Portrait | Steven Spielberg - Der legendäre Peter Pan von Hollywood

Oscar-Preisträger Steven Spielberg ist einer der erfolgreichsten Filmregisseure und Produzenten der Welt. Am Dienstag wird er auf der Berlinale mit dem goldenen Ehrenbären ausgezeichnet. Anke Sterneborg über einen Künstler, der nie wirklich erwachsen werden wollte.
Wirklich geschafft hat man es wohl als Filmregisseur, wenn fast jedem Menschen ein paar Bilder aus den Filmen einfallen, die man gedreht hat: Da wäre der krumme Finger, den der kleine, schrumpelige Außerirdische E.T. nach oben reckt, wenn er seine ersten englischen Worte ausspricht: "Phone home", nach Hause telefonieren. Oder vielleicht eher die Silhouette des Kinderfahrrads, das ein kleiner Junge mit dem im Fahrradkorb versteckten E.T scheinbar am Mond vorbeifliegen lässt?
Ein ikonisches Bild ist auch die blonde Frau in "Der weiße Hai", die an der Meeresoberfläche krault, während sich unter ihr das mit spitzen Zähnen besetzte Maul eines riesigen, weißen Hais öffnet. Oder der Seilschwingende Abenteurer Indiana Jones im Dschungel. Oder der staunende Blick, mit dem die Forscher in "Jurassic Park" die leibhaftigen Dinosaurier ins Auge fassen.
Vielleicht ist es genau das, was die Filme von Steven Spielberg ausmacht: Diese Art wie er es immer wieder schafft, mit seinen kindlichen und erwachsenen Helden auch den Zuschauer ins Staunen zu versetzen, zum Kind zu machen, das eine vor allem magische und gelegentlich auch furchterregende Welt entdeckt. Wie wenige andere Regisseure hat Steven Spielberg das kollektive Filmgedächtnis geprägt.
Amateurfilme in der Kindheit
Geboren wurde Steven Spielberg 1946 in Cincinnati, Ohio, in die orthodox jüdische Familie von Arnold Meyer Spielberg, der Elektroingenieur und Computer-Pionier war und seiner Frau, der Konzertpianistin Leah Frances. Wie er schon in der frühen Kindheit die Magie des Filmemachens für sich entdeckt hat, erzählt der Regisseur, Autor und Produzent in seinem neuesten Film "The Fablemans", der auf der Berlinale gezeigt wird. Da kann man dabei zuschauen, wie er im Kinderzimmer mit seiner Spielzeugeisenbahn Frontalzusammenstöße inszeniert, inspiriert von Cecil B. DeMilles "The Greatest Show on Earth", seinem ersten, überwältigenden Kinoerlebnis.
Später drehte er dann im Pfadfinderlager den Kurzfilm "The Last Gun", einen dreiminütigen Western, in dem zwei zwölfjährige Jungs, einer mit weißem, einer mit schwarzem Cowboyhut, das Good Guy -Bad Guy-Szenario durchspielten. Bei der Vorführung erwies sich der Film als Publikumserfolg, der ihm außerdem das Pfadfinder-Verdienstabzeichen einbrachte, den ersten von zahllosen Preisen seiner Karriere, darunter allein 140 Oscar-Nominierungen für seine Filme. Augenblicklich erkannte er seine Bestimmung. Als 16-Jähriger realisierte er den über zwei Stunden langen "Firelight", eine frühe Version seines späteren Erfolgs "Unheimliche Begegnung der dritten Art".
Ein Gespür für Kultfilme
Learning by Doing in der Fernsehabteilung von Universal
Nach zwei vergeblichen Bewerbungen in der Filmabteilung der University of Southern California landete er in der Fernsehabteilung des Universal Studios, wo er gleich einen Siebenjahresvertrag bekam. In seiner ersten Folge der Serie "Night Gallery"durfte er Joan Crawford in ihrer letzten Rolle inszenieren., Darüber war die Diva zunächst nicht begeistert, stellte dann aber fest: "Mir und wahrscheinlich allen anderen war sofort klar, dass hier ein junges Genie am Werk ist."
Sein Handwerk verfeinerte Spielberg als Regisseur einzelner Episoden von TV-Serien, darunter "The Psychiatrist" und "Columbo". Letztere eröffnete ihm die Möglichkeit, nach einer Kurzgeschichte von Richard Matheson seinen ersten Fernsehfilm "Duell” zu inszenieren. So drehte er 1971, mit nur 22 Jahren einen ebenso minimalistischen wie effektiven Thriller über einen Geschäftsreisenden, der auf dem kalifornischen Highway von einem Lastwagenfahrer tyrannisiert wird.
Die Geburt des Blockbusters
"Duell" ebnete ihm den Weg vom Fernsehen ins Kino. Schon in diesem Fernsehfilm etablierte Spielberg eines seiner Markenzeichen: Die Bedrohung bleibt diffus, vom Bösewicht ist nicht mehr als ein Arm und ein paar Schuhe zu sehen, wichtiger sind die Reaktionen im Gesicht des zunehmend panischen Jedermanns, der von ihm gejagt und attackiert wird.
Vier Jahre später wird Spielberg dasselbe Prinzip von der Straße aufs Meer verlegen. Die Geschichte eines Killerhais, der die Touristen an der Ostküste in Angst und Schrecken versetzt, traf einen Nerv und läutete die Ära der großen Sommerblockbuster ein: Nie zuvor hatte ein Film mehr Besucher angezogen, und das auch noch in den warmen Sommermonaten. Danach hatte Spielberg für immer das kostbare Recht auf den Final Cut.

