Filmkritik | "Season of the Devil" - Ein "La La La" sagt mehr als tausend Worte

Di 20.02.18 | 14:24 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Lav Diaz, Shaina Magdayao und Piolo Pascual (Quelle: dpa/Chesnakova)
Bild: dpa/Chesnakova

Der philippinische Meister des Ultralangfilms hat eine Rockoper gedreht. Lav Diaz’ märchenhafter Vierstünder über Unterdrückung und Opposition gibt dem bisher so schwachen Wettbewerb ein großes Stück seiner Würde zurück. Von Fabian Wallmeier

Ein entlegenes Dorf in den Philippinen. Das Sagen haben hier das Militär und eine Art Bürgerwehr, die gewaltsam jegliche Anflüge von Opposition unterdrücken. Zwei kritische Stimmen sind der Dichter Hugo Haniway und seine Frau, die Ärztin Lorena. Seine Suche nach ihr steht im Zentrum des neuen Films des philippinischen Meisterregisseurs Lav Diaz.

Lav Diaz ist so etwas wie das filmische Gewissen der Philippinen. Das große Thema seiner fast immer extrem langen Filme ist die Geschichte seines Landes - eine Geschichte der Unterdrückungen, der Kriege und der Kolonisation, so auch sein achtstündiger Film „Hele sa Hiwagang Hapis“, mit dem er vor zwei Jahren den Alfred-Bauer-Preis der Berlinale gewann.

In seinem mit knapp vier Stunden vergleichsweise kurzen neuen Film "Ang Panahon ng Halimaw" ("In Zeiten des Teufels") wird für Diaz’ Verhältnisse rasant erzählt. Sonst passiert bei ihm oft minutenlang nichts anderes, als dass etwa in der Ferne eine Kutsche vom einen Bildrand zum anderen fährt. Auch dieses Mal lässt Diaz sich Zeit für die einzelnen Szenen, aber er kommt erheblich schneller zur Sache.

Alle Dialoge werden gesungen

Der Film ist angesiedelt in den späten 1970er Jahren, nach der Ausrufung des Kriegsrechts durch Diktator Ferdinand Marcos, der nun mit dem Militär das Land kontrolliert und Oppositionelle vertreiben und ermorden lässt. Diaz erzählt aus dieser Zeit am Beispiel eines kleinen Dorfes, das von einem Wahnsinnigen kontrolliert wird, der Unverständliches brüllt und auf seinem Hinterkopf ein zweites Gesicht trägt, eine Fratze. Diaz erzählt mit den Mitteln des Märchens - und vor allem mit Musik. Er selbst bezeichnet seinen Film als Rockoper. Doch mit bekannten Rockopern wie "Tommy" von The Who hat "Ang Panahon ng Halimaw" wenig gemein. Das einzige Musikinstrument, das in den knapp vier Stunden des Films zu hören ist, ist eine Akustikgitarre im Abspann. Ansonsten singen die Figuren ohne Begleitung. Diaz zieht das allerdings konsequent durch: Es wird so gut wie kein Wort gesprochen, die Dialoge werden ausnahmslos gesungen.

Die Schauspieler sind größtenteils hörbar keine ausgebildeten Sänger. Dennoch oder gerade deshalb treffen sie direkt ins Herz. Die von Diaz geschriebenen Melodien sind so simpel, so rudimentär, so universell, dass man sich ständig an vertraute Fetzen aus anderen Liedern erinnert fühlt.

Ein Lied taucht immer wieder auf, mit variierenden Strophen: ein Wechselgesang zwischen anklagenden Oppositionellen und den alle Beschwerden niederschmetternden. Der Refrain ist immer gleich: Es ist ein "La la la", das mal lieblich, mal verletzlich, mal anklagend, mal spöttisch, mal brutal klingen kann - und viele Kinobesucher noch lange als Ohrwurm verfolgen dürfte.

Ungeschultes neben Märchenhaftem

Diaz will natürlich nicht realistisch erzählen. Sein Ansatz ist das Märchen. Die Guten sind hier ungefiltert rein, die Bösen abgrundtief schlecht. In einer Szene sehen wir Hugo umkränzt von einem hellen Schein - hier nimmt das Märchenhafte religiöse Motive auf. In einer anderen Szene sitzt etwa Lorena verzweifelt im dunklen Wald. Sie trägt einen glänzenden Rock, im Hintergrund steigt in einer Lichtung dichter Dunst auf- Lorena singt ein Klagelied, das allmählich zum Protest- und Revolutionslied gegen das Regime wird.

Diaz vergisst auch nicht die Grausamkeit, die Märchen oft innewohnt. Die Herrscher prügeln, foltern, morden, vergewaltigen - und das wird manchmal abstrahiert, aber auch immer wieder ungeschönt gezeigt.

"In Zeiten des Teufels" ist mit seiner Mischung aus Märchenhaftigkeit und Musical-Kindlichkeit Diaz’ verletzlichster Film. Manche werden ihm eine naive Perspektive vorwerfen. Doch das greift zu kurz, nicht nur wenn man das unerbittliche Ende des Films betrachtet. Diaz gibt sich keinerlei Illusionen hin, hat die Realität fest im Blick - und wagt es dennoch, ihr im Ausdruck ein unschuldig anmutendes Gegengewicht zu geben.

Fazit: Endlich der erste echte Höhepunkt in diesem schwachen Wettbewerbsjahrgang! Lav Diaz’ märchenhafte vierstündige Rockoper wird bei der Bärenvergabe eine gewichtige Rolle spielen müssen.

Bärenwürdig? - Das sagen die RBB-Kritiker

Stephan Karkowsky (Quelle: rbb/radio eins)

Stephan Karkowsky

Reiner Veit

Fabian Wallmeier

Sendung: kulturradio, 20.02.2018, 15.00 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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