Autoren während der Corona-Krise - "So lange wir Wasser haben, gibt es keine Krise"

So 26.04.20 | 22:00 Uhr | Von Tomasz Kurianowicz
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Olga Grjasnowa sitzt im rbb an einem Schreibtisch (Quelle: rbb)
Bild: rbb

In der Sendereihe "Der rbb macht Lesung" präsentieren sechs Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der Region ihre Bücher und erzählen, wie sie durch die Krise kommen. Mit dabei: Olga Grjasnowa. Die Autorin erklärt, warum wir uns nicht so schlecht fühlen sollten. Von Tomasz Kurianowicz

Freitagmorgen im Haus des Rundfunks, Masurenallee. In der Corona-Krise gewöhnen sich die Menschen an das Kontaktverbot und lernen, mit der täglichen Distanz umzugehen. Während die meisten Kolleginnen und Kollegen das Programm aus dem Home-Office vorbereiten, stehen Interviews mit sechs Schriftstellerinnen und Schriftsteller an. Ganz real. Autorinnen und Autoren aus der Region sollen aus ihren Büchern vorlesen und über die Krise sprechen - und das mitten in der Pandemie.

Probleme des Alltags beim Lesen vergessen

In diesen Zeiten ist Kreativität gefragt, um die Regeln des Kontaktverbots nicht zu brechen. Im Lichthof steht ein Schreibtisch, an dem die Interviewgäste Platz nehmen sollen. Damit sich beim Dreh niemand zu nahe kommt, gibt es eine Schutzzone aus Pylonen und einer rot-weißen Kette.

Um 10 Uhr ist es dann soweit: Wir treffen die erste Autorin - Olga Grjasnowa. Die Schriftstellerin mit aserbaidschanischen Wurzeln soll aus ihrem Roman "Gott ist nicht schüchtern" lesen, der 2017 erschienen ist und von den Schrecken des Syrienkriegs erzählt. Als sie ins Haus des Rundfunks kommt, wirkt sie freundlich, aber auch angespannt. Sie verbringt jetzt die meiste Zeit im Home-Office, sagt sie uns, mit Mann und zwei Kindern, und versucht dabei, nicht verrückt zu werden. Als sie dann zu lesen beginnt, scheinen alle Probleme des Alltags wie vergessen. In dem Buch geht es darum, wie ein junges Mädchen mit ihrem Freund vor dem Syrienkrieg nach Deutschland flieht und dabei die größten Hindernisse übersteht. Die Beschreibungen sind so detailreich, brutal und aufrüttelnd, dass uns kurz der Atem stockt.

     

Flüchtlingsthema immer noch aktuell

Als wir Olga Grjasnowa anschließend fragen, ob ihr Flüchtlingsroman immer noch aktuell ist, sagt sie ganz entschieden: "Ja!" Denn in Syrien gehe das Morden weiter und niemand interessiere sich dafür. Stattdessen konzentrierten sich die westlichen Gesellschaften auf ihre Wohlstandsprobleme. "Ich finde es wahnsinnig süß, was gerade passiert. Alle reden von diesem Klopapier. Aber ganz im Ernst: Wenn man alleine schon den Glauben daran hat, dass das Wasser nicht abgestellt wird, dann hat man keine Krise. Dann können die Leute meinetwegen auch Klopapier sammeln."

Ähnlich aufschlussreich ist das Treffen mit dem irakischstämmigen Schriftsteller Abbas Khider, der uns mit seinem Roman "Palast der Miserablen" überrascht, einer Geschichte aus einem Armenviertel in Bagdad. Er selbst ist als Flüchtling nach Deutschland gekommen, kennt die Strapazen der Fluchterfahrung und erinnert uns daran, wie schwer es aktuell genau jene Menschen haben, die ohnehin auf der Schattenseite des Lebens stehen. Die Flüchtlinge in den Lagern von Lesbos, die Menschen in Ländern wie Indien und Afghanistan, in denen es weder richtige Gesundheitssysteme noch Sozialmaßnahmen gibt.

Leid in der Corona-Pandemie

"Es gibt Menschen in unserer Gesellschaft", sagt Abbas Khider, "die jetzt jammern, dass sie nicht in ihrem teuren Fitnessstudio hocken oder dass sie nicht auf Partys gehen dürfen. Aber es gibt unendlich viele Menschen, die täglich zur Arbeit gehen müssen. Die kaufen abends von ihrem Geld Lebensmittel und essen sie mit ihren Kindern. Nur dafür reicht ihr Einkommen. Sie müssen am nächsten Tag wieder arbeiten. Und diese Menschen müssen heute zu Hause bleiben, ohne Geld für Nahrung."

