Mary Bronstein zeigt im Berlinale-Wettbewerb ihren zweiten Spielfilm. "If I Had Legs I'd Kick You" ist ein radikal parteiischer Film über eine überforderte Mutter und Therapeutin. Wie Rose Byrne sie spielt, ist ein Ereignis. Von Fabian Wallmeier
Es strömt aus der Decke, Wohnzimmer und Badezimmer stehen schon unter Wasser, da kracht es auf einmal mit Getöse auf den Boden: Schutt und Geröll liegen jetzt herum und in der Decke klafft ein Loch. Mary Bronsteins Wettbewerbsbeitrag "If I Had Legs I'd Kick You" geht von Anfang an voll auf die Zwölf. Rose Byrne spielt Linda, eine Therapeutin und Mutter, die immer weiter in einen Strudel der Überforderung hineingezogen wird.
Die in New York lebende Autorin und Regisseurin wurde mit ihrem Regiedebüt "Yeast" bekannt. Neben ihrer Arbeit als Filmemacherin hat sie akademische Schriften zur feministischen Theorie veröffentlicht. "If I Had Legs I’d Kick You" ist ihr zweiter abendfüllender Spielfilm.
Das Loch in der Decke ist nur eins ihrer Probleme. Mit allen möglichen Menschen liegt sie im Dauerclinch. Ihr Mann ist unterwegs und gibt nur am Telefon wenig hilfreiche Hinweise. Eine ihrer Patientinnen ist in einer tiefen Krise, die sie zunächst nicht erkennt. Ihr eigener Therapeut ein paar Zimmer weiter versteht sie nicht (findet sie nicht ganz zu Unrecht). Und vor allem: Ihre Tochter ist krank, wird über eine Magensonde ernährt und muss in einer Woche unrealistisch viel an Gewicht zulegen, um nicht aus der Versorgung zu fliegen.
Das Loch ist eine nicht gerade subtile, aber wirkungsvolle Metapher. Denn auch in Lindas Leben klafft ein Loch, in dem sie zu versinken droht. Die Kamera blickt immer wieder mit Lindas Augen in das Loch in der Decke und hinter dem Schwarz tun sich irgendwann Traumbilder auf: Dinge, die Linda verdrängt hat.
"If I Had Legs I'd Kick You" ist ein radikal parteiischer Film, der sich ganz auf Linda fokussiert. Schon in der Eröffnungsszene, einem Gespräch mit der Tochter und deren Ärztin, ist allein Linda zu sehen. Ganz nah geht die Kamera immer wieder auf Lindas Augen, erforscht ihre um Fassung bemühte, aber eine Fassade nur noch andeutende Mimik. Als Zuschauer:innen hören wir die Tochter und die Ärztin nur - ganz aus Lindas Warte.
Die Tochter bleibt auch im weiteren Verlauf des Films nahezu unsichtbar. Sie ist immer wieder zu hören, in allen emotionalen Aggregatszuständen von alltäglich-entspannt bis panisch-die-Aufmerksamkeit-der-Mutter-einfordernd. Aber wir sehen nur ab und zu ihre Hand, dann auch ihren Bauch mit dem Schlauch der Magensonde, aber nicht ihr Gesicht.
Wenn ein Film dermaßen auf die Hauptfigur setzt, braucht er eine außergewöhnliche Schauspielerin. Die hat Mary Bronstein fraglos gefunden: Rose Byrne ist in diesem Film ein gewaltiges Ereignis. Es muss aber auch ein Fest sein, diese Rolle zu spielen: hochnervös, immer am Rand des Nervenzusammenbruch, aber auch, vor allem ihren Patient:innen gegenüber, um Contenance ringend, verletzlich, verzweifelt - und immer wieder anderen gegenüber arrogant, spöttisch, unverschämt. Rose Byrne spielt all das mit Bravour und es ist faszinierend, mitreißend und streckenweise sehr komisch, ihr dabei zuzusehen. Undenkbar, dass ihr Name nicht fällt, wenn die Jury über die Vergabe des Silbernen Bären für die beste Hauptrolle berät.