Außerirdische, Abenteurer und Dinosaurier
Es folgten weitere, spektakulär erfolgreiche Filme, quer durch alle Genres: "Unheimliche Begegnung der dritten Art" und "E.T - Der Außerirdische", die Abenteuerserie um den Glücksritter "Indiana Jones" und der Dinosaurier-Action-Film "Jurassic Park". Fantasy, Action, Science-Fiction, Horror, Historiendrama, Animation, Musical - Steven Spielberg hat fast alle Genres ausprobiert.
Trotz enormer Erfolge beim Publikum, musste er lange auf die Oscar-Weihen warten. Dabei erzählt Spielberg mit einer Finesse, die sich aus dem Wissen um die Filmgeschichte speist: in eleganten Kamerafahrten, mit magischen Lichteffekten, raffinierten Spiegelungen und Durchblicken, und in Großaufnahmen von Gesichtern, in denen sich Gefühle verdichten. Dass er den französischen Regisseur François Truffaut in "Unheimliche Begegnung der dritten Art" als Wissenschaftler besetzte, ist eine grandiose Hommage ans europäische Kino. Vor allem die Filme der ersten Schaffensphase sind gespickt mit persönlichen Details: So vermitteln die Einfamilienhäuser in "E.T.", "Unheimliche Begegnung" und dem von ihm produzierten "Poltergeist" einen ziemlich genauen Eindruck von den Verhältnissen, in denen Steven Spielberg aufgewachsen ist.
Eigene Produktionsfirmen
1981 gründete Spielberg seine Produktionsfirma "Amblin Entertainment". Neben seinen eigenen Filmen produzierte er Erfolgsfilme wie "Gremlins", die "Zurück in die Zukunft"-Trilogie, "Falsches Spiel mit Roger Rabbit", die "Men in Black"-Serie und Clint Eastwoods Kriegsfilm "Flags of Our Fathers".
1994 rief er zusammen mit Jeffrey Katzenberg und David Geffen Dreamworks Pictures ins Leben, unter deren Dach bahnbrechende Animationsfilme wie "Antz" "Chicken Run" und "Shrek", aber auch Spielfilme wie "Gladiator", "American Beauty" und "A Beautiful Mind" entstanden.

Ein bisschen erwachsener
1985 wird das ewige Kind dann ein bisschen erwachsener. Zumindest wendete sich Spielberg ernsteren, realeren und historischen Themen zu, angefangen mit der Verfilmung von Alice Walkers feministischem Roman "Die Farbe Lila" mit Whoopie Goldberg in der Hauptrolle. Ein weiterer Durchbruch folgt 1993 mit der Verfilmung von Thomas Keneallys "Schindlers Liste". Die Geschichte des deutschen Industriellen, der während des zweiten Weltkriegs Juden in seinen Betrieben beschäftigte, um sie vor dem Tod zu retten, brachte ihm seine ersten Oscars ein, für beste Regie und besten Film, dazu fünf weitere für Drehbuch, Kamera, Art Direction, Schnitt und Originalmusik.
Zum ersten Mal setzte sich Spielberg da auch mit seiner jüdischen Herkunft auseinander. Er drehte an Originalschauplätze und begann Nachforschungen über eigene Verwandte, die im Holocaust getötet worden waren. In der Folge gründete er die Shoah Foundation, die bis heute Zeitzeugen-Interviews mit Holocaust-Überlebenden sammelt.

Historische und fantastische Stoffe
Danach hat Spielberg immer wieder historische Stoffe verfilmt, von "Amistad" über "Lincoln" bis zuletzt "Die Verlegerin”. Gleichzeitig bleibt er auch den großen Träumen und wilden Fantasien treu, in Filmen wie "A.I.: Künstliche Intelligenz", den Science-Fiction-Thriller "Minority Report" und "Ready Player One", den Animationsfilmen "Die Abenteuer von Tim und Struppi" und der Roald Dahl-Verfilmung "BFG Big Friendly Giant" und zuletzt dem Musical-Remake von "West Side Story".
"Ich träume für meinen Lebensunterhalt" ist neben einem großen Schwarzweiß-Foto von Steven Spielberg auf der Startseite seiner Produktionsfirma Amblin-Entertainment zu lesen. 2016 verkündete er beim Filmfest in Cannes: "Ich werde bis an mein Lebensende Regie führen."
Aller Erfahrung und allem Erfolg zum Trotz hat sich Steven Spielberg die Neugier, Fantasie und Unschuld eines staunenden Kindes bewahrt, ein Peter Pan, der nie wirklich erwachsen werden wollte, ein Captain Nemo in seiner Nautilus-Filmwelt. Derzeit plant er einen Spionagethriller um den durch Steve McQueen legendär gewordenen Cop Frank Bullitt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 21.02.2023, 19:30 Uhr