das hat eine viel beachtete Ausstellung im Hamburger Bahnhof im vergangenen Jahr einer breiten Öffentlichkeit gezeigt. Aber auch da waren viele Fakten schon vorher bekannt – neu ist die striktere Bewertung.

Worin genau bestand Alfred Bauers Funktion in der Filmbürokratie der Nationalsozialisten?

Er war in der Reichsfilmintendanz ein Referent mit ganz wesentlichen Aufgaben: Er hat die Film-Produktionen im nationalsozialistischen Deutschland begleitet und unter anderem zu Kriegszeiten entschieden, welche Schauspieler "uk", also unabkömmlich, gestellt wurden. Diese Männer wurden dann nicht abkommandiert an die Front. Damit kam Alfred Bauer eine wichtige Funktion innerhalb der Filmbürokratie des Nationalsozialismus zu.

Nach 1945 hat Alfred Bauer laut der "Zeit" im Entnazifizierungsverfahren versucht, seine Funktion herunterzuspielen und sich als inneren Widerständler darzustellen. Halten Sie das für glaubwürdig?

Wir wissen, dass Bauer Mitglied der NSDAP gewesen ist. Wir wissen, dass er in Würzburg bei der SA war und auch Mitglied in anderen nationalsozialistischen Verbänden. Vor diesem Hintergrund wollte er Karriere machen. Sowohl seine Mitgliedschaft in der Partei als auch bei der SA deuten auf eine nationalsozialistische Überzeugung hin. Das hätte in einem Entnazifizierungsverfahren aber natürlich niemand - also auch Bauer nicht - zugegeben. Ich kenne kein solches Verfahren, das nicht auf Vertuschungen oder falschen entlastenden Aussagen beruht hätte. Ich muss aber dazusagen: Die Entnazifizierungs-Akte von Bauer kenne ich nicht.

Die Alliierten haben Bauer 1945 mit Berufsverbot belegt. Wie konnte er nur ein paar Jahre später eine so wichtige Funktion übernehmen wie die Leitung der Berlinale?

Wie konnten so viele andere, die eine ähnliche NS-Karriere wie Bauer hatten - oder noch eine viel stringentere und schlimmere – wiederum auch ihre Laufbahnen nach dem Krieg fortsetzen? Solche Kontinuitäten gab es in der Wirtschaft, in der Politik. Da ist es zum Teil aufgearbeitet. Es gab sie aber auch innerhalb des kulturellen Lebens – wie man jetzt an der Debatte um den Documenta-Wegbereiter Werner Haftmann merkt, der NSDAP-Mitglied war. Ganz ohne personelle Kontinuitäten war ein Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands in dieser Zeit nicht möglich - so bitter und nach wie vor verstörend diese Erkenntnis auch ist. Nun sollte man die Fakten einer differenzierten Bewertung unterziehen.

Den Fall Bauer will die Berlinale jetzt mit "externer fachwissenschaftlicher Unterstützung" aufarbeiten.

Das ist auf jeden Fall hilfreicher für die Klärung des Sachverhalts als die bisherige Empörung – auch wenn ich sie nachvollziehbar finde. Wichtig ist jetzt, vor allem eine Frage zu klären: Bedeutet diese personelle Kontinuität zum Nationalsozialismus auch eine inhaltliche Kontinuität für die Berlinale? Aus meiner Kenntnis der Berlinale-Geschichte heraus habe ich da meine Zweifel.

Wie hat Alfred Bauer die Alliierten nach 1945 von sich überzeugt?

Er hat früh begonnen, die britische Militärregierung in Filmangelegenheiten zu beraten. Er hatte gute Verbindungen zur Filmbranche und war ein Organisationstalent. 1950 hat er eine Denkschrift verfasst mit dem Vorschlag, in Berlin ein Filminstitut zu gründen. Dieses Schreiben hat er dem Oberbürgermeister Ernst Reuter übergeben. Darüber kam er peu à peu in Kontakt mit dem eigentlichen Initiator der Berlinale, dem amerikanischen Filmoffizier Oscar Martay. Da muss schließlich ein Vertrauensverhältnis entstanden sein – sonst hätten die Alliierten ihn nicht 1951 zum Festivaldirektor gemacht. Leichthin werden die amerikanischen Besatzer ihm diese Position nicht anvertraut haben.

Welche Bedeutung hatte Alfred Bauer als erster Leiter für die Berlinale?

Er musste das Festival etablieren. Und das ist ihm in einer Situation gelungen, die für Berlin politisch schwierig war: Denken Sie etwa an die drei sogenannten Berlin-Blockaden. Alfred Bauer musste in einer zerstörten Stadt die Strukturen schaffen, die es für ein Filmfestival braucht – funktionierende Kinos, Personal. Nicht zuletzt musste er sich als Deutscher in der Nachkriegszeit auf der internationalen Ebene bewegen, Filme einladen, strukturelle Entscheidungen treffen, Gastgeber eines internationalen Festivals sein.

Insgesamt stand Alfred Bauer 25 Jahre lang an der Spitze der Berlinale. War er als Direktor erfolgreich?

Wenn man sich die Entwicklung des Festivals anschaut bis zu seinem Abgang 1976, dann hat er der Berlinale internationales Renommee verschafft. Natürlich gab es auch immer wieder kritische Fragen an ihn zum Beispiel in Hinblick auf die Filmauswahl. Aber die Stetigkeit, mit der sich die Berlinale unter ihm entwickelt hat, ist schon beachtlich. Diese Leistung als Festivaldirektor hat seine NS-Vergangenheit – mit einer gewissen Berechtigung auch – überlagert. Er hat sich zu Lebzeiten erfolgreich davor weggeduckt. Nicht einmal im Umfeld der 68er hat man sich für seine Rolle vor 1945 interessiert. Da stand er als Festivaldirektor in der Kritik, aber nicht für seine Vergangenheit.

Seit 1987 vergibt die Berlinale ihm zu Ehren den Alfred-Bauer-Preis: einen silbernen Bären für "Neue Perspektiven der Filmkunst". Das Festival hat jetzt beschlossen, diesen Preis auszusetzen. Finden Sie diese Entscheidung richtig?

Ja, in der jetzigen Situation. Auch wenn eine solche Entscheidung Bauers Leistung für das Festival außer Acht lässt. Ich finde, die Berlinale sollte einen neuen silbernen Bären ausloben. Eine Umbenennung des Preises, wie von einigen vorgeschlagen, würde nicht reichen – dann wäre es immer noch der ehemalige Alfred-Bauer-Preis.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Gespräch führte Anne Kohlick für rbb Kultur - das Magazin.

1 Kommentar

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  1. 1.

    Alle waren Nazis. Bis auf die wenigen Verfolgten, die überlebt hatten. Die Täter kamen wieder in Ämter und haben sich gegenseitig entnazifizert.

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