Berlinale-Filmkritik | "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" (Wettbewerb) - Zu schön, um gut zu sein

Fr 17.02.23 | 19:25 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Irgendwann werden wir uns alles erzählen © Pandora Film / Row Pictures
Audio: rbb24 Inforadio | 17.02.2023 | Barbara Wiegand | Bild: Pandora Film / Row Pictures

Sommer 1990 in der thüringischen Provinz: Eine junge Frau weiß mit den anstehenden Umbrüchen nichts anzufangen und stürzt sich in eine hoffnungslose Affäre. Der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag ist ein zäher, klischeehafter und mutloser Film. Von Fabian Wallmeier

Ein Sommermorgen auf dem Land, der Wind lässt leicht die Vorhänge wehen, draußen zwitschern Vögel. Maria liest im Bett, während ihr Freund Johannes sich zur Schule aufmacht. Maria bleibt liegen, sie wird auch an diesem Tag wieder schwänzen. Und ob sie überhaupt ihr Abitur machen will? Weiß sie nicht so genau.

Emily Atefs Wettbewerbsbeitrag "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" nach dem gleichnamigen Roman von Daniela Krien erzählt von einem Sommer der Umbrüche im dörflichen Thüringen. Es sind zum einen die großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche zwischen Mauerfall im November 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Und es sind Marias ganz persönlichen Umbrüche.

emily Atef

Emily Atef, Regisseurin © PHOTOPQR/LE PARISIEN/Fred Dugit / dpa
PHOTOPQR/LE PARISIEN/Fred Dugit / dpa

Die 1973 in Berlin geborene französisch-iranische Regisseurin und Autorin wuchs in Berlin, Los Angeles und Paris auf. Ihr Debüt, "Molly’s Way", wurde auf dem Filmfest München mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet, ihr zweiter Film "Das Fremde in mir" wurde in Cannes uraufgeführt. Nach dem ebenfalls preisgekrönten Film "Töte mich" zeigte sie 2018 "3 Tage in Quiberon" im Wettbewerb der Berlinale. Der Film wurde mit sieben Lolas ausgezeichnet. Ihr fünfter Spielfilm, "Plus que jamais", feierte seine Premiere 2021 in Cannes. (Quelle: berlinale.de)

Kiwis im Überfluss

Für den gesellschaftlichen Umbruch setzt Atef die erwartbaren Marker ein: Konsumgüter, die noch vor ein paar Monaten in der DDR unerreichbar waren, sind nun zum Greifen nah. Es gibt auf einmal Kiwis im Überfluss zu kaufen, der Onkel aus dem Westen kommt mit dem Mercedes vorgefahren, im Schaufenster gibt es CDs zu bestaunen und statt die Sahne mit der Hand zu schlagen, greift man zur Sprühflasche. Nur Maria fühlt all das irgendwie nicht. "Mir hat deine selbstgeschlagene besser geschmeckt", sagt sie der Oma.

Maria ist nur zu Besuch zu Hause. Vor der vom Vater für eine Jüngere verlassenen und im Zuge der Abwicklung der DDR-Wirtschaft arbeitslosen Mutter hat sie sich davon gemacht ins Nachbardorf. Dort lebt sie mit Johannes auf dem Dachboden seines Elternhauses, voll integriert und geliebt von der gesamten Familie. Doch es gibt da diese Lücke in ihr, die sie selbst noch nicht verstanden hat.

Bis der raubeinige Nachbar Henner auf den Plan tritt - da wird Maria klar: Es ist nicht die Verheißung des Sprühsahne-Westens, die sie erfüllen wird, sondern die erotische Verheißung der Unterwerfung. "Jetzt habe ich dich gefangen und in meine Höhle geschleppt", stellt er ohne jede Ironie fest, als sie allein in seinem heruntergekommenen Haus sind.

Gedichte und blaue Flecken

Der Sex mit dem mehr als doppelt so alten Mann ist hart und brutal, die Hämatome am Hals reibt er ihr anschließend mit Salbe ein. Doch natürlich ist Henner bei Atef eine irgendwie gebrochene Figur. Er ist nicht nur der verstockte alleinstehende Mann mittleren Alters mit Neigung zum Groben, sondern er liebt und zitiert Gedichte von Georg Trakl und ist ab und an auch mal sowas ähnliches wie zärtlich.

