Andreas Dresen über Murat Kurnaz - "Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, was da geschehen ist"
Andreas Dresen begibt sich in seinem aktuellen Berlinale-Beitrag auf weltpolitisches Terrain. Dabei erzählt er die Geschichte des 2002 wiillkürlich inhaftierten Murat Kurnaz aus explizit privater Perspektive - Alexander Soyez über die Hintergründe
Der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag im Programm der diesjährigen Berlinale, Andreas Dresens neuer Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush", handelt grob zusammengefasst von dem zu Unrecht über Jahre weggesperrten Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz. Von politischen Machenschaften, einer unfassbaren Aushebelung des Völker- und Menschenrechts und von einem Prozess gegen genau all das vor dem US-amerikanischen Supreme Court.
"Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, was da geschehen ist", sagt Dresen im Gespräch mit dem rbb: "aus amerikanischer Perspektive, aus türkischer Perspektive, nicht zuletzt aber auch aus deutscher Perspektive. Das muss man ganz klar sagen. Es ist ein Politikversagen auf verschiedensten Ebenen. Und wenn man dann darüber nachdenkt, dass es Guantanamo heute noch gibt, dass da immer noch 39 Menschen sitzen, von 1500 GIs bewacht – das ist das teuerste Gefängnis der Welt. Jeder Gefangene kostet den US-amerikanischen Steuerzahler 13 Millionen Dollar im Jahr. Da wüsste ich wirklich Besseres, was man mit diesem Geld anstellen kann. Ganz ehrlich."
Drama mit Leichtigkeit erzählt
Es ist ernste und schwere Kost, die Dresen aber mit seiner typischen Menschlichkeit und sogar einer gewissen Leichtigkeit in "Rabiye Murnaz gegen George W. Bush" aufbereitet. Das System Guantanamo heruntergebrochen, wie er es nennt, auf das, was es mit einer türkischen Familie, die in Bremen lebt, gemacht hat. Insbesondere mit Rabiye Murat, Kurnaz' Mutter, die nicht nur unermüdlich, sondern auch mit ihrem unwiderstehlich eigenen Charme um die Freilassung ihres Sohnes gekämpft hat. "Also man kann über so harte, fast unerträgliche Umstände erzählen mit einer positiven Wendung. Und das fand ich schön. Und sogar mit Humor, auch das liegt in der Figur von Rabiye begründet", sagt Dresen.
"Kunst ist verdammt nochmal systemrelevant"
Mit "Rabiye Murnaz gegen George W. Bush" ist Dresen nun schon zum vierten Mal im Wettbewerb der Berlinale. 1990 war er zum ersten Mal mit seinem Studentenfilm "So schnell geht es nach Istanbul" hier. Seither hat er sich kaum eine Festivalausgabe entgehen lassen – auch wenn er keinen eigenen Film im Programm hatte.
Dresen sei froh, dass sie in diesem Jahr zumindest im Ansatz wieder so stattfindet, wie er sie kennt. "Ich halte es für ein ganz wichtiges Zeichen, dass wir das jetzt machen. Kunst ist verdammt nochmal systemrelevant, gerade in dem seelischen Zustand, in dem wir uns jetzt alle befinden. Nach zwei Jahren Pandemie haben wir das Kino und die Künste nötiger denn je, finde ich. Und das ist auch ein Zeichen, das hier gesetzt wird. Wo man sagt: Passt mal auf Leute, wir haben zwei Jahre Pandemie, wir haben trotzdem gearbeitet. Wir haben auch diesen Film hier dem Schicksal abgetrotzt. Das war die härteste Produktion, die ich je erlebt habe. So, und hier sind wir. Wir erzählen nach wie vor Geschichten. Schaut sie euch an, und es kommen bessere Zeiten."
Nur die Filme, kein Lametta
Vielleicht auch wieder mit etwas mehr Partys, Empfängen und Lametta als in diesem Jahr – obwohl Dresden zumindest in dieser Hinsicht keine Entzugserscheinungen hat. "Ich bin ja noch nie so ein Riesenfan gewesen von diesen Empfängen und diesem Rumgestehe und diesen Partynummern und rotem Teppichzeugs und so. Und wenn das alles jetzt so ein kleines bisschen runtergefahren ist - auch mal ganz cool - dann ist die Berlinale auf das reduziert, was sie eigentlich ausmacht, nämlich die Filme."
Sendung: Inforadio, 12.02.2022, 08:55 Uhr