Berlinale-Filmtipp | "Family Time" (Encounters) - O du gar nicht mal so fröhliche

Mo 20.02.23 | 17:10 Uhr | Von Fabian Wallmeier

Die Finnin Tia Kouvo seziert ausgehend von einem Weihnachtsfest eine ganz normale Familie. Ruhig erzählt, respektvoll beobachtet, tieftraurig und staubtrocken komisch. Ein Debüt von erstaunlicher Reife. Von Fabian Wallmeier

Ist meine Familie die, mit der ich Weihnachten verbringe, weil es sich so gehört? Oder die, mit der ich meinen Alltag teile und teilen möchte? Es sind beide - und idealerweise gibt es zwischen beiden erhebliche Schnittmengen. Tia Kouvos "Family Time" zeigt im ersten Teil ein Weihnachtsfest, bei dem die verschiedenen Teile einer Familie im Haus der Großeltern zusammenkommen - und im zweiten Teil, wie diese einzelnen Teile unabhängig voneinander funktionieren.

Die finnische Regisseurin Kouvo stellt mit diesem Zweistünder ihr Langfilmdebüt vor - und legt dabei ein Gespür für Ambivalenzen und unaufgeregte Inszenierung zutage, das man eher von erfahreneren Regisseur:innen erwartet. In aller Ruhe lässt sie im ersten Teil die unterschiedlichen Temperamente vom schon morgens Bier trinkenden Großvater bis zur übereifrig ein einstudiertes Weihnachtslied singenden Enkelin aufeinanderprallen. Richtig weihnachtlich-fröhlich ist die Stimmung nicht, überall sind Spannungen zu spüren.

Minidrama statt Spektakel

Die Kamera findet dabei in dem offenen Wohn- und Essbereich des Hauses immer neue frische Perspektiven - mal eine simple Totale des Esstischs, mal ein respektvoll unaufdringlicher Blick aus einer Ecke. Es entfalten sich Szenen von staubtrockenem Witz mit tieftraurigen Untertönen. Beides gehört zusammen, beides findet seinen Platz, nichts wird hier gegeneinander ausgespielt. Und selbst wenn in einer Szene ein Haufen Kot auf dem Teppich landet, wird das nicht zum Spektakel, sondern zum genau beobachteten (und ja; auch ziemlich witzigen) Minidrama.

Der zweite Teil öffnet dann ganz andere Perspektiven. Statt der Stellung im Geflecht der Großfamilie geht es nun um Paar- und Kernfamilienbeziehungen. Was im weihnachtlichen Spannungsverhältnis unterging, bricht sich nun Bahn. Das kann eine versuchte Aussprache im Auto sein oder einfach nur gemeinsames Giggeln am Esszimmertisch. Auch hier drängt Kuovo sich nicht auf, sondern lässt aus der Distanz ganz ruhig neue Facetten ihrer Figuren zu Tage treten - um sie dann ganz am Ende noch einmal zusammenzubringen. Mit denselben Mechanismen, aber unter anderen Vorzeichen, weil man die Figuren nun noch einmal kennengelernt hat.

Beitrag von Fabian Wallmeier

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