Berlinale | Solidarität mit der Ukraine - Filmschaffende zwischen Zuversicht, Front und Festival

Die Berlinale demonstriert am Jahrestag des Kriegsbeginns ihre Solidarität mit der Ukraine auf dem Roten Teppich am Berlinale Palast. Viele ukrainische Filmschaffende können nur noch unter schwierigsten Bedingungen arbeiten. Von Nadine Kreuzahler
Alisa Kovalenko erinnert sich, dass sie gerade auf dem Weg ins Studio war, um sich mit ihrer Filmeditorin zu treffen, als russische Bomben auf Kiew fielen. Sie rannte nach Hause. "Danach hatten wir für Tage keinen Strom mehr", sagt sie, "die Russen hatten die Stromversorgung in Kiew getroffen".
Die blonde, zierliche Frau redet schnell, ihre Augen sind wach. "Der Strom fällt immer wieder für Stunden aus, noch dazu ist man in ständiger Alarmbereitschaft, man weiß nicht, was am nächsten Tag passiert. Vor einem Monat schlugen Raketenteile in ein Haus ein, nur einen Kilometer entfernt von meinem. Man lebt von Tag zu Tag". Schließlich gingen Alisa und ihr Team nach Polen, um ihren dritten abendfüllenden Dokumentarfilm "My ne zgasnemo" ("We will not fade away") fertig zu schneiden. Auf der Berlinale feierte er in der Sektion Generation 14plus seine Weltpremiere.
Europäischer Hilfsfonds für ukrainische Filmschaffende gestartet
Um Filmschaffende wie Alisa Kovalenko dabei zu unterstützen, ihre Projekte fertig zu stellen, ist auf der Berlinale gerade ein neuer europäischer Hilfsfonds gestartet: Der "European Solidarity Fund for Ukrainian Films" stellt dafür insgesamt 1,1 Millionen Euro zur Verfügung. Ins Leben gerufen wurde er von der EFAD – der europäischen Dachorganisation für Filmförderungsinstitutionen.
13 Länder beteiligen sich, Deutschland gibt 200.000 Euro aus dem Haushalt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie war bei der Präsentation auf dem European Film Market der Berlinale dabei und versteht den Fonds als wichtiges Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. "Es geht darum, dass Filme immer auch Bilder transportieren von einer Perspektive auf die Welt, auf das, was passiert. Das macht die Filme so wichtig für die Ukraine und die kulturelle ukrainische Identität, die Putin angreift und zerstören will", so die Kulturstaatsministerin im Interview mit dem rbb. Der Fonds ist als akute Nothilfe gedacht, um Projekte fertig stellen zu können, die durch den Krieg unterbrochen wurden, aber auch, um neue Filme auf den Weg bringen zu können.
Die Kamera gegen die Waffe getauscht
Nicht nur finanzielle Mittel und Infrastruktur fehlen in der Ukraine. Viele Kameramenschen, Editoren, Produzent:innen, Schauspieler:innen und Regisseur:innen sind geflüchtet oder kämpfen an der Front, nicht wenige sind inzwischen tot. Auch Alisa Kovalenko hat Freunde durch den Krieg verloren und auch sie tauschte ihre Kamera gegen die Waffe.
Am 24. Februar 2022 war sie gerade wieder im Donbass, um neue Szenen für ihren Film zu drehen, als die russische Invasion losging. "Ich war im Haus der Familie eines meiner Protagonisten und ich konnte nicht mehr filmen, ich fühlte mich so nutzlos", erzählt die 36-Jährige. Sie haderte mit ihrer Rolle als Dokumentarfilmerin. "Ich wollte nicht einfach nur beobachten, was passiert, und ich verstand: Jetzt ist nicht die Zeit um zu filmen, sondern um zu handeln."
Alisa Kovalenko schloss sich der ukrainischen Freiwilligenarmee an und kämpfte vier Monate lang an der Front. Nach dem Tod eines Freundes kehrte sie nach Kiew zurück, wo ihr fünfjähriger Sohn und ihr französischer Mann auf sie warteten. Freunde überzeugten sie, ihren Film fertig zu stellen und an der "kulturellen Front" zu kämpfen, wie sie es nennt.
Alle Träume der Teenager zerstört
Es war ein bewegender Moment für Alisa Kovalenko, als sie bei der Weltpremiere von "My ne zgasnemo" auf der Berlinale vom Publikum in der Urania mit minutenlangen Standing Ovations gefeiert wurde. Der Dokumentarfilm porträtiert fünf Jugendliche im umkämpften Donbass im Jahr 2019 und erzählt von ihrem Leben zwischen Langeweile, Tristesse, Familie und Zukunftsträumen, während die Front nicht weit weg ist und Explosionen seit 2014 zum Soundtrack ihres Alltags gehören.
Drei von ihnen sind mit nach Berlin gereist und stehen mit Alisa Kovalenko auf der Berlinale-Bühne, zwischen sich ein Banner in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb. Sie konnten dem Krieg entkommen, eine lebt in Frankreich, eine in Belgien, einer in einem sichereren Teil der Ukraine. Alisa Kovalenko hat dabei geholfen, sie zu evakuieren.
Aber zwei Protagonisten fehlen, zu ihnen ist der Kontakt kurz nach Beginn der russischen Invasion abgebrochen. "Ich habe wirklich Angst um die zwei, weil ich nichts von ihnen weiß", sagt Alisa Kovalenko. Sie sei traurig, weil sie eigentlich dachte, sie mache einen leichten, zarten Film über jugendliche Hoffnungen und Träume mit einem Happy End. "Aber tatsächlich hat die russische Invasion all die Träume der Teenager zerstört."
Solidarität der Berlinale mit der Ukraine
In vielen Sektionen der Berlinale laufen ukrainische Filme. Der European Film Market hat einen kostenlosen Gemeinschaftsstand für die ukrainische Filmbranche zur Verfügung gestellt und kostenfreie Akkreditierungen vergeben. Es gibt zahlreiche Talks zum Thema Ukraine. Auch Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek hat viele Gespräche geführt und ist beeindruckt davon, wie viel Zuversicht und Mut ihr dabei begegnen.
Sie habe zum Beispiel mit Vertretern des Molodist Film Festivals gesprochen. "Das Festival hat tatsächlich Anfang Dezember in Kiew stattgefunden. Sie haben mit einem Generator den Strom für ihre Filmvorführungen erzeugt", sagt Rissenbeek. "Daran merkt man, wie wichtig es ist, dass es für die Filmschaffenden irgendwie weitergeht, dass es auch wichtig ist, ihnen eine Bühne zu geben."
Die Solidaritätsdemonstration auf dem Roten Teppich am Berlinale Palast am ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine ist ein Zeichen, dass die Menschen in der Ukraine und ihre Filmschaffenden nicht vergessen werden.
Auch Alisa Kovalenko nimmt daran teil. Jedes Zeichen der Solidarität sei wichtig für die Ukraine, sagt sie. Nach der Berlinale geht es für sie auf eine Festival-Tour, danach fährt sie zurück nach Kiew.
Sendung: rbb24 inforadio, 24.02.2022, 15:55 Uhr