Berlinale-Filmkritik | "Music" und "Roter Himmel" - Ein metaphysischer Musikfilm und eine leichtfüßige Sommerkomödie

Mi 22.02.23 | 19:31 Uhr | Von Fabian Wallmeier
"Afire" von Christian Petzold und "Music" von Angela Schanelec (Quelle: Schramm Film/faktura film)
Audio: rbb24 Inforadio | 23.02.2023 | Alexander Soyez | Bild: Schramm Film/faktura film

Es gibt sie doch, die richtig guten deutschen Wettbewerbsfilme: Christian Petzold und Angela Schanelec legen zwei für ihre jeweiligen Verhältnisse überraschend leichtfüßige Filme vor. Von Fabian Wallmeier

Sich in einem Film von Angela Schanelec zurechtzufinden, ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung. Mit der Zeit wurden ihre Erzählstrukturen immer zerklüfteter und spärlicher, der meisterliche Vorgängerfilm "Ich war zu Hause, aber..." (Silberner Bär 2019) war in dieser Hinsicht der Höhepunkt. Mit ähnlichen Erwartungen geht man nun auch in "Music" – und es dauert eine Zeit, bis man versteht: Hier wird für Schanelecs Verhältnisse ziemlich gerade heraus erzählt. Stark elliptisch und rätselhaft zwar, aber recht schnell wird klar: "Music" verfolgt chronologisch über viele Jahre hinweg die Lebensgeschichte eines Mannes.

Jon heißt dieser Mann, den wir zu Beginn irgendwann in den 1970er- oder 1980er Jahren als Findelkind in den griechischen Bergen sehen und über Jahrzehnte hinweg bis ins heutige Berlin begleiten. Dazwischen kommt er nach einem Todesfall ins Gefängnis und gründet später eine Familie mit seiner Wärterin Iro (Agathe Bonitzer). Doch was all seinen Lebensstationen den Takt gibt, ist eine unerklärliche, metaphysische Tragik: Jon umgibt eine Aura des Unglücks, als eine Art Todesbote könnte man ihn bezeichnen.

Überweltlich musikalisch

Wenn ein Film schon "Music" heißt, dann ist das ein Versprechen besonderer Musikalität. Den löst Schanelec ein. Zum einen in der Klarheit und Schönheit ihrer Komposition und der Konzentration ihrer Geschichte und Bilder auf Kernmotive. Zum anderen auch ganz konkret: Jon (Aliocha Schneider) ist Sänger und Musiker. Als er als junger Mann im Gefängnis sitzt, pinnt er eine Liste mit Werken und (vornehmlich barocken) Komponisten an die Wand, und fängt an zu singen. Sein vor allem im Falsett vorgetragener Gesang hat etwas Sphärisches, Überweltliches – und ebnet ihm später eine Karriere als Musiker.

Umso wirkmächtiger wird die Musik im Film dadurch, dass in den meisten Szenen des Films so gut wie gar nicht gesprochen wird. Das kennt man von Schanelec: stumme Interaktionen, streng kadriert und von elektrisierender Künstlichkeit. Angela Schanelec ist sich – bei aller Weiterentwicklung – im Tonfall, in der inszenatorischen Strenge, in der Langsamkeit und in der elliptischen Erzählweise seit den 1990er Jahren treu geblieben.

Überraschend leichtfüßig

Mit Christian Petzold ist ein weiterer Regisseur im Wettbewerb, der als Mitbegründer der Berliner Schule gilt – jenes Sammelbeckens, das für ein hoch ästhetisiertes, strenges, langsam erzähltes deutsches Kino steht. Sein neuer Film ist eine noch deutlich größere Überraschung als Schanelecs: "Roter Himmel" ist eine Sommerkomödie, die trotz finalen Twists ins Tragische so leichtfüßig daherkommt, wie man es Petzold nicht unbedingt zugetraut hätte.

