Premiere von "Kiss the Future" (Berlinale Special) - Rockt U2 die Berlinale?

Venedig hat den Lido, Cannes den Glamour – Berlin hat die Rockstars. Die Stones waren da, Neil Young, und am Sonntag feiert nun eine politische Doku mit der irischen Rockband U2 Premiere. Kann die Magie der Band noch wirken? Von Chiara Kempers
Frontmann Bono will kommen, auch Gitarrist The Edge und der Rest der Bandmitglieder von U2 werden es sich wohl nicht nehmen lassen, Berlin mit einem Gang über den roten Teppich zu ehren. "Kiss the Future" heißt der Dokumentarfilm von Nenad Cicin-Sain, der am Sonntagabend in der Verti Music Hall Premiere feiert. Gedreht wurde er in den 1990er-Jahren im ehemaligen Jugoslawien: Krieg, Belagerung von Sarajevo, Ausnahmezustand. Ein Amerikaner, der humanitäre Hilfe leistet, bittet die irische Rockband U2 um Unterstützung. Diese nutzt daraufhin ihre Reichweite, um auf den Jugoslawienkrieg und die Zustände für die Menschen vor Ort aufmerksam zu machen. Und die Musiker versprechen: Nach dem Krieg werden sie ein Konzert in Sarajevo spielen.
Die Dokumentation begleitet U2 rund um das Konzert im Jahr 1997 vor 45.000 Fans, das die Band nach der Befreiung Sarajevos gespielt hat. Entstanden ist ein Film über Widerstand, Hoffnung und die Kraft der Musik und Kunst. Ein Film, so scheint es, wie gemacht für diese Zeit. Kein Wunder also, dass die Band, die ihre Popularität gerne für politische Botschaften nutzt, es sich nicht nehmen lässt, selbst in Berlin vor Ort zu sein.
Und außerdem: Die Berlinale und Rock n Roll, das gehört einfach zusammen.

Musik-Dokumentationen haben Tradition auf der Berlinale
2008 wurde die Berlinale zum allerersten Mal in ihrer Geschichte mit einem Dokumentarfilm eröffnet. “Shine a Light”, eine Dokumentation über die Rolling Stones, von keinem anderen als Martin Scorsese realisiert. So verwandelte sich der rote Teppich zur Bühne des Rock'n'Roll, als die Stones in den Berlinale Palast kamen und von Tausenden Fans empfangen wurden. Einige Fans warteten schon über 24 Stunden auf die Kult-Rockband.
Auch “Shine a Light” ist ein Konzertfilm. Scorsese begleitete die Stones bei zwei Konzerten, untermalt mit Archivmaterial und Interviews der Rock-Legenden. Die Kritik reagierte eher mit gemischten Gefühlen. Ein "reiner Fan-Film" von Scorsese, schrieben einige, "unpolitisch", schrieben andere. Für den damaligen Berlinale-Chef Dieter Kosslick aber war die Musik-Dokumentation "die Erfüllung eines Traumes”.
2008 rockte wie kein anderes Jahr
Im gleichen Jahr spazierte auch Neil Young über den Berlinale-Teppich. “CSNY Déjà vu” heißt die Dokumentation von Bernard Shakey, aka Neil Young himself, der sich hinter diesem Künstlernamen verbirgt, und die in der Sektion Berlinale Special lief. Ein durchaus politischer Film über die Tournee von Crosby, Stills, Nash & Young 2006 in den USA, während des Irakkriegs.
Auch Rock aus Deutschland war da: Klaus Meine von den Scorpions stand im selben Jahr auf dem Berlinale Teppich. Zwar war die Scorpions-Doku "Forever and a Day" kein Teil des Festival-Programms. Doch Meine nutzte den Auftritt, um werbewirksam schon mal auf die Premiere zu verweisen und anzukündigen, der Film sei nicht nur etwas für Scorpions Fans – na klar.
Rockstar-Pause durch Corona Pandemie
So rockig wie 2008 wurde es dann erstmal lange nicht mehr. 2021 prämierte das Biopic "Tina" auf der Berlinale. Der Film zeigt Tina Turners Karriere von 1960 bis heute, ohne dabei aber groß auf politische Themen, die sich ja durchaus anbieten würden, einzugehen. Rockröhre Tina Turner konnte Berlin aufgrund der Corona-Pandemie nicht persönlich beehren. Auch Nick Cave wurde im letzten Jahr bei der Premiere von Andrew Dominiks Musik-Doku "This Much I Know To Be True" auf der Berlinale vermisst.
Rockt U2 die Berlinale?
Ob dieser Berlinale-Jahrgang wieder ein Year of Rock wird? Ganz so, wie 2008 mit den Stones, wird es wohl nicht werden. Der Zauber des Rock'n'Roll von U2, einer Band, die es seit fast einem halben Jahrhundert gibt, ist etwas angekratzt. Spätestens als 2014 ihr Album “Songs of Innocence” durch einen Deal mit Apple für alle ITunes-Nutzer gezwungenermaßen auf die Smartphones vorinstalliert wurde und sich nicht löschen ließ, was viele Nutzer und Nutzerinnen verärgerte.
Die Dokumentation “Kiss the Future” dürfte eine Stärke von U2 aber nochmals hervorheben: Musik immer als etwas Politisches zu sehen, als ein Instrument, das die Macht hat, etwas zu verändern oder zumindest Hoffnung zu schenken. Und ganz ehrlich: Vielleicht braucht die Berlinale dieses Jahr genau das.
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.02.2023, 19:30 Uhr