Ich und mein Kameramann - wir müssen schlucken. Die Textstellen, aber auch die Erinnerung daran, welche Konsequenzen die Corona-Pandemie für die Ärmsten hat, lassen unsere Alltagssorgen zynisch erscheinen. Trotzdem wissen wir, dass es auch in Deutschland Menschen gibt, die Leid erfahren. Die Pandemie produziert auch hier, diesem reichen Land, Krankheit und Sorge und tragische Schicksale.

    

Wie man trotzdem die Situation meistern und ihr vielleicht sogar mit Humor begegnen kann, das lehrt uns das Treffen mit der Schriftstellerin Katja Oskamp. In ihrem Buch "Marzahn - Mon Amour" erzählt die Autorin Geschichten aus einem Fußpflegesalon in Berlin-Marzahn. Ihre Protagonisten sind Menschen aus dem Arbeitermilieu, die oftmals kein geregeltes Einkommen haben, durch Krankheiten gehen und Misserfolge erleben und trotzdem das Leben irgendwie schultern.

Dieser Chuzpe scheint abzufärben. Katja Oskamp kommt gut gelaunt zum Interview. "Ich war schon lange nicht mehr so ausgeschlafen", erzählt sie uns mit breitem Lächeln im Gesicht und gesteht, dass sie wegen all der abgesagten Veranstaltungen endlich mal wieder Ruhe findet. Und sehr viel Schlaf. Als wir sie fragen, wie sie durch die Krise kommt, verweist sie auf ihre Kunden. "Ein Kunde sagte mir neulich: 'Na ja, wenn es jetzt Engpässe gibt... Das kennen wir ja schon von früher, aus dem Osten, da gab es ja auch nicht immer alles. Dann kochen wir wieder das, was es im Laden gibt. Das können wir.' Die lassen sich nicht verrückt machen", schmunzelt Oskamp.

Videokonferenz mit Sebastian Fitzek

Zum Schluss warten wir auf den Krimi-Autor Sebastian Fitzek, der aus seinem aktuellen Berlin-Thriller "Das Geschenk" vorlesen will. Doch vor Aufzeichnung bekommen wir einen Anruf. Sebastian Fitzek kann nicht kommen, sagt uns seine Agentin. Er habe in seiner Familie eine Person aus der Risikogruppe, deswegen will er jetzt jeden Kontakt vermeiden. Wir improvisieren, schaffen einen Laptop an und schlagen eine Videokonferenz vor. Fitzek sagt zu. Gesagt, getan. Der Laptop wird eingezäunt und katapultiert uns per Mausklick ins Arbeitszimmer des Autors.

Sebastian Fitzek wirkt entspannt und gut gelaunt. Er lasse sich nicht unterkriegen, sagt er, und sei, trotz der viele Schreckensmeldungen, von seiner Umwelt positiv überrascht. "Ich glaube, dass wir jetzt sehen können, wie das Gute siegt. Schauen wir uns doch mal die ganzen Helfer an: Es gibt so viele Menschen, so viele Ärzte und Pfleger, die ihre Solidarität beweisen. Das zeigt doch: Das Böse ist die Ausnahme, das Gute die Regel."

Das sind nur einige der Stimmen, von denen wir an diesem Drehtag lernen. Das Interessante ist nämlich, dass unsere Gesprächspartner auf unsere Fragen ganz unterschiedlich reagieren, mal mit Sorge in der Stimme, mal mit Zuversicht im Blick. Vielleicht deswegen, weil die Literatur gerade in Krisenzeiten ihre vielfältigen Funktionen beweist. Sie kann trösten. Und wenn sie nicht trösten kann, dann kann sie wenigstens aufrütteln.

Sendung: Der rbb macht Lesung, 26.04.2020, 01:45 Uhr

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Beitrag von Tomasz Kurianowicz

1 Kommentar

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  1. 1.

    Olga Grjasnowa - omg! Wie beeindruckend, bedrückend, wie leise und doch schreiend laut. Wie weise...

    Ich kannte nur Olga Grjasnowas Stimme aus 100 Sekunden - und war schon da fasziniert. Dank Homeoffice habe ich sie verpasst, keine Autofahrt mit Olga Grjasnowa... und sie hier entdeckt, viel mehr als das! Ich hätte sie viel eher googlen sollen...

    Vielen Dank für diesen Film.

    Und eine Frage noch - welche Musik hat so eindringlich nebenbei die Bilder begleitet?

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