Petzold ist dafür bekannt, immer wieder dieselben Schauspieler:innen in den Hauptrollen zu besetzen. Nach einer langen Reihe von Filmen mit Nina Hoss waren zuletzt Franz Rogowski und Paula Beer die Fixpunkte. Beer ist auch in "Roter Himmel" wieder mit dabei. Der ganz große Star des Films ist aber der Österreicher Thomas Schubert als Leon. Es wird hoffentlich nicht seine letzte Zusammenarbeit mit Petzold bleiben.

Schubert spielt den Schriftsteller Leon, der mit seinem Freund Felix ins abgelegene Sommerhaus von dessen Mutter an der Ostsee fährt, um an seinem zweiten Roman zu arbeiten. Leon steht unter Druck, das Manuskript ist, so ahnt er, nicht wirklich gut, und er kann sich nicht zum Arbeiten aufraffen. Weil Felix' Mutter die Besuchsdaten versemmelt hat, ist gleichzeitig auch noch die nachts laut feiernde und kopulierende Nadja, die Freundin einer Kollegin, zu Besuch und macht Leon das Leben schwer.

Infantile Wurstigkeit

Thomas Schubert verleiht seiner Figur zugleich einen Dünkel mit Drall zur Lächerlichkeit, eine infantile Wurstigkeit und eine Putzigkeit, die in dieser Kombination permanent neue Funken schlagen. Wie er andere genervt nachäfft wie ein Kleinkind, wenn ihm etwas nicht passt, und dann später tapsig zurückzurudern versucht: Es ist eine Freude, ihm zuzusehen.

Das funktioniert auch dank Petzolds erstaunlich pointensicheren Drehbuchs - und nicht zuletzt im Kontrast zu den anderen Schauspieler:innen. Paula Beers Nadja ist eine gleichzeitig funkelnde und geerdete Erscheinung, Langston Uibel gibt Felix als gutgelaunten Sorglosen. Enno Trebs spielt zudem den sich der Gruppe anschließenden, herrlich unbedarften Rettungsschwimmer Devid und Matthias Brandt stößt als Leons Verleger Helmut dazu, der sich schon bald mehr für alles andere als für seinen Klienten zu interessieren scheint.

In der Nähe lodert das Feuer

Grundsätzlich alles auf sich beziehend und viel zu vieles missverstehend flüchtet Leon sich in die Selbstausgrenzung, aus Angst vor noch deutlicherer Ablehnung. Neidisch, aber bockig schaut er etwa dabei zu, wie Felix, Nadja und Devid lachend Federball spielen. Die bunt leuchtenden Schläger tanzen durch die Nacht, während er drinnen hockt und traurig schmollt.

Der titelgebende rote Himmel zieht einen zweiten Strang ein, den Petzold elegant mit der Haupthandlung verwebt. Nicht weit vom Sommerhaus brennt der Wald, ständig donnern Hubschrauber übers Haus und das Meer und am Abend glüht der Himmel tatsächlich rot vom lodernden Feuer in der Nähe. Es ist ein Vorbote dessen, was das komödiantische Setting des Films noch erschüttern – und ihn zugleich noch einmal auf eine höhere Ebene heben wird.

Zwei der besten Wettbewerbsfilme

Geschlagene fünf deutsche Filme im Wettbewerb der Berlinale – das las sich schon bei der Bekanntgabe ein wenig verzweifelt. Fünf deutsche Filme, weil international nichts zu bekommen war? Die ersten beiden Filme bestätigten die Befürchtungen. Margarethe von Trottas ödes Biopic "Ingeborg Bachmann" (mit einer absurden Fehlbesetzung von Ronald Zehrfeld als Max Frisch) und Emily Atefs zähe, klischeehafte und mutlose Literaturverfilmung sind wahrlich kein Glanzstücke in diesem Wettbewerb.

Schanelec und Petzold führen diese Reihe zum Glück nicht weiter. "Music" und "Roter Himmel" gehören zu den besten Filmen der Auswahl. Die Latte für Christoph Hochhäusler, der am Freitag den fünften deutschen Film "Bis ans Ende der Nacht" vorstellen wird, liegt erfreulich hoch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.02.2023, 8:30 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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