Berlinale-Filmkritik | "Past Lives" - Ein bisschen wohlige Wärme für den Wettbewerb

So 19.02.23 | 15:51 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Audio: rbb24 Inforadio | 19.02.2023 | Barbara Wiegand

"Past Lives" erzählt die Geschichte einer Frau, die mit zwölf nach Amerika ausgewandert ist, und ihrer in Korea gebliebenen Jugendliebe. Ein bisschen seicht ist das teilweise, aber auch ein wirklich gut gemachtes Rührstück. Von Fabian Wallmeier

 

Wer sind wohl die drei da vorn in der Bar, in welcher Beziehung stehen der asiatisch gelesene Mann, die asiatisch gelesene Frau und der weiße Mann zueinander? Zwei Amerikaner:innen unterhalten sich über die drei, wir hören dabei nur die Stimmen der beiden. Und sie stellen Theorien auf: Sind die Frau und der Weiße ein Paar und der zweite Mann ist ihr Bruder? Oder sind die asiatisch Aussehenden ein Paar und der Weiße ist ihr Touristenführer?

Celine Songs Wettbewerbsbeitrag "Past Lives" wird an diesen Ausgangspunkt kurz vor Schluss wieder zurückkehren und das Rätsel lösen – und natürlich liegen die beiden, die sich über die drei unterhalten, mit ihren Theorien falsch.

"Past Lives" springt gleich nach dieser kurzen Einstiegsszene 24 Jahre zurück – in das vergangene Leben der asiatisch gelesenen Frau. Sie heißt Na Young, lebt in Korea, ist zwölf Jahre alt und weint, weil sie in der Schule nur die Zweitbeste war. Ihr Freund Hae Sung tröstet sie. Zwischen den beiden besteht eine tiefe Freundschaft, aber es ist klar, dass mit dem Anbruch der Pubertät auch romantische Gefühle zu knospen beginnen. Doch Na Young und ihre Familie sind auf dem Sprung: Sie planen ihre Ausreise in die USA.

celine song

... arbeitete bislang vornehmlich als Theaterautorin. Ihr Stück "Endlings" hatte 2020 seine New Yorker Premiere am New York Theatre Workshop. Sie war Finalistin für den Susan Smith Blackburn Prize und wirkte außerdem als Drehbuchautorin an der ersten Staffel der Amazon-Serie "The Wheel of Time" mit. "Past Lives" ist ihr Langfilmdebüt.

"Wow, du bist es wirklich"

Wieder ein Sprung, dieses Mal geht es zwölf Jahre nach vorn. Na Young heißt mittlerweile Nora, ist Dramatikerin und gerade aus Kanada nach New York gezogen. Hae Sung wohnt nach dem Militärdienst wieder bei seinen Eltern und studiert Maschinenbau. Über Social Media nehmen sie wieder Kontakt zueinander auf. Als sie sich zum ersten Mal per Skype wieder sehen, strahlen sie einander lachend an, unfähig mehr als "Wow" und "Du bist es wirklich" zu formulieren. Ein Moment von kristallklarer Schönheit, den Song und ihre Darsteller:innen beim ersten Wiedersehen von Angesicht zu Angesicht zwölf Jahre später noch steigern können.

Zwischen den beiden ist etwas Großes, das ist unverkennbar. Aber was? Um sich wirklich tief zu lieben, wurden sie zu jung getrennt. Und haben zu wenig Zeit miteinander verbracht. Doch Song bringt das Konzept des In-Jun ins Spiel, demzufolge unser aktuelles Selbst und die Personen um uns mit allen unseren vergangenen Leben (daher der Titel "Past Lives") in Verbindung stehen. 8.000 Schichten In-Jun braucht es, um eine Verbindung fürs Leben herzustellen.

Recht profundes Feelgood-Movie

Song trägt dieses Alles-hängt-mit-allem-zusammen-Konzept sehr dick auf, schrammt immer wieder hart am Kitsch vorbei. Doch die gewitzten Dialoge und die Chemie der drei wichtigsten Darsteller:innen (Teo Yoo als Hae Sung, John Magaro als Noras Mann Arthur und vor allem Greta Lee als Nora) sorgen dafür, dass bei aller Schlagseite ins Seichte trotzdem ein recht profundes Feelgood-Movie entsteht.

Dass Greta Lee einen sehr trockenen Witz versprühen kann, weiß man aus der wilden Netflix-Comedy-Serie "Russian Doll", in der sie die dauergenervte beste Freundin der Hauptfigur spielt. Auch hier sitzen ihre Gags perfekt, retten die schönsten Herzschmerz-Momente immer wieder davor, zu seifig zu werden. Hier darf sie nun zusätzlich noch reichlich Wärme ausstrahlen.

Past lives (Wettbewerb)

Die Essenz des Films in einem Dialog

Besonders stark ist eine Szene zwischen Nora und ihrem Mann Arthur, der bis dahin noch keine greifbaren Konturen entwickelt hatte. Beim spätabendlichen Austausch vor dem Hintergrund eines Besuchs von Hae Sung in New York entspinnt sich ein Dialog, der alles hat, was die Essenz des Films ausmacht. Es gibt ein paar gutsitzende Gags, aber es werden auch federleicht die schwierigen Themen verwoben: Warum hat er ihr nie erzählt, dass sie unwissentlich nachts im Traum Koreanisch spricht und er Angst hat, einen wichtigen Teil von ihr niemals ergründen zu können? Was hat ihre Migrationserfahrung mit ihr gemacht? Und ist ihre Liebe ein beliebiger Zufall oder sind auch sie auf tieferer Ebene miteinander verbunden?

"Past Lives", der schon in Sundance recht warm aufgenommen wurde, ist sicherlich nicht das filmische Meisterwerk, das der Berlinale guttäte. Aber es ist für ein Debüt ziemlich reif. Und auch davon abgesehen: Songs Film ist ein zu Herzen gehendes Rührstück, das so bei allem Hang zum Überdeutlichen so gut gemacht ist, dass es dem Wettbewerb ein bisschen wohlige Wärme verleiht. Auch nicht zu verachten

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.02.2023, 17:10 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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