Unerwartete Nebenrollen: Conan O'Brien und ASAP Rocky
Interessant sind aber auch einige der Besetzungsentscheidungen: Lindas Therapeuten spielt der Comedian, Talkmaster und Podcaster Conan O'Brien. Der diesjährige Moderator der Oscar-Verleihung hat zwar hier und da Versionen seiner selbst gespielt - aber eine Rolle wie diese, die nicht primär als Gag angelegt ist, nicht. Den überforderten, seltsam unbeteiligten Therapeuten spielt er durchaus raffiniert.
Auch der Rapper ASAP Rocky, der in den USA aktuell wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht steht, macht seine Sache gut. Er spielt Lindas von ihrem Gebaren einigermaßen fassungslosen Hotelnachbarn mit unerwartet leichtem Witz.
Mary Bronstein hat zuvor erst einen Film gemacht, und der liegt schon eine Weile zurück: In "Yeast" (2008) spielte sie selbst eine Hauptrolle: eine unsympathische, passiv-aggressive junge Frau, die sich nacheinander mit zwei nicht minder unsympathischen Freundinnen streitet. Der überaus lustige, aber auch bewusst hart an den Nerven zehrende Film endet damit, dass Bronsteins Charakter jemandem ein gepfeffertes "Asshole" hinterherschreit - und das fasst den Film trefflich zusammen.
Diese radikale Arschlochhaftigkeit führt Bronstein mit dem neuen Film nur bedingt fort. Zwar ist auch die Figur der Linda darauf ausgelegt, zu nerven. Byrne arbeitet die zutiefst unsympathischen Seiten auch ohne Scheu heraus. Doch Bronstein ist hier klar darauf aus, dass man schlussendlich mit Linda mitfühlen soll.
Dagegen ist auch nichts einzuwenden, nur übertreibt sie es leider ein bisschen. Zwar eskaliert die Geschichte immer weiter, doch am Ende stehen zwei seltsame Wendungen, die hier nur angedeutet werden sollen: Zum einen taucht eine männliche Retterfigur auf und zum anderen wird Linda eine verkitschte General-Absolution erteilt. Das ist eine unnötige Verwässerung des Films. Unbedingt sehenswert ist er trotzdem.
Berlinale 2025: Stars, Glamour und Momente
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Elegant in tiefem blau spaziert Sibel Kekilli über den roten Teppich. Sie ist im deutschen Wettbewerbsbeitrag ''Yunan" an der Seite von Hannah Schygulla zu sehen.
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Aber auch Weiß passt gut zu Rot. Und scheint in diesem Jahr beliebt zu sein. Hier trägt die australische Schauspielerin Rose Byrne ein priesterähnliches Gewand. Im Wettbewerbs-Beitrag "If I Had Legs I'd Kick You" gibt sie eine herausragende Performance als Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs.
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Im 1960-Jahre-Look kommt Margaret Qualley, Tochter von Andie MacDowell zum Berlinale Palast. Sie bringt neben dem Wettbewerbfilm "Blue Moon", ihren Hund Smokey mit.
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Bestens gelaunt sind Regisseur Richard Linklater (2.v.r.) mit den Stars seines Wettbewerbfilms "Blue Moon". Im Biopic spielt Margaret Qualley (li) die große Liebe des berühmten Songwriters Lorenz Hart. Ethan Hawke, hier salopp im Holzfällerhemd, verkörpert Lorenz Hart, Andrew Scott (re) den Komponisten Richard Rodgers.
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Sie sind die Stars des ersten deutschen Wettbewerb-Beitrags "Was Marielle weiß": (li-re) Felix Kramer, Julia Jentsch und Laeni Geiseler, zusammen mit Regisseur Frederic Hambalek.
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Sie sind auch da! Bob Geldorf Sänger und Aktivist und der Schauspieler Antonio Banderas öffnen kurz die Tür: Sie sind Gäste der Cinema for Peace Gala 2025 im Hotel Adlon.
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Passend zu den Minusgraden in Berlin kommen August Diehl und der französische Star Marion Cotillard, um den Wettbewerbsfilm "La Tour de Glace"/"The Ice Tower" zu präsentieren.
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Wenn sie frieren, ist es ihnen nicht anzusehen: Schauspielerin Rose Byrne und Regisseurin Mary Bronstein haben den Wettbewerbsfilm "If I Had Legs I'd Kick You" im Gepäck.
