Berlinale-Filmkritik | "Peter von Kant" - Große Gefühle, stilbewusste Regie
Die Berlinale startet mit einer Verbeugung: François Ozon hat mit "Peter von Kant" ein Remake eines Fassbinder-Films gedreht. Eine geglückte Hommage - und ein würdiger Auftakt für den Wettbewerb. Von Fabian Wallmeier
1972 feierte Rainer Werner Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" im Wettbewerb der Berlinale seine Premiere, die Verfilmung seines eigenen Theaterstücks. 50 Jahre später startet der Wettbewerb nun mit einem Remake dieses Films: In "Peter von Kant" macht Fassbinder-Verehrer François Ozon aus der Titelfigur, einer Mode-Designerin, einen Regisseur.
"Peter von Kant" funktioniert vermutlich auch für sich genommen gut. Zum cinephilen Vergnügen wird er aber erst, wenn man das Fassbilder-Original noch einigermaßen im Kopf hat. Frei nach den "Bitteren Tränen" sei der Film, heißt es im Vorspann. Doch die Bearbeitung ist gar nicht so frei, wie man nach dieser Ansage vermuten könnte. Sieht man vom Geschlechts-Wechsel der Hauptfigur und der Verlagerung der Handlung von Bremen nach Köln ab, ist Ozon bis in die Details der Handlung sehr nah bei Fassbinder.
Jeder tötet, was er liebt
Beide Filme konzentrieren sich auf die Wohnungen der jeweiligen Hauptfigur. Beide Hauptfiguren sind isoliert, unglücklich und vor allem herrsch- und eifersüchtig. Beide verlieben sich in eine junge Person des eigenen Geschlechts, die ihnen schließlich über den Kopf wächst und sie zurückweist. "Jeder tötet, was er liebt", singt Peters Vertraute Sidonie schon vor ihrem ersten Auftritt aus den Lautsprechern seiner Anlage. Ja, diese Liebe tut weh - und lässt Peter (wie im Petra in Fassbinders Original) ihre schlechtesten Seiten hervorkehren.
Den Filmstar Sidonie spielt Isabelle Adjani, die dem roten Teppich an diesem Eröffnungsabend wohl den größten Glanz bescheren dürfte. Noch eindrücklicher ist aber, neben Hauptdarsteller Denis Ménochet, wie Khalil Gharbia die Rolle des jungen von Peter begehrten Amir ausfüllt. Ein Blick von ihm reicht, um ein ganzes Leben zu erzählen.
Wie Petra / Peter und Amir (im Fassbinder-Original: Karin) sind auch viele Nebenfiguren gespiegelt: An Stelle der von Petra geknechteten Assistentin Marlene (Irm Hermann) tritt der von Peter keinen Deut besser behandelte Karl (Stéfan Crépon). Karl ist wie Marlene ein leiderprobter und duldsamer Diener und Beobachter – und noch deutlicher als Marlene sehnt er sich nach der Zuneigung des geliebten Menschen.
Von der Muse zur Mutter
Eine hübsche Verbeugung vor dem Fassbinder-Kosmos, der ja aus einem Kreis von immer wieder auftretenden Schauspieler:innen bestand: Hanna Schygulla, die damals die von Petra verehrte Karin spielte, ist nun Peters Mutter Rosemarie. Wenn Rosemarie den zusammengebrochenen Sohn mit "Schlaf, Kindchen, schlaf" beruhigt, kann man darin auch eine Umkehr des Machtverhältnisses sehen: Nun singt die einstige Muse Schygulla ihrem despotischen Regisseur und Partner ein gütig-mütterliches Schlaflied.
Die Figur der Petra von Kant (Margit Carstensen) konnte man damals als Alter Ego Fassbinders lesen. Bei Peter von Kant ist nun der Bezug zu Fassbinder noch offensichtlicher: Peter ist nicht nur wie Fassbinder ein Mann und dazu noch Regisseur, sondern Darsteller Dénis Menochet ist ähnelt Fassbinder auch in Physiognomie und Barttracht.
Weniger Künstlichkeit
Was die beiden Filme dann aber doch unterscheidet, ist vor allem die Tonlage: Fassbinders Markenzeichen ist eine ausgestellte Künstlichkeit im Spiel, die bei aller brutaler Direktheit, die seine Filme oft haben, immer eine Distanz zum Geschehen schafft.
Ozon kennt, liebt und beherrscht diese Künstlichkeit. Das hat er immer wieder in seinen Filmen bewiesen, nicht zuletzt mit "Tropfen auf heiße Steine" (2000), seiner Verfilmung eines Fassbinder-Stücks. Ozons große Vertrautheit mit dem Werk des deutschen Regisseurs ist auch hier unübersehbar – und wird mit einer Reihe von kleinen Zitaten und Verweisen in der Ausstattung des Films garniert.
Dennoch ist hier etwas anders: Zwar sind die Figuren auch bei Ozon überlebensgroß, doch er lässt ihnen eine erkennbare Natürlichkeit und vor allem Raum für Modulation: Während bei Petra von Kant aus jeder Silbe das ganz große Drama spricht, ist Peter von Kant zunächst zarter, naturalistischer – und als er später seinen großen Ausbruch hat, umso rauer und brutaler: Da spritzt ihm der Speichel aus dem Mund, wenn er "Ich hasse euch alle" schreit, da wirft er mit Flaschen und zerschlägt das Mobiliar.
Von innen nach außen geweitet
Noch ein kleiner Unterschied: Bei Fassbinder ist die opulent ausgestattete, aber düstere Wohnung alleiniger Spielort. Ozon lässt die von sattem Rot und edlen Brauntönen dominierte Wohnung auch mal im Tageslicht glänzen – und zeigt sie zudem von außen, gleich in der ersten Einstellung (nach der über eine Fassbinder-Nahaufnahme geschriebenen Titeleinblendung).
Später zoomt einmal die Kamera durch das Herbstlaub an den Bäumen auf den am Fenster stehenden Peter. Als ein paar Monate vergangen sind, liegt auf den Ästen Schnee. Und in einem kleinen Twist gegen Ende des Films gibt es eine kurze Szene, die draußen an einem ganz anderen Ort in der Stadt spielt.
"Peter von Kant" ist eine dezente Weitung und eine geglückte Spiegelung der "Bitteren Tränen". Vor allem ist er die tiefe Verbeugung eines Regisseurs vor seinem großen Vorbild.
Bei der Vergabe der Bären ging Fassbinder damals leer aus. Ob sich das bei Ozon 50 Jahre später wiederholt, lässt sich zu Beginn des Wettbewerbs natürlich noch nicht einschätzen. Ein gelungener Berlinale-Auftakt, mit großen Gefühlen, stilbewusster Regie und ein paar Stars ist "Peter von Kant" in jedem Fall.
FAZIT: Es macht Spaß, "Peter von Kant" mit dem Original von Rainer Werner Fassbinder abzugleichen. Aber auch ohne "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" im Hinterkopf ist Ozons Film ein gut gemachter und gespielter Berlinale-Auftakt nach Maß.
"Peter von Kant" von François Ozon, mit Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Hanna Schygulla u.a., Frankreich, Weltpremiere
Sendung: Inforadio, 11.02.2022, 08:55 Uhr