Interview | Sven Loose - "Es gibt ein großes Interesse für Anime-Filme hier in Berlin"

Mit "Suzume" trat erstmals nach 21 Jahren wieder ein Anime im Berlinale-Wettbewerb an. Sven Loose ist großer Fan des Genres - und hat im Berliner Kino Intimes einen festen Anime-Schwerpunkt im Programm etabliert.
rbb|24: Herr Loose, seit wann zeigen Sie regelmäßig Anime-Filme im Kino Intimes in Berlin-Friedrichshain?
Sven Loose: Ich habe im Januar 2022 mit den Animes hier im Kino angefangen, da gab es gerade einen neuen Film zu einer sehr erfolgreichen Serie. Es kamen insgesamt mehr als 1.000 Besucher, was sehr gut ist für ein kleines Kino wie unseres – wir haben nur 70 Sitzplätze im größeren Saal. Ich habe mich bestätigt gefühlt, dass es ein großes Interesse für Anime hier in Berlin gibt. Wir zeigen einige Animes auch mit englischen Untertiteln. Das ist natürlich noch eine Nische, weil es dann auch etwas für die nicht-deutschsprachige Anime-Community in Berlin gibt. Nicht jeder Anime, den wir im Programm zeigen, ist bei uns genauso erfolgreich gewesen, aber das Wichtigste ist, dabei zu bleiben. Natürlich braucht das auch ein bisschen, bis sich so ein Programm-Schwerpunkt richtig etabliert hat.
"Suzume" ist der erste Anime im Berlinale-Wettbewerb seit 21 Jahren. Mit "Chihiros Reise ins Zauberland" gewann Hayao Miyazaki, der japanische Großmeister des Genres, 2002 den Goldenen Bären. Gab es so lange keine guten Animes oder wird das Genre in Deutschland einfach stiefmütterlich behandelt?
Das passt zur Unterschätzung vom Genre Anime generell und dazu, dass Anime oft als Kinderfilme gelten. Für Kinderfilme gibt es ja auf der Berlinale eigene Kategorien, nicht den Wettbewerb. Es kann aber auch damit zu tun haben, dass die japanischen Produktionsfirmen die Berlinale nicht so auf dem Schirm haben, sondern sich einfach mehr auf den heimischen Markt konzentrieren.
Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen Anime und Animationsfilm?
Animes sind sozusagen die Filmkunst zum Manga, ganz simpel gesagt. Und Mangas sind ein fester, elementarer Bestandteil der japanischen Kultur schon seit sehr langer Zeit. Es gibt sie dort, wie man inzwischen auch hierzulande weiß, in allen Varianten für Kinder und Erwachsene. Und viele Mangas sind extrem erfolgreich und werden eben verfilmt. Wie zum Beispiel Hollywood sehr viel Literatur verfilmt, weil es halt einfacher ist, ein Buch in ein Drehbuch zu übersetzen, als sich etwas komplett Neues auszudenken, und man mit einer Filmadaption auf dem Erfolg eines Romans aufbauen kann.
Der Unterschied zu allgemeinen Animationsfilmen ist, dass es hierzulande immer noch ein Vorurteil ist, Anmiationsfilm sei etwas für Kinder – ich weiß nicht, ob das typisch deutsch ist. Das wird dann automatisch in den Bereich von Disney und Kinderfilm gerückt. Schon allein, wenn man an das deutsche Wort Trickfilm denkt, denkt man an ein Kindergenre. Und in der japanischen Tradition ist es aber so, dass es immer auch schon Geschichten für Erwachsene als Anime gab.
Gibt es feste Themen oder Motive, die immer wieder auftauchen im Anime?
In neueren Animes wird oft der Alltag aufgegriffen. Geschichten beginnen zum Beispiel auf dem Schulhof oder zuhause im Elternhaus. Es geht oft um Außenseiter, Mädchen und Jungs gleichermaßen. Alles ist ganz normal, und dann passiert etwas Magisches. Es kann etwas ganz Kleines sein, also nicht immer Drachen oder Monster, sondern irgendwas Kleines, Geheimnisvolles. Und dann vermischen sich Realität und Fantasie immer mehr, aber so, dass es kaum noch zu unterscheiden ist.
Ich finde es faszinierend, weil es immer total authentisch ist, wenn diese Animationsfilme reale Probleme von Jugendlichen schildern, alles wirkt total alltagsnah und dann passiert eben was total Abgedrehtes.
Wie politisch oder gesellschaftskritisch ist das Genre Anime?
In Animes gibt es eine jahrzehntelange Tradition des Umweltschutzes. Also die Natur und Naturkatastrophen sind sehr wichtige Elemente, gerade in den Filmen von großen Meistern wie etwa Hayao Miyazaki. Eigentlich geht es in fast jedem Film um die Zerstörung der Natur durch die Industrialisierung. Und das zweite Thema ist die immer wiederkehrende Aufarbeitung der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Immer wieder geht es um Atomexplosionen oder die Zerstörung ganzer Städte. Also durchaus sehr ernste Themen.
Anime bearbeitet also viele Themen der neueren japanischen Geschichte. Es werden aber auch immer wieder Elemente der japanischen Kulturgeschichte und Tradition aufgegriffen, oder?
Richtig. Häufig tauchen zum Beispiel kleine Naturwesen und Dämonen auf, viele davon sind religiös oder traditionell begründet, und es tauchen auch in unterschiedlichen Filmen ähnliche Wesen auf. Das ist vielleicht auch ein Äquivalent zur Disney-Tradition. In vielen Disney-Filmen gibt es immer so kleine Tierchen, die keine Hauptcharaktere sind, gar nicht wichtig für die Geschichte, aber die irgendwie immer auftauchen und dazu gehören. Bei Disney sind das häufig sprechende Tiere. Es gibt immer ein oder mehrere kleine Tierchen, die ganz niedlich sind, und man kann sie auch gut auf Postern abbilden. Sehr geschickt gemacht eigentlich von Disney.
Kann die Tatsache, dass "Suzume" im Wettbewerb lief, mehr Leute locken, einen Anime im Kino zu sehen?
Auf jeden Fall. Also davon bin ich eigentlich überzeugt. Ich war sehr überrascht, als ich gesehen habe, dass "Suzume" im Wettbewerb läuft und habe mich riesig gefreut. Nach so langer Zeit mal wieder ein Anime im Festival-Kino! Und das auf der allergrößten Leinwand und in vollen Sälen. Schon die simple Tatsache, dass er so gut vertreten ist, reicht aus, um die Wahrnehmung zu erweitern und mehr Leute für, und vielleicht auch wieder neu, für Anime zu begeistern.
Vielen Dank für das Interview.
Mit Sven Loose sprach Chiara Kempers, rbb|24.
Sendung: rbbKultur, 23.02.2023, 18:39 Uhr