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Und da ist ... Robert Pattinson ... Entspannt steigt er aus dem Wagen und begrüßt die Fans bei der Berlinale. Locker und gut gelaunt lässt er sich von Kameras und Jubel nicht aus der Ruhe bringen.
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Hollywoodstar Robert Pattinson soll Sorge vor der Berliner Kälte gehabt haben. Sein Outfit hatte er sich in Kalifornien zurechtgelegt.
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Der Brite ist regelmäßiger Gast auf der Berlinale und präsentiert in diesem Jahr "Mickey 17", eine Sciende-Fiction-Komödie von Kult-Regisseur Bong Joon-ho. Pattinson spielt Mickey Barnes, Held wider Willen, verdient sich darin seinen Lebensunterhalt damit, dass er stirbt.
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Die Berliner:innen sind auf die eisigen Temperaturen gut vorbereitet. In dicke Jacken, mit Mützen und Schals ist der Andrang am roten Teppich groß. Diese jungen weiblichen Fans warten auf Timothée Chalamet. Spoiler: Er wird auch kommen.
Selfie mit der neuen Berlinale-Chefin: Tricia Tuttle ist der Stress der letzten Monate nicht anzusehen. Seit April 2024 ist sie im Amt - nicht viel Zeit, um ein Weltfestival mit über 200 Filmen auf die Beine zu stellen.
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Heiß erwartet von seinen weiblichen Fans: Timothée Chalamet. In "A Complete Unknown" gibt er eine fulminante Darstellung des jungen Bob Dylan. Der Film läuft im Rahmen der "Berlinale Special Gala" ...
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... und Timothée wird mindestens genauso belagert, wie seinerzeit der junge Bob ...
Bild: picture alliance/dpa | Christoph Soeder
Jessica Chastain - mitten im Fan-Trubel zur Premiere des Films "Dreams": Geduldig lächelnd, umringt von Handys und Blitzlichtern. Doch auf der Pressekonferenz findet die US-Schauspielerin deutliche Worte zur politischen Realität in den USA.
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Umgeben von Autogrammjägern, aber Jacob Elordi bleibt cool. Auch in seiner Rolle als Dorrigo Evans in "The Narrow Road to the Deep North" muss er sich inmitten des Chaos' behaupten.
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Emma Mackey, vielen bekannt aus der Netflix-Serie "Sex Education", überzeugt bei der Berlinale mit ruhiger Ausstrahlung und einem eleganten Look in Weiß. Sie spielt im Wettbewerbs-Beitrag "Hot Milk" eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst.
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Viermal weiße Garderobe auf dem roten Teppich bei der Eröffnungsgala: Model Toni Garrn bringt zwar keinen Film mit, aber den Teppich zum Leuchten.
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Naomi Ackie posiert für die Kameras und genießt das Blitzlichtgewitter. In "Mickey 17" ist sie an der Seite von Robert Pattinson sehen.
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Ein Traum in weiß: Jury-Mitglied Fan Bingbing. Will man Wikipedia Glauben schenken, führt die Schauspielerin und Sängerin seit 2015 die Forbes-Liste der bestbezahlten Chinesen 2015 an.
Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
Schwarz auf Weiß bringt Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Eröffnungsabend der Berlinale eine politische Meinung zum Ausdruck: Auf der Vorderseite ihres Kleides steht: "Donald & Elon & Alice" und darunter "Friedrich?". Auf dem Rückenteil ist nachzulesen: "Democracy Dies in Daylight"
Mit dem Goldenen Bären ist am Samstagabend das norwegischen Liebesdrama "Dreams" von Dag Johan Haugerud geehrt worden. Doch auch in diesem Jahr blieb die Politik nicht außen vor - stellenweise fielen deutliche Worte.
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Die 75. Berlinale geht am Wochenende zu Ende. Höhepunkt ist die feierliche Preisgala am Samstagabend, bei der die Bären verliehen werden. Neben den Film-Hightlights steht auch die politische Dimension des Festivals im Fokus. Von Ula Brunner
Am Samstagabend werden die Hauptpreise der 75. Berlinale verliehen. Unsere Filmkritiker:innen Anna Wollner und Fabian Wallmeier verraten, welche Filme sie für bärenwürdig halten - und welche nicht.