Man nimmt diese Vielschichtigkeit weder der Figur noch ihrem Darsteller Felix Kramer ab. Auch Marlene Burow als Maria bleibt wenig greifbar, was allerdings nun auch zum Profil der Rolle passen dürfte.

Johannes (Cedric Eich) ist derweil dabei, seine Zukunft zu planen. Vom Westgeld fürs anstehende Abitur kauft er sich eine Profi-Kamera und arbeitet auf ein Kunststudium in Leipzig hin. Von Marias Affäre und ihrer Lebenskrise bekommt er wenig mit. Seine Zukunft macht er treudoof zur gemeinsamen. "Wir gehen weg von hier", juchzt er und wundert sich nicht über das Ausbleiben einer freudigen Bestätigung. Erst als Maria ihm zum wiederholten Mal den Geschlechtsverkehr ausschlägt, wird er stutzig, wenn auch nur vorübergehend.

Atef zeichnet Johannes als so dümmlich, dass man nur hoffen kann, dass er eine Art Comic Relief in all der Traurigkeit sein soll. Doch darauf deutet leider wenig hin, weil sich der Film in all seiner Klischeehaftigkeit so offenkundig bierernst nimmt.

Malerisch strahlen die Sonnenuntergänge

Optisch ist "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" (übrigens ein Zitat aus "Die Brüder Karamasov", die Maria den Film über liest) zu schön, um gut zu sein. Marias Tristesse steht die flirrende Schönheit der Inszenierung entgegen. Golden leuchtet das Heu, malerisch strahlen die Sonnenuntergänge, fröhlich knattert der Trabi über den Grenzübergang und selbst Henners verlotterte Behausung sieht irgendwie heimelig aus.

Auch aus dem gesellschaftlichen Konfliktpotenzial des Stoffs macht Atef wenig. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die mit dem Umbruch einhergehen, sind kaum sichtbar. Stattdessen gibt es ein bisschen verfrühte Ostalgie: Beim gemeinsamen Singen der "Moorsoldaten" wie damals im Pionierlager beginnen Marias Augen zu leuchten. Warum das genauso ist und was die anderen Figuren antreibt, interessiert den Film nicht.

Jedes Missverständnis ausgeschlossen

An anderen Stellen neigt Atef dazu, das Ungesagte lieber doch noch mal einer Figur in den Mund zu legen, anstatt auf das ohnehin schon Überdeutliche ihrer Bilder zu vertrauen. "Du siehst mich nur noch durch die Kamera", sagt Maria etwa einmal zu Johannes, obwohl das schon längst durcherzählt war. Und als (Achtung, Spoiler!) am Ende ein Todesfall zu beklagen ist, drapiert sie gleich neben der abgedeckten Leiche noch ein paar eindeutige Erkennungsmerkmale, damit wirklich jedes Missverständnis ausgeschlossen ist.

Das alles wirkt mutlos und zieht den Film zusätzlich in die Länge. Mit gut zwei Stunden fühlt er sich eher an wie drei. Der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag dieser Berlinale ist also schon einmal kein Treffer. Schade, aber es kommen ja noch vier.

Offenlegung: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg ist Co-Produzent von "Irgendwann werden wir uns alles erzählen".

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.02.2023, 19:15 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

3 Kommentare

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  1. 3.

    Habe ihn heute gesehen. Schlimmer Film. Zum Glück war er irgendwann zu Ende. Wie kommt der in den Wettbewerb? Verti music hall auch schrecklich.

  2. 2.

    Kultur ist bekanntlich Geschmackssache. Ich finde es jedoch schade, dass ein Rezensist die Essenz einen Films sowie die Korrelation zwischen Inhalt und filmischer Darstellung anscheinend so gar nicht versteht(bzw. verstehen will?). Der Film traut dem Zuschauer zu, zwischen den Zeilen zu lesen und selber Verbindungen herzustellen, nachzudenken. Schade, dass das heutzutage für Manche zu unkonventionell zu sein scheint...

  3. 1.

    Offenbar hat der Rezensent die Romanvorlage nicht gelesen. Denn mehr war dort auch nicht herauszuholen. Oder man hätte eben einen anderen Film draus machen müssen. Aber so dünn und klischeehaft ist auch das Buch.

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