Berlinale | Interview mit John Malkovich - "Religion, Philosophien und Ideologien machen uns auch blind"
Im neuen Film "Seneca" spielt John Malkovich den gleichnamigen Philosophen, der erst der Lehrer von Kaiser Nero ist - und am Ende dessen Opfer wird. Im Interview erklärt Malkovich, warum Lebenslehren auch eine Falle sein können.
"Seneca" von Regisseur Robert Schwentkes hat am Montag (20. Februar) in der Berlinale-Special-Reihe seine Weltpremiere gefeiert. In die deutschen Kinos kommt die schwarzhumorige, bittere Satire am 23. März. "Seneca" befasst sich mit dem gleichnamigen römischen Gelehrten und Philosophen, der von Kaiser Nero gezwungen wird, sich selbst das Leben zu nehmen. Der Film ist kein Historiendrama, sondern eine Satire - und vor allem eine One-Man-Show von Hauptdarsteller John Malkovich, der bei der Premiere in Berlin als Stargast auf dem roten Teppich begrüßt wurde.
rbb|24: Herr Malkovich, Sie sind seit fast 50 Jahren im Geschäft und haben knapp 100 Filme gedreht. Ist das tatsächlich Ihre erste Berlinale?
John Malkovich: Ja, es ist wirklich das erste Mal. Ich war noch nie auf dem Festival. Aber ich bin auch sonst nicht der große Festivalbesucher oder Festivalgast. Ich arbeite eigentlich durchgängig. Allerdings war ich früher ein paar Mal in Jurys, aber in den letzten 15 oder 20 Jahren kaum noch. Insofern ist diese Premiere für mich vor allem eine Berlinale-Premiere.
Was hat Sie an dieser Rolle als tragischer Haus- und Hof-Philosoph Neros gereizt?
Ich hatte erstmal keine besondere Verbindung zu ihm oder seiner Geschichte. Klar, ich kannte ein paar seiner Stücke und kenne ihn ein bisschen aus den Theater- und Geschichtsbüchern. Mehr wusste ich nicht, aber ich kannte Robert Schwentke durch unsere Arbeit bei "R.E.D" [US-amerikanische Agenten-Komödie, Anm.d.Red.]. Die Idee, noch mal mit ihm zu arbeiten, hat mich gereizt. Ich mag ihn und halte ihn für sehr klug und talentiert. Und ich fand die Idee großartig, sich auch den großen Themen von heute mit so einer tragischen, traurigen, fast lächerlichen Figur wie Seneca zu nähern. Die erste Drehbuchfassung landete schon vor einigen Jahren auf meinem Schreibtisch und über die nächsten Drehbuchfassungen stand ich immer wieder in Kontakt mit Robert. Ich hatte auch den Eindruck, dass meine Beteiligung, meine Anmerkungen da durchaus gewünscht waren.
Der eher ironische, anachronistische Ton des Films war von Anfang die Idee?
Ja. Das war immer der Plan, eine wilde, manchmal fast pervers wirkende Satire zu machen.
Spätestens seitdem Spike Jonze Ihnen mit "Being John Malkovich" ein höchst amüsantes Denkmal gesetzt hat, sind Sie nicht mehr nur ein Schauspieler, sondern eine Ikone und Marke. Wie bewusst ist Ihnen das, was Sie in eine Rolle mitbringen?
Nicht besonders. Ich denke darüber wirklich nicht nach. Ich sehe da tatsächlich selten einen Unterschied zwischen dem, was ich tue und was ich bin oder als was ich wahrgenommen werde. Im Grunde gehe ich an alle Rollen auf die gleiche Art und Weise heran, ein Unterschied liegt höchstens darin, wie sehr ich in der Entstehung eines Projekts eingebunden bin. Und das ist wirklich völlig unterschiedlich und hängt im Grunde vom Regisseur und nicht von mir ab.
Hier waren Sie stärker eingebunden. Liegt Ihnen das dann mehr am Herzen?
So weit würde ich nicht gehen. Film- oder Theaterprojekte sind Puzzle, die es zu lösen gilt. Entweder bin ich also nur ein Puzzleteil und schaue, wo ich hingehöre im Gesamtbild oder ich probiere gemeinsam mit anderen, alle Teile zusammenzufügen. Wie wichtig mir das Puzzle ist, das hat aber mit anderen Dingen zu tun.
Was war es hier, dass Sie gereizt hat?
Für mich spricht dieser Film darüber, wie schwer es ist, eine Philosophie, eine Lebensphilosophie zu haben, die man dann überall anwenden könnte. Mike Tyson hat das mal ganz treffend formuliert: Jeder hat einen Plan, bis er mit der Faust eins auf die Nase bekommt. So ist das einfach im Leben und das gilt für alle, selbst für Menschen, bei denen man das Gefühl hat, sie hätten keine Probleme. Für mich geht es im Film um die Schwierigkeit, eine Lebensphilosophie zu haben und ihr auch noch gerecht zu werden.
Haben Sie selbst so etwas wie eine Lebensphilosophie?
Nein. Außer vielleicht die Skepsis gegenüber allgemeingültigen Philosophien. Wir haben Religion, wir haben Philosophie und am schlimmsten: Wir haben Ideologien. Und all das soll uns beim Steuern durchs Leben helfen, soll uns Dinge erklären, macht uns aber gleichzeitig blind für all das, was eben nicht ins Konzept passt, was nicht zu Religion, Philosophie oder Ideologie passt. Nichts davon halte ich also für besonders hilfreich.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit John Malkovich führte Alexander Soyez für rbb|24.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 21.02.2023, 6:30 Uhr